Chiapas:
eine kurze Einführung


"Während Chiapas unserer Einschätzung nach keine fundamentale Bedrohung der politischen Stabilität in Mexiko darstellt, wird es dennoch von vielen in der Geschäftswelt so empfunden.
Die Regierung wird die Zapatistas eliminieren müssen, um zu zeigen, daß sie ihr nationales Territorium unter Kontrolle hat und zu einer effektiven Sicherheitspolitik befähigt ist."

Riordan Roett
Mitarbeiter der Chase Manhattan Bank

Chiapas liegt im Süden Mexikos an der Grenze zu Guatemala. Etwa die Hälfte der 3,5 Millionen Einwohner gehört verschiedenen Maya-Völkern an. Vor allem die Urwaldgebiete werden fast ausschließlich von Indianern bewohnt. Obwohl das Land reich an Bodenschätzen ist, lebt ein Großteil der Bevölkerung in erschütternder Armut. Das meiste nutzbare Land wird von Großgrundbesitzern, nationalen und internationalen Konzernen kontrolliert.
 

Das Freihandelsabkommen NAFTA zwischen Mexico, Kanada und den USA, das im Jänner 1994 in Kraft trat, hat die Lage zusätzlich verschärft: Indianische Kleinbauern können mit billigen Getreide-Importen aus den mechanisierten Getreidesteppen des US-Mittelwestens nicht konkurrieren und werden mangels Existenzgrundlage  in die Elendsviertel der Städte abgedrängt. Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas, Wasser, Holz und Elektrizität werden in den indianischen Siedlungsgebieten rücksichtslos ausgebeutet.

Mit dem Eintritt Mexikos in die Nordamerikanische Freihandelszone begann am 1. Jänner 1994 auch der Aufstand der Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN, einer notdürftig bewaffneten Guerilla, die seither große Teile der Urwaldgebiete zur "befreiten Zone" erklärt hat. Sie protestieren gegen ein ungerechtes Wirtschaftssystem, fordern die Anerkennung der Rechte der indianischen Ureinwohner und den Schutz der existentiellen Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung.
Die Verhandlungen zwischen der EZLN und der mexikanischen Regierung um eine friedliche Beilegung des Konflikts scheiterten, als die Regierung sich weigerte, bereits ausverhandelte Punkte wie die Anerkennung der indianischen Rechte und Kultur oder den Rückzug der Armee aus den indianischen Dörfern, umzusetzen und statt dessen die Repression in der Region verstärkte. Schließlich legte selbst Bischof Samuel Ruiz, im Juni 1997 als Gast der Ökumenischen Versammlung in Graz, der immer wieder zum Dialog aufgerufen hatte, seine Funktion als neutraler Vermittler aus Protest gegen die fadenscheinige Haltung der Regierung zurück.
Seither hat die EZLN einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen, die Regierung jedoch verstärkt ihre militärische Präsenz in Chiapas kontinuierlich. Inzwischen sind rund 70.000 Soldaten in den indianischen Gemeinden stationiert. Zusätzlich werden paramilitärische Banden von Großgrundbesitzern und Mitgliedern der PRI (Regierungspartei) finanziert und von staatlichen Sicherheitskräften bewaffnet und ausgebildet.

Immer wieder verschwinden Menschen. Frauen werden vergewaltigt. Hütten und Felder der indianischen Bevölkerung werden zerstört. Viele Indianer fliehen aus ihren Dörfern, zehntausende bis zum Sommer 1998. Die Lage der Indianer ist verzweifelt. Schon beim leisesten Verdacht auf Sympathie mit dem zapatistischen Aufstand führt die Armee Großeinsätze gegen Indianerdörfer durch.  
In über 200 Gemeinden haben sich die Menschen in Chiapas zusammengetan und "autonome Gemeinden im Widerstand" gegründet, die selbstverwaltet und abseits der staatlichen Strukturen arbeiten. Eine davon ist die Gemeinde Polhó.

Bei Polhó handelt es sich um ein riesiges Flüchtlings- und Auffanglager, das Vertriebenen des Bezirks Chenalhó Zuflucht gewährt. Zur Zeit befinden sich rund 10.000 Flüchtlinge und Vertriebene aus 14 Gemeinden in den verschiedenen Lagern, einige sind schon seit Mai 1997 hier. All diese Menschen sind vor der Armee oder paramilitärischen Gruppen geflüchtet, die in ihre Dörfer eingedrungen sind, ihre Habseligkeiten gestohlen, ihre Häuser angezündet und ihr Leben bedroht haben. Die vorläufige Eskalation stellte das Massaker von Acteal im vergangenen Dezember dar, bei dem 45 Menschen, die gerade einen Gottesdienst besucht hatten, ermordet wurden.
Wenn man Polhó zum ersten Mal betritt, verharrt man betroffen angesichts der sichtlich katastrophalen Situation, in der sich die vertriebenen Menschen befinden. Die meisten leben in Unterkünften, die aus vier Pfählen bestehen, um die man notdürftig Plastik gewickelt hat. Es besteht keine Möglichkeit, Holzhütten für so viele obdachlose Menschen zu bauen, da das Holz der Umgebung nicht verwendet werden darf.
Die Wasserversorgung ist unzulänglich. Viele der Flüchtlinge beziehen ihr Trinkwasser aus Tümpeln, deren Wasserqualität äußerst schlecht ist. Da die bestehende Infrastruktur nicht ausreicht, um eine adäquate Abwasser- und Abfallentsorgung zu ermöglichen, drohen Krankheiten wie z.B. Cholera. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischen Gütern ist schlecht. Das Internationale Rote Kreuz mußte seine Arbeit auf Wunsch der mexikanischen Regierung im Jänner '98 einstellen.

Die Menschen in den Flüchtlingslagern waren in ihren Heimatdörfern Bauern. Ohne Land, das sie bestellen können, haben sie keine Arbeit und nichts zu essen. Gemeinsam machen sie sich daran, in ihre zerstörten Dörfer zurückzukehren und das Land, von dem sie das Militär vertrieben hat, wieder zu bestellen.

Wir unterstützen die Gruppen Hermano Sol und Smaliyel bei verschiedenen autonomen Projekten, die ein solidarisches, freies Leben dieser Dorfgemeinschaften ermöglichen sollen.
Nähere Infos dazu gibt's unter: hermano sol bzw. smaliyel.