Polizeiterror in Atenco
Erlebnisbericht


Mein Name ist Valentina Palma Novoa, ich bin 30 Jahre alt, von denen ich die letzten elf in Mexiko gelebt habe. Ich habe den Hochulabschluss der Escuela Nacional de Antropología e Historia (Anthropologie und Geschichte) und studiere aktuell im vierten Jahr am Centro de Capacitación Cinematográfica.

Im Folgenden möchte ich Ihnen über die Geschehnisse berichten, deren Zeugin ich während der gewalttätigen Zwischenfälle wurde, die sich am Donnerstag, 4. Mai 2006, in der Gemeinde San Salvador Atenco ereigneten und die auf ungerechte und willkürliche Weise mit meiner Ausweisung aus Mexiko endeten.

1. - Am Tag des 3. Mai, nachdem ich die Nachrichten gesehen und mich über den Tod eines 14jährigen Jungen informiert hatte, war ich als Anthropologin und Kulturfilmemacherin über den Tod des Kindes erschüttert und machte mich deshalb auf den Weg nach San Salvador Atenco, um die Situation des Ortes aufzuzeichnen. Ich verbrachte die Nacht dort, filmte die Wachposten, die von der Bevölkerung aufgestellt worden waren und interviewte diese. Es war kalt, und ich trat an die Lagerfeuer, welche die Leute des Ortes entfacht hatten, wobei ich weiter Fotos machte.
Das Licht der Morgendämmerung kündigte einen neuen Tag an: Donnerstag den 4. Mai. Es war gegen 6 Uhr früh, als die Glocken der Kirche von San Salvador Atenco zu läuten begannen: tum tum tum tum, immer wieder, während das Mikrophon schreiend kundtat, dass die Polizei sich im Ort befand. Fahrräder fuhren von einer Seite zur andern; die Bäckerei an einer der Kirchenflanken hatte schon ihre Türen geöffnet und der wunderbare Duft nach frisch gebackenem Brot erfüllte, zusammen mit dem Hin und Her der Campesinos auf ihren Rädern, die Strasse. Der Mann, der Atoles ( Maismehlgetränk ) verkaufte, sagte, dass er sich Sorgen mache, dass die Angekommenen "große Schweinehunde" wären.

Ich ging zu einem der Wachposten, wo die Campesinos in Richtung eines Haufens von Polizisten blickten, der von weitem zu sehen war. Als ich die Kamera in Stellung brachte, merkte ich, dass es viele waren und dass sie, verdeckt von ihren Schildern, kleine, kaum merkliche Schritte machten. Ich empfand Angst, sie waren viele, schwer bewaffnet und die Campesinos wenige und unbewaffnet. Im Sucher meiner Kamera sah ich, wie einer der Polizisten nach uns zielte und ein Projektil abschoss, dass, als es neben mir auftraf, Geruch zu verströmen begann und ich merkte, dass es Tränengas war. Immer mehr Tränengas begrub den Duft frischgebackenen Brots und verwandelte die enge Gasse in ein Schlachtfeld.
Schnell war die Luft nicht mehr zu atmen und ich ging zum Hauptplatz, während die Glocken heftiger schlugen und in verschiedenen Strassen die Polizei sichtbar wurde, die von weitem angerückt kam. Der wenige Widerstand seitens der Campesinos, endete angesichts des Angriffs der Polizeikräfte, die sich abrupt auf die EinwohnerInnen stürzten. Ich packte meine Kamera ein und lief zusammen mit den anderen, so schnell ich konnte. Gegenüber der Kirche gab es ein öffentliches Gebäude, dessen Türen offen waren; dorthinein stellte ich mich und wartete darauf, dass die Turbulenzen vorbeigehen würden. Zwei Jugendliche suchten dort ebenfalls Schutz. Wir sahen einander in unsere beklommenen und angsterfüllten Gesichter.
Voller Sorge ging ich vor, um auf die Strasse zu sehen und sah, wie fünf Polizisten mit Schlagstöcken und Fußtritten auf einen alten Mann einhieben, der am Boden lag. Ich empfand noch mehr Angst, ging zurück und sagte den beiden Jugendlichen, dass wir uns besser verstecken müssten, dass wir hier zu sehr präsentiert waren. Wir stiegen auf das Flachdach und starrten auf dem Rücken liegend die Helikopter an, die wie große Schmeißfliegen den Himmel durchsurrten, während die Schüsse, die aus dem Ort ertönten, zu einem Teil der Landschaft wurden. Ein Mann schrie uns mit gewaltsamer Stimme zu: "Die Schweinehunde auf dem Dach sollen herunterkommen". Die Jugendlichen kletterten zuerst hinab; von oben sah ich, wie sie sie schlugen, bekam Panik, gehorchte jedoch einem Polizisten, als er mich anschrie: "Komm' runter, du Hündin, komm' sofort runter." Ich stieg langsam hinunter, erschreckt davon zu sehen, wie sie die beiden Jugendlichen auf den Kopf schlugen. Zwei Polizisten schoben mich vorwärts, während zwei andere mich mit ihren Stöcken auf den Oberkörper, den Rücken und auf die Beine schlugen schlugen.

Meine Schmerzensschreie wurden lauter, bis ich eine Stimme hörte, der für die Liste der Festgenommenen nach meinem Namen fragte; ich antwortete: "Valentina, Valentina Palma Novoa", während ein Polizist befahl, dass ich den Mund halten sollte und ein anderer auf meinen Oberkörper einschlug. Eine Männerstimme befahl, mich mit den Schilden zu verdecken, damit nicht zu sehen war, wie sie mich schlugen. An einer Seite der Kirche blieben sie stehen und befahlen dort, dass ich mich zusammen mit den anderen Festgenommenen hinkniete und die Hände im Nacken verschränkte. Sie fuhren damit fort, uns zu schlagen. Mein Handy tönte, und eine Stimme befahl, meine Tasche zu durchsuchen. In diesem Moment raubten sie mir meine Videokamera, mein Telephon und einen kleinen Geldbeutel mit meinen Identitätspapieren und 500 Pesos. Sie zogen mich an den Haaren hoch und sagten: "Steig' in den Laster, Hure."
Ich konnte mich kaum bewegen und sie verlangten, dass ich extrem schnell machen sollte. Sie stießen mich auf die anderen verletzten und blutenden Körper und befahlen mir, den Kopf in eine Blutlache zu senken. Als ich das nicht tun wollte, zwang mich ein schwarzer Stiefel über meinem Kopf dazu. Die Motoren des Lasters starteten, und auf der Strecke wurde ich von vielen Polizeihänden begrapscht. Ich schloss nur die Augen und presste die Zähne zusammen, in der Hoffnung, dass das Schlimmste nicht passieren würde. Meine Hosen waren heruntergezogen, als der Laster hielt und man mir befahl auszusteigen, was ich ungeschickt tat.
Eine Polizistin sagte: "Überlasst diese Hündin mir" und versetzte mir Ohrfeigen mit beiden Händen. Ich fiel hin und zwei Polizisten packten mich, um mich zu einem Bus zu bringen, entlang einer Reihe von Polizisten, die nach uns traten. Im Bus fragte mich eine andere Polizistin nach meinem Namen, während zwei männliche Polizisten brutal meine Brüste kniffen und mich auf den Körper eines alten Mannes warfen, dessen Gesicht blutverkrustet war. Als er meinen Körper auf sich spürte, schrie er auf vor Schmerz. Ich versuchte mich zu bewegen, aber ein Tritt in den Rücken bremste mich; mein Schrei ließ den alten Mann ebenfalls wieder aufschreien, der Gott um Mitleid anflehte. Eine Frauenstimme wies mir einen Platz hinten im Bus zu; ich begab mich dorthin und konnte von da aus die blutigen Gesichter der übrigen Festgenommenen sehen und das Blut, das überall auf dem Boden versprengt war. Obwohl ich selbst nicht blutete, waren meine Hände und meine Kleider mit dem Blut der anderen Verhafteten bespritzt.

Ruhig und dem Jammern der Körper neben mir lauschend, hörte ich, wie sie weitere Gefangene in den Bus brachten und unter Schlägen und Schmerzensschreien nach ihren Namen fragten. Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging, aber die Türen des Busses schlossen sich und er fuhr los. Wir waren ungefähr zwei oder drei Stunden unterwegs. Jede kleine Bewegung zog einen weiteren Schlag nach sich. Ich schloss die Augen und versuchte zu schlafen, aber das Jammern neben mir ließ es nicht zu; der alte Mann sagte: "Mein Bein, mein Bein. Gott, Mitleid, Mitleid bitte:" Ich weinte bitterlich und dachte, der alte Mann würde neben mir sterben.
Ich bewegte meine Hand und versuchte, ihn zu berühren, um ihm ein wenig Wärme zu geben, doch ein Schlagstock traf meine Hand und ich bat mit einer Geste den Polizisten um Mitleid und damit aufzuhören, mich zu schlagen. Weil ich ihm ein bisschen Liebe geben wollte, streichelte ich das Bein des Alten, der für ein paar Augenblicke aufhörte zu jammern. Ich fragte ihn nach seinem Namen und er antwortete mir: "Wenn ich sterbe, weinen Sie nicht. Machen Sie ein Fest, bitte." Ich weinte still vor mich hin; in der Gesellschaft anderer geschlagener Körper, dachte ich das Schlimmste, dass sie uns wer weiß wohin brächten und uns alle dort umbringen und verschwinden lassen würden. Einen Moment lang schlief ich, aber der Geruch von Blut und Tod weckte mich auf. Als ich die Augen öffnete, sah ich eine Gefängnismauer.

Der Bus hielt an und eine Stimme befahl, dass wir durch die hintere Tür aussteigen sollten. Sie befahlen mir, stehenzubleiben, die Tür ging auf und eine Reihe von Polizisten blickte in mein weinendes und unbedecktes Gesicht; ich bekam wieder Angst. Draußen befahl eine Stimme, die Türe zu schließen und dass die Festgenommenen mit bedeckten Gesichtern herauskommen sollten. Ein Polizist bedeckte mir den Kopf mit meinem Umhang und die Tür öffnete sich wieder. Vor dem Bus packte ein Polizist mich an der Hose und drückte mit der anderen Hand meinen Kopf nach unten. Die Reihe der Polizisten begann, auf uns einzutreten. Die Tür der Strafanstalt ging auf und unter Schlägen und Fußtritten führten sie uns durch enge Gänge. Bevor wir an einem Untersuchungstisch ankamen, beging ich den Fehler, den Kopf zu heben und in die Augen eines Polizisten zu sehen, der meinen Blick mit einem harten Schlag mit geballter Faust in meinen Magen beantwortete, so dass mir für Momente die Luft wegblieb. An dem Tisch fragten sie mich nach Namen, Alter und Nationalität; danach brachten sie mich in einen kleinen Raum, indem eine dicke Frau mir befahl, sämtliche Kleider auszuziehen. Angesichts meiner Ungeschicklichkeit, verursacht durch die Schläge, befahl sie mir mehr Tempo. "Señora, ich wurde sehr geschlagen, warten Sie bitte", sagte ich zu ihr. Sie durchsuchte mich, ich zog mich wieder an und sie bedeckte mein Gesicht wieder mit dem Umhang. Ich verließ den Raum und sie befahlen uns, eine Frauenreihe zu bilden, um formiert und mit dem Kopf nach unten in den Gefängnishof zu treten.

Es war 14 Uhr, Donnerstag, 4. Mai, als wir uns bereits innerhalb der Strafanstalt befanden. Sie brachten uns in einen Speisesaal und trennten Männer und Frauen. In einer Ecke und unter dem Weinen der Frauen erzählten wir einander die Quälereien, deren Ziel wir gewesen waren. Eine junge Frau zeigte mir ihre zerrissene Unterwäsche und ihren Kopf mit einer offenen Wunde voller Blut. Eine andere berichtete, dass sie sie geschlagen, gequält und zu ihr gesagt hatten: "Wir werden dich umbringen, Hure." Eine weitere Jugendliche erzählte mir, dass sie wahrscheinlich schwanger war ; alles unter Weinen und solidarischem Händedrücken.
Der Zustand von Schock unter den Frauen war deutlich. Gegenüber redeten die Männer untereinander und wir sahen ihre blutigen Gesichter, die von den brutalen Schlägen deformiert waren. So standen wir, als eine Frau zu uns herkam, einige Namen nannte und befahl, dass diese Personen aus der Gruppe heraustreten sollten. Wir waren vier: Cristina, María, Samantha, Valentina. Eine fünfte kam zur Gruppe hinzu: Mario. Wir waren fünf verhaftete AusländerInnen.

Dann kam ein Mann, ich glaube, es war der Gefängnisdirektor und sagte zu uns, dass wir, da wo wir uns befanden, sicher seien; dass uns hier niemand schlagen würde; dass das, was außerhalb der Strafanstalt geschehen war, nichts mit ihm zu tun habe und dass wir innerhalb des Gefängnisses auch nicht geschlagen worden waren. Wir baten ihn, einen Aufruf, eine Petition zu machen, was er uns verweigerte, indessen die sichtlich schwerverletzteren Verhafteten zur internen medizinischen Station gebracht wurden. Es handelte sich nicht um eine oder zwei; von einhundert und ein paar festgenommenen Personen, waren 40 Schwerverletzte. Einer, der zuerst weggebracht wurde, war der sterbende, alte Mann, der neben mir im Bus gelegen hatte und den ich nie mehr wiedersah.
Nun kamen wir AusländerInnen an die Reihe zur medizinischen Untersuchung. Ich hatte Blutergüsse am Oberkörper, dem Rücken, den Schultern, den Fingern, an Oberschenkeln und Beinen. Es wurde empfohlen, meine Rippen zu röntgen, weil ich Atemprobleme hatte; aber es wurde nicht gemacht. Die aufnehmende Krankenschwester und der untersuchende Arzt handelten in völliger Gleichgültigkeit gegenüber meiner Person und den Verletzungen. Ich verließ das Arztzimmer und wartete auf das Ende der Untersuchungen von Cristina, María, Samantha und Mario.
Die Pseudountersuchung war beendet, und sie brachten uns in einen Saal, um unsere Erklärungen aufzunehmen. Überraschenderweise tauchte ein Lizensat auf, der uns empfahl, dass wir keine Erklärung abgeben sollten, im Widerspruch zu den Schreibkräften an den Maschinen "Es ist gut, wenn du dich nicht erklären willst, das ist dein Recht; aber es wäre gut, wenn du einen schriftlichen Beweis über das hinterlassen würdest, was dir geschehen ist", sagte eine Lizensatin zu mir. Während wir unsere Erklärungen abgaben, trafen viele Männer mit Krawatten ein, die sich humorvoll und freundlich gaben und uns fragten, wer wir sind und weshalb wir nach Atenco gekommen waren, obwohl wir doch bestimmt wüssten, wie gefährlich die Leute dort seien. Es regnete und sie verlegten uns zu den anderen Verhafteten in den Speisesaal und befahlen uns, uns so hinzusetzen, dass wir keinen Kontakt mit den mexikanischen Festgenommen aufnehmen konnten. Wenn wir das Bad benutzen wollten, mussten wir um Erlaubnis fragen.

Menschenrechtsbeamte erschienen und nahmen Erklärungen und Fotos von unseren Verwundungen auf; die Erklärungen wurden ohne Interesse aufgezeichnet, mechanisch. Wir wurden gezwungen, unsere Fingerabdrücke machen zu lassen und sie fotografierten uns von vorne und beide Profile. Sie sagten , es handele sich nicht um eine Registrierung, sondern es wäre eine notwendige Untersuchung, denn höchstwahrscheinlich würden wir am frühen Morgen freigelassen und deshalb müssten sie die Daten aufnehmen. Ein Topf kalter Kaffee und eine Kiste mit Milchbrötchen waren das Abendessen. Es war Mitternacht, und ich legte mich auf einer harten Bank hin, um zu versuchen, ein wenig zu schlafen.
Es war unmöglich, denn es war kalt und ich hatte keine Decke. Auf der Männerseite bemerkte ein Rasta meine Schlaflosigkeit und wir fingen an, uns per Zeichen miteinander zu unterhalten. Dahinein kam eine Wache und nannte die Namen der fünf AusländerInnen. Wir standen auf, sagten den anderen Festgehaltenen ein kleines Adiós und verließen den Ort.
Sie brachten uns zu einer Registrierstelle, gaben uns unsere paar Sachen und brachten uns weg, zu einem Laster, der uns, wie sie sagten, in ein Migrationsbüro in Toluca bringen würde. Von außerhalb der Haftanstalt hörte ich bekannte Stimmen, die meinen Namen riefen. Ich trat an die Gitter und konnte viele meiner FreundInnen ausmachen, die fragten, wie es mir gehe. Ich sagte, mehr oder weniger gut und dass sie uns zur Migration in Toluca brächten. Sie sagten, dass sie folgen und mich nicht allein lassen würden. Meine Tante Mónica überreichte mir einen Umschlag mit meinen Einwanderungspapieren und María Novaro, meine Lehrerin und Mamá in México, gab mir einen Umhang gegen die Kälte.

So stieg ich in den Bus, der seine Türen schloss und verdeckt fuhren wir los. Wir hielten in einem Büro in Toluca, um eine Lizensatin aufzunehmen und von dort aus brachten sie uns zur Migrationsstation in den Bergen von DF. Es war drei Uhr früh, als wir dort ankamen. Ein schlechtgelaunter Arzt nahm ein weiteres Mal die Verletzungen auf. Dann schliefen wir ein wenig, denn unsere Ankunft entsprach nicht den Öffnungszeiten des Büros, weshalb nur wenige Beamte anwesend waren. Um sieben Uhr brachte ein Gehilfe uns Getreide mit Milch. Dann nahmen sie mir eine Erklärung ab; eine Erklärung bei der sie außerdem meine persönlichen Daten wissen wollten und Fragen stellten, wie: "Kennst du die EZLN? Warst du in der Universitätsstadt? Hast du am Wasserforum teilgenommen? Kennst du andere festgenommene AusländerInnen?", etc.
Ich unterschrieb die Erklärung, die zusammen mit einem Brief meines Lerninstitutes, einem Brief meiner Lehrerin María Novaro, meinem Pass, meinem chilenischen Identitätsausweis und meiner Beglaubigung als internationale Studentin meinen Einwanderungsdokumenten beigefügt wurde. Dann erhielt ich einen Anruf des chilenischen Konsuls in Mexiko, der mich nach meinem Namen fragte, meiner Ausweisnummer und ob ich irgendwelche Verwandte in Mexiko hätte. Er sagte, was er tun könne, sei zu überwachen, dass der entsprechende Prozess unter legalen Bedingungen vollzogen würde. Dann setzte ich die Erklärung fort und die Fragen nach der EZLN, Subcomandante Marcos und Atenco wurden wiederholt. Inzwischen hatten sich vor der Migrationsstation FreundInnen und Angehörige versammelt, mit denen mir nicht zu sprechen erlaubt wurde. Ich versuchte es per Zeichen und Schildern, aber auch das wurde uns untersagt. Sie brachten mich in einen Raum, indem sich drei Männer befanden, die mir sagten, sie wären hier, um mir zu helfen. Dann fotografierten sie mich erneut von vorn, beide Profile und nahmen jeden Moment der Unterhaltung auf Band auf. Sie fragten mich nach meinem Namen; ob ich Decknamen hätte; ob ich die EZLN kenne; ob ich in der Selva Lacandona gewesen war; welche Filme ich vorhätte zu machen und nach Namen, die ihnen Aufschluss über mein Vorleben gäben. Sie sagten mir, dass meine Freundin América del Valle sich Sorgen um machen machte, weil ich während des Versuchs in Atenco zu entkommen, verloren gegangen war.

América del Valle hatte mir kürzlich in Chile mitgeteilt, dass sie eine der FührerInnen in Atenco ist, die von der Polizei verfolgt werden. Nach Beendigung des Verhörs wurden alle Angaben mit einer raffinierten Maschine in einen Computer eingegeben. Sie brachten mich in einen anderen Saal, in dem drei Besucherinnen der Nationalen Kommission für Menschenrechte warteten und nachdem die zwei Spanierinnen und ich ihnen berichtet hatten, was wir erlebt hatten, empfahlen sie uns, unverzüglich einen Anwalt zu verlangen, um rechtlichen Schutz gegen eine mögliche Ausweisung einzuklagen.
Die Atmosphäre war drückend und deshalb verlangte ich von einer der Anwältinnen Stift und Papier, um "Einen Anwalt" darauf zu schreiben und das durchs Fenster meinen FreundInnen draußen zu zeigen. In diesem Augenblick kam ein Lizensat für Migration herein der, als er mich schreiben sah, fragte: "Brauchst du einen Anwalt? Ich bin Anwalt, was ist dein Problem?" Ich sagte ihm, dass ich Ausweisungsschutz beantragen will, woraufhin er mir antwortete, dass dieser unangebracht wäre, weil dafür ein einmonatiger Aufenthalt in der Migrationsstation nötig ist und dass es viel wahrscheinlicher wäre, dass wir bald freigelassen würden. Die Menschenrechtlerinnen unterbrachen ihn und verlangten, dass er mich mit den Leuten draußen reden lassen sollte. Ein Besuch wurde zugestanden, und ich durfte fünf Minuten mit Berenice sprechen, der ich sagte, dass ich Ausweisungsschutz bräuchte und sie antwortete, dass es diesen schon gäbe. Zum zweiten Mal brachten sie mich zu einer ärztlichen Untersuchung in der Migrationsstation. Diese wurde von einem plötzlich erscheinenden Lizensaten unterbrochen, der den Vorgang beschleunigte und sagte, dass ich anderswohin verlegt werden würde. Auf meine Frage wohin, gab er mir keine Antwort.
Beim Verlassen der medizinischen Station traf ich eine der Besucherinnen für Menschenrechte, die ich darum bat, meinen FreundInnen draußen mitzuteilen, dass sie mich verlegten. Ich fragte den Lizensaten, wohin ich gebracht würde und er sagte, zu den Zentralbüros für Migration. Sie ließen mich nicht mit ihm weiterreden und brachten mich in einen gesondertes Wagen, indem auch Mario, mein Landsmann, war. Mit mir stiegen drei Polizisten ein, die Türen schlossen sich und ein Polizist befahl, die Fenster zu schließen. Das Gittertor der Migrationsstation ging auf, und der Wagen schoss los, als ob er entkommen wollte. Wir fuhren durchschnittlich mit 100 Stundenkilometern, bei beachtlichem Verkehr. Ich fragte, wohin sie uns brächten, erhielt jedoch keine Antwort. Mitten auf der Strecke bemerkte ich, dass wir auf dem Weg zum Flughafen waren und dass vor uns zwei weitere Wagen fuhren, einer mit Samantha, der Deutschen und ein anderer mit María und Cristina, der beiden Spanierinnen.

Vor der Unausweichlichkeit der Ausweisung blieb mir nichts weiter, als die Augen zu schließen, die Zähne zusammenzubeißen und zu denken: Eine Vergewaltigung mehr. Um 18 Uhr trafen wir am Flughafen ein. Wir stiegen aus den Autos und betraten unter Bewachung einen komplett weißen Raum, in dem sie uns eine Stunde oder länger festhielten. Dann brachten sie uns in die Wartesäle im Flughafeninnern, wo sie uns weiter bewachten. Zuerst kam der Flug von Samantha. Wir warteten weiter, und ich konnte nicht anders als zu weinen; es ging mir schlecht; ich beherrschte mich und versuchte im Gang auf und ab zu gehen; aber eine Wache sagte mir, dass ich mich hinzusetzten hätte. "Ich fühle mich schlecht", antwortete ich ihm," ich werde nicht versuchen, zu fliehen, lass mich."
Ich weinte weiter und ein Polizist kam zu mir her und sagte: "Weine nicht, ich bin nicht einverstanden mit dem, was hier passiert. Wenn es dich tröstet, lass dir sagen, dass du nicht deportiert wirst. Das du nur außer Landes gebracht bist, es aber jederzeit wieder betreten kannst." Seltsamerweise beruhigten mich seine Worte. Sie brachten uns in eine Bar, wo wir ein paar Zigaretten rauchten, da wir alle sehr aufgeregt waren. Der Flug der Lan Chile wird um 23 Uhr angezeigt und Mario und ich werden aufgerufen. Mit einer festen Umarmung verabschieden wir uns von María und Cristina.
Dann reihen wir uns ein und betreten das Flugzeug. Drinnen kommt ein Passagier zu mir her und übergibt mir ein paar Briefe, die mir meine FreundInnen schicken, die draußen alles mögliche versucht haben, um die Ausweisung aufzuhalten. Mir kommen die Tränen, weil ich mich nicht allein weiß. Der Wachbeamte neben mir fragt mich, was mir passiert wäre, und ich erzähle ihm meinen Fall. Ich sage ihm, dass ich seit 11 Jahren in Mexiko lebe, dass mein Leben in diesem Land liegt, dass ich geschlagen und von der Polizei gequält worden bin. Er sagt mir, dass er erst 30 Minuten vor Einstieg in die Maschine darüber in Kenntnis gesetzt worden war, dass er nach Chile fliegen würde; dass ihm nicht gesagt worden war, worum es ging; aber dass er sicher gewesen war, dass es sich um einen besonderen Vorgang handelte, denn bevor eine Person abgeschoben wurde, befand sie sich normalerweise mindestens einen Monat lang in der Migrationsstelle und dass es eine Anordnung von oben ist. Die Müdigkeit und Ohnmacht sind zuviel, ich schlafe ein. Mit den Kordilleren der Anden im Fenster des Flugzeugs wache ich auf. Wir steigen aus der Maschine. Die Internationale Polizei empfängt uns und nimmt uns eine Erklärung bezüglich unserer Abschiebung und / oder Ausweisung ab. Draußen wartet meine Familie; Weinen, Küsse, Umarmungen. Wir fahren in ein Krankenhaus, um die Verletzungen bescheinigen zu lassen und organisieren schnellstens eine Pressekonferenz in Radio und Fernsehen, auf der wir die Illegalität unserer Ausweisung und die Polizeibrutalität, deren Ziel wir gewesen waren, anklagen.

2.- Nachdem ich dies berichtet habe, möchte ich die Unangemessenheit und meine absolute Ablehnung und Wut kundtun, gegenüber:
a) der Anwendung physischer, psychologischer und sexueller Gewalt als Waffe der Folter und Nötigung gegenüber den Frauen
b) der Polizeibrutalität, deren Ziel, unabhängig von unseren Nationalitäten, alle Verhafteten gewesen sind
c) der Illegalität meiner Ausweisung in zweifachem Sinn: Weil ich ordnungsgemäße Einwanderungspapiere besessen habe und weil die dargestellte Ablehnung des Abschiebeschutzes bereits meine Abwesenheit begründete als ich mich noch in Mexiko aufhielt

3.- Wegen der zuvor dargelegten Prioritäten, studieren wir mit unseren Anwälten, wie mit unseren Aktionen folgendes erreicht werden kann:
a) die Wiederherstellung des Rechts auf Fortsetzung unseres Studiums in Mexiko, durch alle erdenklichen Schritte seitens der chilenischen und mexikanischen Regierungen
b) Schritte auf diplomatischer Ebene der mexikanischen Botschaft in Chile
c) ein Strafantrag gegen die Polizei wegen des Vergehens der Körperverletzung
d) die Einleitung einer Klage gegen den Staat Mexiko, wegen illegaler Abschiebung

Keine Vergewaltigungen!
Frauen und Männer dürfen nicht als Objekte benutzt werden!
Keine Brutalität und Folter, keine Rechtfertigung der Gewalt!

Valentina Palma Novoa