Die fünfte Woche der otra campaña


Nach den Staaten Chiapas, Campeche, Yucatán, Quintana Roo, Tabasco und Veracruz zog die otra campaña eine Woche lang durch Oaxaca. Die allgemeine Stimmung und was aus der anderen Kampagne geworden ist, wird hier beschrieben, Details aus Oaxaca folgen...


So wie im vergangenen Monat trifft der Zapatisten-Spokesman Subcomandante Marcos alias Delegado 0 die nächsten fünf Monate mit Leuten und Organisationen zusammen mit dem Ziel zuzuhören und den einfachen und simplen Menschen einen Raum zu schaffen, wo ihnen zugehört wird. Und so wie im letzten Monat war der Rhythmus der anderen Kampagne auch in Oaxaca atemberaubend. Zwei oder drei Begegnungen täglich sind Standard, manchmal sind es auch vier. Das Werkzeug darf nicht fehlen: das Notizbuch, in dem mitgeschrieben wird, und natürlich die offenen Ohren. Jeder und jedem, die das Wort ergreift, wird zugehört, allen schaut der Delegierte in die Augen, und alle finden einen Eintrag im Notizbuch, vor allem jene, die ihre Geschichte erzählen oder von ihren Freund/innen und Bekannten in den Gefängnissen erzählen.

Viele formulieren ihre Forderungen und Hilferufe, andere decken die unverschämte Korruption auf und berichten von der offen gewalttätigen Repression und Einschüchterung, die denen blüht, die dagegen ankämpfen. Natürlich fehlen auch die nicht, die schon immer mal ihre Stimme durch den Verstärker hören wollten und es dabei belassen, dem Sup zu danken, ihn willkommen zu heißen und ein lautes "Ya Basta" ins Mikrophon zu brüllen. Auch für sie gibt es ein offenes Ohr und ein lächelndes Auge, vermutlich weil sie, wenn auch nicht so eloquent, begriffen haben, worin die Motivation der ganzen Unternehmung besteht.

Es ist ein Marathon für die Konzentrationsfähigkeit eines jeden, der die Kampagne ein paar Tage begleitet, aber vermutlich hat sich der Delegierte Null im Laufe der Zeit einiges an Konzentrationsfähigkeit antrainiert. "Uns gibt es nicht erst seit 1994", erklärte er Anfang Jänner in Tuxtla Gutierrez. "Seit 1984 sind wir von Dorf zu Dorf gereist, haben mit den Leuten geredet und versucht, Dinge zu finden, die uns verbinden. Dann sind wir wiedergekommen und haben wieder mit den Leuten geredet...". Es hat seine Zeit gebraucht, bis dieser Prozeß zu Ende war, aber was 1994 dabei rausgekommen ist, ist heute fester Bestandteil der Geschichte von Chiapas und Mexiko.

Der Prozeß ist langwierig, aber überall, wo der Delegierte Null hinkommt, passiert das gleiche. Isolierte Kämpfer begegnen sich, lernen sich kennen und hören einander zu. Teilweise tun sie es zum allerersten Mal, und ein Fixpunkt besteht darin, den einfachen und schlichten Leuten, um die es in dieser Bewegung von links-unten geht, das Wort zu überlassen, auch wenn es keine geschliffene Rede ist, von Wiederholungen und Redundanzen strotzt und mitunter unzusammenhängend oder gar unlogisch ist, was sie los werden wollen. "Hört einander zu und versucht, den anderen zu verstehen, vor allem all jene, die nicht gut reden können oder das Wort überhaupt nicht ergreifen. Wenn nicht einmal ihr einander kennt, wie sollen sie euch in Chihuahua kennen lernen?" ist die immer aufs Neue wiederholte Botschaft, die Marcos von den Zapatisten überbringt.

Aufgebrochen um zuzuhören, die einzelnen Kämpfer in ganz Mexiko zum gegenseitigen Zuhören zu motivieren und eine Plattform zu schaffen, um Netze zu knüpfen, Verbündete kennenzulernen und Allianzen zu schmieden, entfachen die Zapatisten an jedem Ort ein kleines Buschfeuerchen. Der neoliberale Wind wird das seine tun, um die Feuerchen weiter zu entfachen, und Marcos verkündet immer wieder, daß la otra campaña nur ein Anfang ist, daß die Zapatisten schon im nächsten Jahr wiederkommen werden, um die Feuer, die weitergebrannt haben, zu schüren, Brennstoff nachzulegen und am Flächenbrand zu arbeiten.


Ixtepec

Auf dem Gipfel eines Hügels mitten in den Bergen scheint die Sonne warm und grell vom Himmel und es riecht nach Almluft und Kuhdung. Zirka 100 Menschen haben an der Prozession mit Weihrauch und Marienbild teilgenommen und lauschen nun der impulsiven Ansprache einer 70jährigen. Vermutlich versteht kein einziger der zahlreichen Medienmenschen auch nur ein Wort, denn die Rede wird auf Totonaco gehalten. Dennoch, an der Kernbotschaft der furios dargebrachten Rede besteht kein Zweifel: 30 Pesos (Totonaco entlehnt Zahlen aus dem Spanischen) sind eine Unverschämtheit, die man nicht länger tolerieren kann: ¡Ya basta!

Diese Ansicht scheinen die anwesenden Totonac@s zu teilen, ein paar in recht schäbigem Gewande, viele aber in strahlend weißen Huipiles und geschmückt mit blendend-farbiger Blumenpracht. Alle strotzen sie vor Würde. Wahrscheinlich haben so manche extra für die Prozession zu Ehren des außergewöhnlichen Gastes und seiner Medienleute das schöne Gewand herausgeholt und so für eine ganz besondere Stimmung bei der Ankunft des Subcomandante Insurgente in Ixtepec gesorgt.

Der Sup wird in Empfang genommen und in ein Viereck aus Blumenträgerinnen, einem Weihrauchkelch und einem Marienbildnis eingeschlossen. Nach der Einräucherung setzt sich die Prozession in Bewegung und durchquert das gesamte Dorf. Vorbei an den bescheidenen Häusern, den neugierigen Gesichtern und den zum Trocknen aufgebreiteten Kaffeebohnen, immer begleitet vom Knipsen, Surren und den eiligen Schritten der Fotografen. Eine halbe Stunde lang schreitet das Ensemble durch die aufgeheizte Bergluft, viele der Totonacas sogar barfuß. Schließlich hört der Asphalt auf und ein Almweg löst die Strasse ab, bis wir an der Hügelkuppe anlangen.

Die Reden konzentrieren sich vor allem auf die Fragen, die in indigenen und ländlichen Gebieten relevant sind: Wasser, Umwelt, Landfragen und die Rechte der Totonac@s und Nahuats. Auch eine höhere Schule für Nahuats stellt sich vor, und der Vorstand schildert die Probleme, die so eine Schule vom Staat beschert bekommt. Marcos Rede schließlich beginnt ganz von vorne, und das ist gut so, denn hier in den Bergen Pueblas kennt ihn kaum wer. Also stellt er sich vor, beschreibt den Kampf der Zapatisten, wie er schon lange vor 1994 begonnen hat, und lädt die Anwesenden ein, ebenso den Kampf aufzunehmen.

Danach das Treffen mit den Repräsentanten der einzelnen Organisationen. In einem kleinen Haus ein bißchen weiter unten, sitzen acht Repräsentant/innen der jeweiligen Gruppen an einem Tisch mit dem Delegado Zero, umringt von ebenso vielen Journalist/innen, manche aufdringlich, manche weniger störend. Die Organisationen stellen sich unbeirrt vor und reden über das, was sie bewegt. Mehrfach ist die Rede von etwas wirklich Anderem und einer realen Autonomie. Andere bringen wohlformulierte und -argumentierte Fragen und Kritikpunkte an der Sexta und der Position der EZLN im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf vor; was gesagt wird, klingt einigermaßen verzweifelt, ja sogar radikal.

Plötzlich schickt der Subcomandante die Presse hinaus, zum ersten mal in den zwei Wochen. Während wir rausgehen, sehen wir noch, wie er seine Sachen nimmt und sich näher zu den Anwesenden setzt. Keiner weiß, was da hinter den Türen gesprochen wird, und plötzlich wird klar, wie la otra campaña auf verschiedenen Ebenen arbeitet. Vom banalen, bisweilen fast lächerlichen acto publico bis hin zur Sitzung hinter der verschlossenen Tür und dem bilateralen Email-wechsel. "Ein Jammer, daß wir immer dann gehen müssen, wenn es wirklich interessant wird", sagt Hermann Bellinghausen von La Jornada, "aber es ist eben nicht alles für alle bestimmt. Wer weiß schon, was da jetzt für Pläne geschmiedet werden." Klar ist nur, daß WIR bei weitem nicht alles wissen...


Michael Kummer