La Jornada Interview mit Subcomandante Marcos
Was oben passiert, tritt in den Hintergrund


In seinem ersten Presseinterview seit fünf Jahren, bringt Delegado Zero seine Überzeugung zum Ausdruck, dass ein politischer Wechsel notwendig ist, der aber mit der Anderen Kampagne gewaltlos verlaufen wird. Mexiko befindet sich inmitten einer schweren Krise, in der die politische Klasse als Ganzes aufgehört hat, die Gesellschaft zu respektieren.
Seiner Meinung nach bietet keiner der Präsidentschaftskandidaten eine Lösung für diese nationale Krise. Madrazo schlage eine unmögliche Rückkehr zur kriminellen Vergangenheit vor; Calderón würde den Faschismus etablieren, der die Armee und die Polizei auf die Strasse loslässt, und López Obrador einen Staat, der dem Kapitalismus dient (ganz gleich was die Linke behauptet), durch die Errichtung einer neuen autoritären Struktur, welche die Probleme der Unteren nicht löst.


Es gibt jene, die sagen, die Andere Kampagne würde der Rechten in die Hände spielen, dass sie die Option der Linken für die Präsidentschaft, das heißt López Obrador, sabotiert. Ist das wahr, oder welches Ziel verfolgt die Andere Kampagne?

Erstens, stimmt es nicht, dass so viele Menschen AMLO als Option der Linken betrachten. Indem sie die politische Klasse kritisiert, blickt die Andere Kampagne von unten nach oben. Sie sagt, dies sind die Probleme, dies ist das System, und die politische Klasse stellt sich stets als Hauptverantwortlicher oder Überträger heraus, bei dieser Ungerechtigkeit, bei dieser Zerstörung, bei diesem Verbrechen, dieser Repression, ganz gleich welcher Partei sie angehört. Das haben wir in Yucatán mit der PAN (Nationale Aktionspartei) gezeigt; in Quintana Roo, Campeche, Veracruz mit der PRI (Partei der Institutionellen Revolution). Wir haben die Namen genannt, und zu welcher Partei sie gehören. Aber da die Massenmedien das nur López Obrador anhängen wollen, veröffentlichen sie nur die Kritik gegen AMLO, und das Übrige wird unterschlagen.


Aber letztes Jahr, zu Beginn der Anderen Kampagne, war man der Auffassung sie würde sich hauptsächlich gegen AMLO und die PRD richten.

Die EZLN wurde schon immer mit der PRD in Verbindung gebracht und musste sich klar von ihr abgrenzen. Dabei geht es nicht nur um die PRD, sondern um die gesamte politische Klasse. Denn da wurde immer so unterschieden; die politische Klasse wird kritisiert, aber die PRD davon ausgenommen. 1994 war es nicht einmal die PRD, es ging nur noch um Cuauhtémoc Cárdenas.


Es gab damals eine Annäherung zu ihm.

Ja, aber als Cárdenas nach Chiapas kam, wurde er ausgenommen, und die Kritik richtete sich gegen die PRD. Diese Beziehung gab es immer; jetzt geht es darum, die gesamte politische Klasse in unsere Kritik einzubeziehen, auch die PRD. Wir mussten das klarstellen, weil es in der Vergangenheit anders gewesen ist. Wir haben immer unterschieden: die einen nicht, die einen eventuell, die anderen vielleicht.

Wir mussten klarstellen, dass die gesamte politische Klasse in dieses Spiel eingespannt ist, dass man zwar so lange zwischen ihnen unterscheiden kann wie man will, aber nichts davon sich in einem echten politischen Vorschlag umsetzen lässt. Worin besteht der Unterschied, ob Calderón ein Hitler in der Mache ist, Madrazo ein Verbrecher und López Obrador ein Betrüger? Ob der eine klaut und der andere nicht? Welchen Unterschied macht das, wenn die Zerstörung unseres Landes letztlich die gleiche ist? Das überträgt sich nicht in einem konkreten Unterschied. Wenn die Andere Kampagne also sagt "Wir blicken nach unten", tritt alles, was oben passiert, in den Hintergrund.

Vor der Entscheidung nach unten zu blicken, gab es eine Auswertung der Vorgänge von oben. Es ging nicht nur um das Indigene Gesetz, sondern auch um das, was danach folgte, darum, wie Gesetze von der Mehrheit bewilligt werden. Einige davon erhalten ein wenig Aufmerksamkeit in der Presse, so wie das Televisa-Gesetz, andere nicht. Aber die Gesetze, die fundamental die nationale Souveränität bedrohen, wurden einstimmig von allen politischen Parteien gemeinsam bewilligt.

Was nützt es also darauf hinzuweisen, dass AMLO ehrlich ist, dass er kein Geld klaut (aber seine Gruppe schon), oder wer der offenen, der moderaten, oder der verschämten Rechte angehört? Was nützt das, wenn es letzten Endes zu dieser Krise kommt?

Wir haben zuvor erklärt, dass sich in der alten Politik alles auf die Präsidialmacht konzentrierte, aber jetzt, aufgrund dieser nationalen Krise durch den Vormarsch des Neoliberalismus, wurde die politische Klasse zerstört, sie wurde verdrängt.

Was man zuallererst verstehen muss, ist dies: Wir mussten uns von der PRD ganz spezifisch distanzieren, weil wir sie in der Vergangenheit von den anderen Parteien abgesondert haben. Das ändert nichts daran, dass wir uns widersetzt haben, als López Obradors politische Immunität entzogen werden sollte (*Übs.: um ihn an die Kandidatur zu hindern: der sogenannte "desafuero"), und zu Mobilisierungen gegen diesen Übergriff aufgerufen haben. Wir widersetzten uns dagegen wegen dem, was es darstellte, aus ethischen Gründen. Wir sind mit diesen Menschen nicht einverstanden, aber wir sind auch nicht damit einverstanden, was ihnen angetan wird. Das war unsere Position zum Desafuero, weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. In diesem Fall versuchte man, ihn aus dem Spiel zu drängen."


Aber viele meinen, die Reichen versuchten AMLO aus dem Weg zu räumen. Sie wollen nicht, dass er gewinnt, weil sie ihn als Bedrohung gegen die kapitalistische Hegemonie betrachten würden. Deshalb sei jede Kritik gegen AMLO ein Vorteil für die Rechte.

Das stimmt nicht: der mächtigste Mann dieses Landes, Carlos Slim, hat bereits versprochen, Baseball nach Mexiko zu bringen, statt immer nur Fußballteams zu sponsern, und AMLO brüstet sich mit seiner Freundschaft zu Slim.


Aber die Medien ...

Das ist das andere Problem. Die Massenmedien wollen das, was sie in der Krise des Nationalstaates gewonnen haben, nicht kampflos verlieren. Vorher regierte die politische Klasse die Medien, später in dieser Krisenperiode, regierte sie mit den Medien, und nun wird sie von ihnen regiert. Das heißt, kein kommerzielles Massenmedium wird es zulassen, dass die politische Klasse aus der Reihe tanzt. Sie sollen gehorchen und sich an die Linie halten, die für sie markiert ist. Und wenn AMLO oder Calderón, oder Madrazo, oder Patricia Mercado, oder Dr. Simi, wenn irgendeiner von ihnen aus der Reihe tanzt und versucht, ohne die Medien Entscheidungen zu treffen, dann werden sie in die Enge getrieben. Und darum geht es bei dem Aufreibungsprozess zwischen den Medien und AMLO.


Sie wollen ihn domestizieren?

Ja, sie machen ihn handzahm, ihn und die ganze politische Klasse. "Ich sag's dem einen, damit der andere es versteht." Sie fürchten sich nicht nur vor einer linken Haltung, sondern vor jeder Haltung, die sich nicht an ihre Regeln hält, und AMLO sagt "Ich werde alles verwalten, einschließlich der Medien".
López Obrador bietet eine "neue Administration" an, das ist die fortschrittlichste Politik, die es da oben gibt, aber das fällt nicht auf, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, das Wahlkampagnenspiel zu spielen, genau wie die anderen. Ich meine, wenn Madrazo eine unmögliche Rückkehr in die Vergangenheit vorschlägt, wird er nur erreichen, dass dieses Land sich ganz zugrunde richtet; Calderón schlägt die Harte Hand vor, den Faschismus, die Armee und die Polizei auf die Strasse loszulassen, und mit der repressiven Macht des Staates zu regieren, nicht durch Gesetze oder so was, auch wenn er sie Gesetze nennt.


Na ja, mit den Gesetzen, die sie erlassen.

López Obrador schlägt die Errichtung eines neuen Staates vor, weil der alte Staat sich bereits selbst zugrundegerichtet hat. Er redet nicht von einer Rückkehr zum PRI-Staat, zum Populismus und so was. Er sagt, die Sache steht so schlecht, dass wir etwas Neues brauchen, aber etwas, dass nicht an den Fundamenten des Kapitalismus rüttelt; ein moderner Staat, der diese Krise verwaltet, aber keinen neuen Kurs einnimmt.
Es ist der gleiche Vorschlag, den Lula in Brasilien gemacht hat, aber hier sagt das große Kapital, dass es kein Problem damit gäbe, die Gringos, die dieses Land eigentlich regieren, die US Regierung sagt, es gäbe kein Problem; die Banken sagen, es gäbe kein Problem; Slim sagt, es gäbe kein Problem. Die einzigen, die sagen, es gäbe ein Problem, sind die Massenmedien, weil der Kerl sich nicht an die Regeln hält. Sie befürchten, ihn so weit aufgebracht zu haben, dass er sich stark fühlt und sich von ihnen lösen möchte. Und da kommt die Sache mit den Umfragen ins Spiel.


Aber seit dem Desafuero?

Der Desafuero hat ihn nach oben gebracht. Ich meine, für AMLO war der Desafuero das beste Fördermittel überhaupt.


Der Angriff gegen ihn brachte nicht das gewünschte Ergebnis, aber sie haben ihn angegriffen.

Die Medien haben nicht mehr die gleiche Macht wie früher. Das erklärt die Krise der politischen Klasse, die Massenmedien nehmen eine Stellung ein, die sie früher nicht hatten, und auf die sie auch nicht vorbereitet sind. Deshalb verbrüdern sie sich mit der politischen Klasse und werden auch mit ihr untergehen. Sobald die politische Klasse an Autorität und Legitimation verliert, verlieren die Medien, die sich auf sie eingelassen haben, ihre Glaubwürdigkeit und stürzen mit ab.


Was passiert in Atenco?

Das ist ein Musterbeispiel. Ich hab mir alles im Fernsehen angesehen, Radio gehört, und da hieß es nur "Räumt mit ihnen auf". Bei dem Marsch haben wir Chapingo mit 1.000 Menschen verlassen, und kamen in Atenco mit 5.000 an. Wo sind diese 4.000 hergekommen? Es sind Menschen von hier. Der Marsch ist auf keinerlei Ablehnung gestoßen. Im Gegenteil, es gab Zustimmungsbekundungen. Das haben wir schon auf dem Marsch von 2001 gesehen, als die Medien über Frieden redeten und so weiter, und die Menschen anfingen herauszukommen, um die EZLN und die Indígenas zu begrüßen, in Widerspruch zu den Medien.

Wenn sie sich mit der politischen Klasse einlassen, geben die Medien ihre kritische, fragende Haltung auf, die alle Medien haben müssen. Heute kommentieren die politischen Kolumnisten nur noch, was andere Massenmedien sagen, nicht das wirkliche Geschehen. Das geht bis zu dem Punkt, an dem die Realität neu erfunden wird, wie mit Atenco.


Aber Atenco war echt, die Medien zeigten echte Szenen und es war eine äußerst ernste Situation, mit viel Gewalt; viele Menschen hatten zu leiden und ein ganzes Dorf wurde angegriffen.

Nein, die Entwicklung, so wie ich sie auf TV Azteca gesehen und im Radio gehört habe, lief folgendermaßen. Als es zur ersten Konfrontation kam, das heißt, als die Polizei anfing durchzudrehen, fing die Nachrichtensprecherin an zu sagen: "Wie ist das möglich? Schickt die Polizei rein!"
Sie riefen lautstark zu einer gewaltsame Aktion gegen Atenco auf. Dann erfolgte der Polizeiangriff, und man kriegte in den Medien nur Bilder zu sehen, auf denen Atenco-Bewohner die Polizisten schlagen, und nichts von dem, was die Polizisten taten.
Dass die Medien zu diesen repressiven Maßnahmen aufgehetzt hatten, wurde nie zur Sprache gebracht. Die Sprecher sagten: "Wir können nicht zulassen, dass unser Publikum so etwas sehen muss (obwohl sie ja die Bilder selbst herumzeigten), die Autorität muss intervenieren, und hart durchgreifen, um Ordnung zu schaffen". Sie lasen zunächst auch zwei Zuschauerbriefe vor, die fragten: "Wie kommen Sie dazu, so etwas zu fordern? Wenn die Polizei reingeht, wird alles noch schlimmer?", und daraufhin keine mehr, weil die sich alle gegen ihre Berichterstattung richteten.

Als sie anfingen, Ignacio del Valle und die Compas von Atenco und der Front der Dörfer in Verteidigung des Landes (FPDT) als "eine Bande von Agitatoren und Gewalttätern" zu bezeichnen und was weiß ich noch alles, wurden nur Bilder gezeigt, in denen sie als Aggressoren zu sehen sind, nichts von dem, was später erfolgte. Nach der Angstkampagne kam der Marsch von Chapingo nach Atenco. Es kommt ein Augenblick, an dem sogar die Medien ihre Grenzen erreicht haben. Die Menschen sagten: "Das sind die gleichen, die mich auch gedemütigt haben". Das heißt, wen werden sie schon überzeugen können, Mitgefühl für einen verprügelten Polizisten zu fühlen, wenn es gerade die Polizisten sind, die sie berauben, verprügeln und vergewaltigen?"


Aber es heißt, jetzt, da wir in einer Demokratie leben, gehorcht die Polizei der legitimen Regierung, und deshalb muss man auf Seiten der Polizei, gegen die Gewalttäter von Atenco stehen.

Das sagt man vielleicht oben, aber nicht unten. Welche Legitimation kann die Polizei des Bundesstaates von Staates Mexiko oder von Mexiko Stadt haben? Sie hat nie irgendetwas zum Nutzen der Allgemeinheit getan. Alle von unten in Mexiko wissen das. Deshalb müssen sie auch ständig die Polizeiapparate verstärken, weil sie immer weniger zuwege bringen.


Es heißt auch, dass Atenco von Marcos aufgehetzt worden wäre.

Hätte es einen organisierten Widerstand gegeben, wäre er besser ausgeführt worden. Es gibt da dieses kritische Bild, auf dem mehrere Menschen einen Polizisten am Boden treten. Da kann man genau sehen, diese Menschen sind wütend und außer Kontrolle. Das heißt, sie waren nicht organisiert; einer hätte sagen können, nehmen wir ihn lieber fest, fesseln ihn und nehmen ihn mit. Sie hätten ihn ausliefern können, ihn im Auge behalten, oder keine Ahnung was. Aber was bringt es, ihn zu treten? Wofür?

Im Fall der Schlucht von Los Sauces (Cuernavaca), haben wir die Vertreibung gestoppt; beim Bau von La Parota, haben wir sie gestoppt, im Fall der Tankstelle in Cuautla wurde sie auf Eis gelegt. Und in vielen anderen Teilen des Landes, die wir besucht haben, wo kein Präsidentschaftskandidat hingegangen ist, ist gar nichts passiert. Oder wenn etwas passiert ist, dann nur deshalb weil es dort bereits eine organisierte Antwort auf einen Konflikt gab. Es stimmt nicht, dass ich überall, wo ich hinkomme, Konflikte verursache. Wir würden diese Unterhaltung dann überhaupt nicht hier führen, wir würden im Schloss von Chapultepec reden.


Eine andere gängige Meinung ist, dass die Andere Kampagne nicht existiert. Marcos ist am Ende. Und jetzt hat sie Atenco von den Toten auferweckt, hat Marcos und der Anderen Kampagne neues Leben eingehaucht. Jetzt, da sie in den Medien ist, existiert sie auch. Davor war die Andere Kampagne nicht in den Medien, also hat sie auch nicht existiert. Jetzt tut sie es, und Marcos hat das gekriegt, was er wollte.

Was wollte ich denn?


Den Medien zufolge, in die Medien kommen.

Aber wenn alle Medien gegen uns sind, weshalb sollte ich in den Medien bleiben wollen, wenn sie nur gegen mich hetzen?


Ist Atenco nicht eine Strafe gegen die Andere Kampagne?

Ich sage dir, wen Sie hier bestrafen: López Obrador. Ich erzähle dir jetzt, was passiert ist. Die FPDT tat das, was alle Befürworter der Anderen Kampagne tun, das heißt, sich gegenseitig zu unterstützen. Diese Compañeros erscheinen überall mit ihren Slogans, sprechen Mut zu, singen Lieder und gehen. Die Compañeros Blumenhändler, kamen zu einem Treffen in Atenco kamen und sprachen, und erzählten, was die PRD Regierung ihnen antun wollte.

Die Compañeros von der FPDT rieten ihnen zum Dialog. Das versuchten sie. Sie suchten den Bezirkspräsidenten auf, um ihn zu bitten, sie nicht zu vertreiben, damit er ihnen einen Platz gibt. Er weigerte sich, sie zu empfangen, drohte ihnen mit Räumung, und Compañero Nacho de Valle und alle anderen taten das, was sie immer tun. Sie schlossen sich zusammen und standen ihnen zur Seite, und sie führen immer ihre Machete mit sich, weil sie die immer bei sich tragen, so wie wir immer unsere Skimützen tragen. Als sie da waren, ließ der Bezirkspräsident - weil er bezahlt wurde, oder weil er ein Idiot ist - die Blumenhändler und Nachos Gruppe umzingeln und drohte ihnen mit gewaltsamer Räumung. Sie waren nicht sehr viele, aber der Bezirkspräsident forderte in einem Radiointerview: "Ich bitte um die Unterstützung der Öffentlichen Sicherheitspolizei ". Die Leute in Atenco kriegten mit, dass ihre Compañeros umzingelt waren, und blockierten die Strassen, um ihre Freilassung zu erwirken.

Das alles passiert mit einem Bezirkspräsidenten von der PRD, die ja doch links ist und demokratisch und die Rettung dieses Landes. Die Polizei erschien, um sie zu räumen und rückte bis zum Dorf vor. Die Menschen hier reagierten, kämpften und trieben sie zurück. Hier setzte die Kampagne der Medien ein, mit "Räumt mit ihnen auf, wie ist dieser Chaos nur möglich" und so weiter, und dann marschierte die Polizei ein mit der ganzen extremen Grausamkeit, und die gängige Version war, dass es die Schuld der Leute war und so weiter.

Jetzt fingen sie endlich an, ihre Berichte zu ändern, und sagten, dass die Brutalität in Wahrheit von der Polizei kam und nicht von der Bevölkerung, dass es vergewaltigte Frauen gab, verschwundene Jugendliche - ich habe die Namen, fünf Minderjährige.


Das wurde nicht erwähnt.

Nun, es heißt, dass da ein paar Jungs allein unterwegs waren, die nicht mehr zu Hause auftauchten, und eine Mutter, mit der wir in Atenco gesprochen haben, sagte, dass ein Jugendlicher in Almoloya ist. Sie sagt, dass er dort ist und sehr schwer verprügelt wurde.

Und dann hieß es "Nun, wenn es um Atenco und die PRD geht, dann geht es um López Obrador". Den drei Wahlkampagnenteams war es egal, dass es Tote gab, dass Menschen erschossen und vergewaltigt wurden. Sie interessierten sich nur dafür, aus der Sache Kapital für die Wahlen zu schlagen. Also sagte das Team von López Obrador: "Distanziere dich davon, du hast nichts damit zu schaffen". Er sagte nicht mal, dass die Polizei falsch gehandelt hätte, oder dass die Lage ernst sei. "Das sind nicht deine Leute, sag gar nichts." Es spielt keine Rolle, dass Frauen vergewaltigt wurden, dass es Tote gab, dass Menschenrechte verletzt wurden.
Den anderen Kandidaten wurde gesagt: "Sag, dass es richtig ist, so zu handeln", und so haben sich Calderón und Madrazo dann entschieden. Dahin richtet sich die Sache, gegen die PRD und gegen AMLO. Der Grundgedanke ist: Wenn wir López Obrador Atenco anhängen können, sinkt er in den Wahlumfragen. Und da sich die ganze politische Klasse darin einig ist, dass nicht die Wahlen ausschlaggebend sind, sondern die Wahlumfragen, wird das dann auch so gemacht.


Einschließlich López Obrador?

Er hat überhaupt damit angefangen. Gerade an diesem Punkt findet dieser Marsch statt, in dem Marcos gemeinsam mit der Sechsten Kommission und der Anderen Kampagne auftaucht, das heißt als Gegenstrom zu den Massenmedien und der politischen Klasse. Und auf einmal änderten sich die Statements aller Kandidaten, jetzt heißt es für alle Politiker nur noch "Marcos und die EZLN werden das kapitalisieren, und so weiter". Worauf Marcos sagte: "Ich werde hier bleiben, und das tun, was ich bisher nicht getan habe, nämlich Interviews geben".

Das brachte sie endgültig auf. Jetzt versuchten sie, sich mit uns anzulegen, außer López Obrador, der sagt "Nein, ich nicht". Aber Calderón und Madrazo sagen "Nein, bring das Gesetz auf, das COCOPA Gesetz". Es war ihnen egal, was sonst alles passierte, solange es nicht in die Medien kam. Wenn es jetzt doch in den Medien kommt, wird es die Krise der politischen Klasse sichtbar machen, den Mangel an Vorschlägen. "Das ist unser Ende" denken sie.


Marcos sagt jetzt: "Wir werden die Regierung mit friedlichen und zivilen Mitteln stürzen; die Reichen werden verschwinden, und die Politiker im Gefängnis landen". Wovon ist hier die Rede?

Von einer politischen Mobilisierung und Artikel 39 der Verfassung, der besagt, dass das Volk zu jeder Zeit das Recht hat, seine Regierung zu wechseln. Die politische Klasse in der Regierung zerstört alles. Sie muss abgesetzt werden, aber dabei darf es nicht bleiben, wir müssen gleichzeitig auch das System verändern.


Aber wie kann man eine politische Klasse absetzen, die die ganze Macht, das Geld und die öffentliche Gewalt hat?

Durch zivile und friedliche Mobilisierung. Das Problem ist, dass wir, oder zumindest die Journalisten, von der Frage vereinnahmt sind, wie dies ohne Gewalt zu bewerkstelligen wäre. Das klassische Bild ist eine bewaffnete Armee oder ein Sturm auf den Winterpalast (und dann hat man die Revolution). Und die Andere Kampagne sagt nein, wir werden vereint entdecken, wie stark wir sind, und was wir alles schaffen können, aber immer dem zivilen und friedlichen Weg verpflichtet, mit vielen guten Ideen und Vorschlägen, die von unten kommen. Es geht hier nicht um einen bewaffneten Aufstand oder ein Zentralkommando. Vielerorts, wo der bewaffnete Kampf vorgeschlagen wurde, war es die EZLN, die nein sagte, weil das eine Option ist, die viele Menschen ausschließt; sie steht nur denen offen, die sich daran beteiligen können, und die Mittel dazu haben, und die Mehrheit ist davon ausgeschlossen, oder noch schlimmer, in der Mitte gefangen. Wir müssen etwas aufbauen, das alle einbezieht.


Ein Wechsel, ohne dass die Menschen noch mehr zu leiden hätten? Die von oben haben Waffen, und sie werden sie nicht freiwillig loslassen.

Ja, aber es gibt überall Menschen mit vielen Ressourcen. Es geht nicht darum, eine Armee gegen eine andere aufzustellen. Wenn man mit der Logik anfängt, wie viele Waffen die haben, dann heißt das bereits "wir brauchen genauso viele oder noch mehr."


Nicht jeder hat Waffen oder ist bereit, Gebrauch von ihnen machen, und die einen, die sie haben, sind bereit sie einzusetzen.

Und die, die es nicht sind, sind die Verarschten. Deshalb brauchen wir eine nicht-militärische Option, die nichts ausschließt, in der alle Raum für ihre Form zu kämpfen haben. Ein Kampf, der so organisiert ist, kann nur durch eine Atombombe besiegt werden. Keine Armee oder Polizei kann oder will sich mit so etwas anlegen. Die Regierung muss sich ändern, und wenn das nicht von oben kommt, dann muss sie fallen, so wie viele Regierungen an vielen Orten gefallen sind: durch Mobilisierungen.


Ist es möglich, die bestehenden Macht auf friedlichem Weg zu Fall zu bringen?

Die gegenwärtige politische Klasse, ja. Ihre staatlichen Fundamente sind bereits zerrüttet.


Welche Bedeutung haben dann die Wahlen und die nächste Regierung?

Das ist nur ein Wechsel im Management, während die da oben in den Vereinigten Staaten sagen "wir haben kein Problem damit, wer regiert, ob es die Rechten oder die Linken sind, wir werden das arrangieren, damit sich die Wirtschaft in der Grundform nicht ändert".

Egal wer der Manager ist, die Firma bleibt die gleiche: Mexiko GmbH. Welchen Unterschied macht es, ob es Madrazo ist (gegen Madrazo könnten sie sogar ein paar Vorbehalte haben, weil der weiterhin klauen wird). Was Calderon angeht, kann man davon ausgehen, dass er die soziale Rebellion verschlimmern wird; wenn Calderón an die Macht kommt, wird er eine Rückkehr zur militärischen Niederschlagung von sozialen Konflikte provozieren. Wenn man ein Volk unterdrückt oder ihm Angst einjagt, fangen sie an, nach anderen Optionen zu suchen, und das ist der Augenblick wenn politisch-militärische Organisationen - Guerilla-Gruppen - sagen, jetzt sind wir an der Reihe.


Und was passiert wenn López Obrador gewinnt?

Wenn es keine andere Option gibt, wird er den Nationalstaat mit einem neuen Management für die gleiche Krise neu errichten. Deshalb wollen viele, dass López Obrador gewinnt. Jedenfalls sind sie dazu bereit, aber die Andere Kampagne glaubt nicht, dass das der richtige Weg ist.

Es ist nicht möglich, es ist ein Märchen. Es ist nicht durchführbar, weder das, was Madrazo vorschlägt, noch Calderón, noch López Obrador, trotz dieser Idee, dass er mehr Unterstützung hätte, weil er nicht wie die anderen zwei sei. Er besitzt Prestige bei den Grasswurzelorganisationen, er besitzt die moralische Autorität der Ehrlichkeit, aber das hat er sich durch die Mannschaft, die er gebildet hat, zerstört, und alle anderen Verschleierungen, um "nicht der Rechten in die Hand zu spielen".

Aber nichts davon ist machbar. Die Zerstörung ist so tiefgreifend, dass radikale politische Maßnahmen nötig sind. Wir brauchen ein Programm, das wirklich links ist. Von oben wird es nicht kommen, weil niemand da oben es vorschlägt. Wir müssen von unten her einen landesweiten Kampf aufbauen.


Ist der Vorschlag "die Reichen aus dem Land zu werfen" durchführbar?

Sicher, das ist bereits geschehen. Da wo sie weggegangen sind, hat sich die Lage zum Guten verändert. Die Finqueros haben das zapatistische Territorium verlassen, und sagten, dass der Boden brachliegen würde. Aber jetzt bringt das Land mehr hervor als damals, als es noch ihnen gehörte und nur als Viehweide benutzt wurde. Unsere Ernährung hat sich verbessert, der Kaffeepreis hat sich verbessert, wir haben Wege entwickelt, unsere Projekte ohne Kojoten zu verkaufen, und die Produktion hat sich verbessert. Die Produktion bei Euzkadi hat sich ebenfalls verbessert, nachdem sie die Fabrik besetzt haben. Die Orte, an denen die Gemeinden ihre eigenen Organisationen durchgesetzt haben, haben die niedrigste Verbrechensrate im ganzen Land, einschließlich der reichen Stadtvierteln, die von privaten Sicherheitswachen beschützt werden, weil die Privatwachen den Entführern Tipps geben. Überall, wo die Menschen sich selbst organisieren, läuft alles besser.


Aber die wirtschaftliche Macht und Strukturen sind gewaltig. In Atenco war die Gewalt so überwältigend, dass die Polizei einen sehr ungleichen Kampf gewonnen hat. Wenn sich das auf nationaler Ebene wiederholt, wird dass den Menschen nicht noch mehr Repression und Staatsgewalt bringen?

Nein, Repression und Staatsgewalt gibt es bereits, was es nicht gibt, ist eine Alternative. Weshalb weiß jeder, was in Texcoco passiert ist? Weil die Andere Kampagne dort war und es sichtbar machte. Aber ähnliche Dinge passieren überall, und davon kriegt niemand etwas mit. Wie viele Morde finden statt, die man dann der Drogenmafia in die Schuhe schiebt! Überall finden Enteignungen, Vertreibungen statt, die keine Aufmerksamkeit erhalten, weil sie für das Wahlergebnis unerheblich sind.


Wie in Atempa, Oaxaca ?

Das geschah schon, als wir dort ankamen. Sie hatten bereits viel gelitten. Aber von San Blas Atempa war landesweit nichts bekannt, dazu kam es erst, als die Andere Kampagne dort durchreiste. Sie kämpften für die Freiheit der Gefangenen, die bei einem Angriff gegen sie verhaftet worden sind, und für die Verletzten, die aus den Krankenhäusern gezerrt wurden. Später wurden sie erneut angegriffen Und auch Atenco ist bereits früher angegriffen worden, und die Compañeros wurden verhaftet. Und jetzt gibt es diese Eskalation seitens PRD, PRI und PAN. Und mitten im Wahlkampf erreichen sie das, was sie früher nicht erreicht haben: die nationale Destabilisierung. Das haben weder ich noch die Andere Kampagne geschafft, sondern die politische Klasse - die Summe aus drei Idioten.


Sie meinen, sie hätten gewonnen.

Wir wollen sie den gewinnen, wenn es zwei Monate vor den Wahlen, im ganzen Land und anderswo auf der Welt Proteste hagelt, wegen eines Problems, dass sie geschaffen haben? Und sie können es nur wieder in Ordnung bringen, wenn sie die Gefangenen freilassen, alle Gefangenen. Wenn nicht, wird das so weitergehen. Wenn die Andere Kampagne so nutzlos ist, so winzig und unerheblich ohne die konstitutionelle Linke, und alles, was den Gelehrten sonst noch so sehr zu schaffen macht, wenn Marcos so tot und ausgelaugt ist, dann können sie doch die Ursache aus dem Weg räumen, die für zunehmende Sympathie für die Andere Kampagne und zunehmende Antipathie für die Massenmedien und die politische Klasse sorgt, und wir werden auf eine schwache Randerscheinung herabreduziert, mitsamt Marcos, dem Poeten und alles, was sie sonst noch so aufbringt, und setzen unsere anonyme Reise durch das Land fort.

Aber wir haben dieses Problem nicht geschaffen, wir haben der PRD nicht gesagt "Sagt doch mal eurem Bürgermeister von Texcoco er soll diese Blumenverkäufer da loswerden". Das hat die PRD selbst zugelassen, und alle Intellektuellen und Aktivisten, die sich der PRD verschrieben haben, weil sie darauf hereingefallen sind zu glauben, die PRD sei links. Das Televisa-Gesetz wurde von PRD-Abgeordneten bewilligt, die sich dann damit herausredeten, sie hätten es vorher nicht gelesen. Der gleiche Fehler ist mit dem Indigenen Gesetz passiert, dem Monsanto Gesetz, und allen anderen Gesetzen, die sie bewilligt haben. Sie sehen, was passiert, aber sie schweigen dazu, und werden so zu Komplizen.


Sie sind auch nicht auf den politischen Prozess gegen Marin eingegangen.

Das ist auch passiert. Sie sagen "Ah, das ist an uns vorübergezogen". Glauben sie wirklich, die Menschen würden das Märchen schlucken, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben und all das, so wie es die konservativen Radiokommentatoren lauthals verkünden? Wer wird denn Fox seine Legitimität abkaufen, während (First Lady) Marta Sahagún ihre Position benutzt, um ihren Söhnen Vorteile zu verschaffen? Oder mit jemand wie Marín an der Macht, um ein anderes Beispiel zu nennen... Wer wird ihnen glauben? Niemand glaubt es. Jemand von unten, im Bundesstaat México kann vielleicht sagen, dass es falsch war, einen Polizisten zu schlagen, aber niemand wird sagen "oh, der arme Kerl", auf keinen Fall, nicht die von unten. Die Option ist, die Dinge entweder jeder für sich durch Gewalt neu zu errichten oder sich in einer gewaltlosen Bewegung zu organisieren.


Kann die Andere Kampagne, objektiv gesehen, das schaffen?

Ja. Die indigenen Völker sehen die gleichen Symptome wie damals 1990. Wenn wir 1990 die Andere Kampagne gehabt hätten, dann hätte es den bewaffneten Aufstand nicht gegeben. Señor Ik wäre nicht tot, auch nicht Subcomandante Pedro, oder Fredy, oder Aldo, oder irgendeiner von denen, die bei dem Aufstand gestorben sind, denn wir wären nicht gezwungen gewesen, es auf diese Weise zu tun. Unsere Stimmen hätten überall Gehör gefunden. Wir sehen überall das gleiche, dieser Drang loszubrechen und zu sagen "Es reicht!" Ganz gleich, was es kostet. Und wir wissen, dass das ein Rezept für wahllose Aktionen ist, wenn es keine politisch-militärische oder spontane Organisation gibt, die stärker ist.


Welchen Effekt hat die Andere Kampagne, wenn sie durch einen Ort, wie zum Beispiel Zumpango führt? Die Leute dort machten einen gleichgültigen Eindruck.

Es ist ein erster Schritt. Die Idee ist, dass die Menschen dort beginnen sich umzusehen, Erfahrungen sammeln, Beschlüsse fassen und anfangen, mit anderen zu reden. Bei der Anderen Kampagne geht es nicht nur um die Anhänger, sondern um die Arbeit, die wir, alle zivilen Organisationen, einschließlich der Anhängern, gemeinsam mit den Menschen von unten tun werden. Wir werden ihnen sagen: hier ist ein anderer Vorschlag. Wir werden euch nicht drängen, weil es nicht um Macht geht. Wir werden euch unterstützen, so wie Nacho del Balle und die Front der Dörfer in Verteidigung des Landes die Blumenverkäufer unterstützt haben. Vielleicht geht das schief, und sie greifen uns an, oder was auch immer.
Aber wir haben nicht beschlossen, die Blumenverkäufer zu vertreiben. Wir haben dem Bürgermeister nicht den Befehl erteilt, die Polizei zu rufen. Wir haben den Massenmedien nicht gesagt, sie sollen die Regierung zum Einsatz repressiver Gewalt aufhetzen. Die Menschen in Atenco haben sich selbst verteidigt. Die Polizisten wurden nicht bei sich zu Hause verprügelt; sie wurden geschlagen, als sie beschlossen vorzurücken und Atenco anzugreifen, und das zu tun, was sie später getan haben, mit noch mehr Polizisten. Die Polizei marschierte ein, um die Leute gewaltsam zu räumen, das klappte nur nicht ganz so, wie sie das geplant hatten, also schickten sie noch mehr Polizisten rein, um das gleiche zu tun.


Es gibt die Sorge, dass die Straßenblockaden und die Aktionen das Leben der Bürger beinträchtigen. Ist es angemessen für die Andere Kampagne, dazu aufzurufen, wenn sie als gewaltsame Mittel betrachtet werden?

Das ist keine Gewalt. Es ist das Problem. Das Problem ist nicht die Andere Kampagne, oder die Aktionen, sondern die Situation, die es hervorruft: eine illegale, illegitime Handlung, die Verhaftung und Erpressung einer unschuldigen Gruppe von Menschen, die Anhänger der Anderen Kampagne sind. Das Prinzip der Anderen Kampagne ist es, sich gegenseitig zu unterstützen. Menschen werden gefangen genommen, und anstatt zu diskutieren, ob es ein Problem damit ist, wenn das Gemüse zu spät auf den Markt kommt, oder wenn es einen Verkehrsstau gibt oder die Leute zu spät zur Arbeit kommen, sollten wir uns fragen, weshalb es diese Situation überhaupt erst gibt. Und welche andere Option zu kämpfen haben diese Menschen denn? Einen bewaffneten Aufstand? Man soll keine Autobahnen sperren, keine Straßen blockieren, keine Protestzüge abhalten?! Na dann, klar, man schließt sich einer bewaffneten politischen Bewegung an und macht einen bewaffneten Aufstand, und die Leute hören einem zu.


War Atenco nicht eine Falle, deren Reaktion vorausgesehen und benutzt wurde, um die Repression zu rechtfertigen?

Sie können gar nichts rechtfertigen. Die Falle haben sie sich jedenfalls selbst gestellt.
Ich bleibe dabei, dass die Analysten so viel Zeit damit verbringen nach oben zu sehen, dass sie völlig vergessen nach unten zu blicken. Sie halten den Staat für viel schlauer, als er es eigentlich ist. Die Dinge sind außer Kontrolle geraten. Und sie sagen, "Nein, das war alles perfekt geplant."
Nein, sie haben nicht alle Anführer der FPDT geschnappt. Sie haben Nacho und den anderen gekriegt, weil sie die Blumenverkäufer unterstützt haben, und deshalb in der Nähe waren. Wenn es eine geplante Aktion gewesen wäre, hätten sie die Führung der FPDT ganz enthauptet.


Soll Atenco das "Angstvotum" wieder zum Leben erwecken, wie 1994 die Ermordung (des mexikanischen Präsidentschaftskandidaten, Luis Donaldo) Colosios?

Das ist eine weitere Erfindung. Da nach einhelliger Meinung aller Kandidaten, alles durch die Wahlumfragen entschieden wird, benutzen sie das Angstvotum um sich gegenseitig fertig zu machen. Keiner von ihnen hat die Nase lange vorn, weil es dem einen Herrn - nämlich Calderon - an Intelligenz mangelt, der andere - Lopez Obrador - hat Angst, und der andere wieder - Madrazo - ist blutdürstig. Da sie in den Umfragen nahe beieinander liegen, entscheiden letztendlich die Massenmedien, weil alle Kandidaten ihnen diese Stellung einräumen. Deshalb ist das Votum nicht wirklich wichtig. Es spielt für sie keine Rolle, ob die Leute ihre Stimme abgeben oder nicht. Es ist nur wichtig, dass sie weiterhin die Kontrolle behalten. Vom Angstvotum war schon früher die Rede. Vor Atenco sollte das Spiel so ablaufen. Jose Barberan sagte, "Schaut euch die Wahlen von 1994 an: die Prozente in den reichen Vororten waren die gleichen wie in den Armenvierteln". Als wir uns 1994 mit Cardenas trafen, sagten wir ihm "Sie werden Dritter. So läuft das Spiel". Aber damals gab es keine Andere Kampagne und auch nicht die Zermürbung durch die Massenmedien, die es heute gibt, weil sie sich der politischen Klasse angeschlossen haben.


Sind sie nicht mächtiger?

Die beherrschende Klasse ist mächtiger, aber sie hat für die Menschen immer weniger Bedeutung, sie ruft immer weniger Interesse hervor. Wären die Dinge, die sie gesagt haben, ansonsten nicht auch beim Protestmarsch von Chapingo nach Atenco aufgekommen? Sachen wie "Verschwindet! Radikale! Mörder! Nimm die Maske ab!" Genau das Gegenteil ist passiert. Haben sie uns nicht etwa einen ganzen Tag lang damit bombardiert? Das ist ihnen auch nicht mehr wichtig. Was für sie zählt, ist was die Kommentatoren sagen, oder sich alle bei Televisa um einen runden Tisch einzufinden und zu sagen "wir sind ja so intelligent, so human".

Haben sie nicht solche Sachen gebracht wie "Ich glaube nicht an Zufälle, alles war geplant"? Das ist auch nicht wahr, weil die Bilder und die Ereignisse so zurechtgelegt wurden, um zu der Geschichte zu passen, die sie erfunden haben. Genau wie damals, als sie sagten der UNAM Streik sei ein Komplott gegen Cárdenas gewesen, als ob es nicht ausreichte, dass die PRD gegen ihren eigenen Kandidaten konspirierte.


Irgendwo wurde mal gesagt, wir in Mexiko würden nichts glauben, bevor es nicht wirklich geschieht. Wo genau befinden wir uns jetzt gerade?

Die Andere Kampagne ist die einzige landesweite Bewegung, die wirklich von links kommt. Ich meine landesweit, weil sie in allen 32 Bundesstaaten existiert. Und mit links meine ich nicht, dass sie revolutionär, reformistisch, oder anti-kapitalistisch ist oder nicht, obwohl sie sich zur Zeit ziemlich stark auf diese Marcos-Figur oder die EZLN konzentriert, garantiert gerade das, dass es keine vorherrschende oder homogenisierende Kraft darin gibt. Jeder und jede von uns hat darin seinen oder ihren eigenen Raum und Forderungen, und das erlaubt der Bewegung ein landesweiter Kampf zu werden.

Gestatte mir, etwas über Atenco zu sagen, darüber, was passieren wird, wenn sie die Situation nicht entschärfen. Sie denken, sie hätten diese Dummheit bereits hinter sich, dass es zwar enorm dämlich war, aber na ja, "Wir werden das benutzen um es Lopez Obrador anzuhängen und ihn in den Wahlumfragen endgültig runterzuziehen und Calderon rauf, und danach sehen wir zu, wie wir Calderon auch noch runterbringen". Es ist ihnen egal, wer die Entscheidungen trifft, solange sie alle an der Leine sind.

Und jetzt stellt sich heraus, dass sie dabei auch noch gegen Marcos und die EZLN vorgehen müssen, und sie denken "Gehen wir doch aufs Ganze, knöpfen uns die EZLN vor und lassen Marcos verhaften". Genau das schlägt die COCOPA (die Regierungskommission für Frieden und Versöhnung) gerade vor. Madrazo hat mit diesen Erklärungen nichts zu tun, aber jemand in der COCOPA hat gesagt, dass das Gesetz für Dialog nicht mehr gültig ist. Jetzt ist es wieder wie 1994. Genau das sagen die PRI und die PAN. Und so wie die Dinge stehen, wird es nicht lange dauern, bis die PRD das auch sagt.
Was sie also provozieren werden, ist, die soziale Spannung und Proteste so weit zu verschärfen, dass die Wahlen im Juli in einem Klima der sozialen Unruhe stattfinden werden, und sie die Armee und Polizei einsetzen müssen. Was für ein Bild der Demokratie werden militärüberwachte Wahlen der übrigen Welt vermitteln, und wer wird schon wählen gehen, wenn die Wahlkästen von der Armee bewacht werden?


Und werden sie nicht sagen, dass es Marcos war, der das Klima der demokratischen Harmonie sabotiert hat?

Das ich sie sabotiert hätte? Ich habe die Polizei nicht nach Atenco geschickt. Nein, es wird so kommen, dass alles zusammenbricht. Das Kapital benötigt Ruhe und Ordnung, keine Wahlen. Es wird keine Ruhe geben, egal ob es Wahlen gibt oder nicht. Das Kapital braucht Ruhe.


Regierbarkeit?

Das ist das gleiche. Regierbarkeit ist Ruhe und Ordnung. Und wir sehen gerade, dass Ordnung nicht so aufgezwungen werden kann. Ordnung wird durch Legitimität durchgesetzt, nicht durch Gewalt. Und die Regierung will sie durch Prügel und Verhaftungen durchsetzen, und indem sie die Menschen unterdrückt, die Straßenblockaden, Protestkundgebungen und Demonstrationen abhalten, und immer mehr Leute ins Gefängnis steckt. Wir werden einen Punkt erreichen, an dem entweder die gesamte Bevölkerung im Gefängnis sitzt, oder sie genug Angst generiert haben, um Marcos auszulöschen. Das eine machen sie schon, als nächstes kommt die Angst. Und welche Optionen haben die sieben bewaffneten Gruppen, die sich laut der Zeitung von heute im Roten Alarm befinden? Nicht die EZLN, die in der Anderen Kampagne ist, sondern die anderen politisch-militärischen Organisationen. Das wird ihnen die soziale Basis verschaffen, die sie jetzt nicht haben.

Wenn eine zivile, gewaltfreie Mobilisierung wie die Andere Kampagne nicht mehr möglich ist, gibt es nur noch den Weg der anderen Option. Das ist das Zeichen, das sie senden, und sie werden das richtig stellen müssen, denn wenn sie glauben, die Kontrolle durch die Polizei und durch Fernsehen, Radio und Presse erhalten zu können, liegen sie falsch. Das haben wir bereits in den 20 Bundesstaaten gesehen, die von der Anderen Kampagne besucht wurden. Man kann uns nicht kontrollieren.


Kann die Andere Kampagne ein Gegenmittel für die gewaltsame Revolte sein?

Nicht nur für die gewaltsame, sondern auch die isolierte Revolte.


Wenn das die Option ist, die von der Anderen Kampagne vorgeschlagen wird, welche Zukunft hat sie im gegenwärtigen Szenario?

Ihre Zukunft war es immer schon zu gewinnen. Der Anderen Kampagne wird es gelingen, all diese Kämpfe und Widerstände zu vereinen; alle linken politischen Organisationen werden zusammenkommen, so wie das in der Karawane der Fall war. Sie wird in diesem Land eine noch nie da gewesene kulturelle, politische, wissenschaftliche und humanistische Bewegung schaffen, von unten und von links.

Was geschah nach der neuen Phase des zivilen Zapatismus in Chiapas?

Die politisch-militärische Struktur trat in eine Schweigeperiode, was nicht bedeutet, dass wir eine militärische Offensive vorbereiteten, sondern etwas völlig anderes, das weder Verhandlung noch Aufstand war. Wir führten eine theoretische und praktische Analyse durch. Der theoretische Teil bezog sich darauf, dass im derzeitigen Kontext des Neoliberalismus Nationalstaaten zerstört werden. Während sie Grenzen einreißen, damit Waren passieren könne, errichten sie neue Grenzen, um die Menschen davon abzuhalten. Tipp ein paar Tasten, und dein Geld ist da wo du es haben willst; ein paar Handbewegungen, und ein leeres Warenhaus wird zur Maquiladora, verschwindet dann und taucht in irgendeiner anderen Ecke der Welt wieder auf.
Aber nicht die Menschen. Sie bleiben abgeschottet, noch dazu auf eine viel grausamere Art als vorher. Wenn ein Nationalstaat zerstört wird, wird die herrschende Klasse, die dies ermöglicht hat, ebenfalls vernichtet. In diesem Vernichtungsprozess fing Carlos Salinas de Gortari an zu töten und zu korrumpieren. Ich erwähne das, weil sich niemand da oben an die vielen Menschen zu erinnern scheint, die in der PRD gestorben sind, die, wie wir sagten, weniger der PRD angehörten, als dem echten sozialen Kampf um eine bessere Lebensqualität. Wer seine eigenen Tote vergisst, ist selber tot.

Also sagten wir, na gut, die herrschende Klasse hat keine Lösung. Die Compañeros vom Nationalen Indigenen Kongress haben die neuen Gesetze denunziert, die vom Kongress bewilligt wurden. Sie wurden einstimmig bewilligt, da oben gibt es keine Rechte oder Linke. Und diese Gesetze erteilen den transnationalen Konzerne die gesetzliche Vorlage, um herzukommen und von den Indígenas Land zu stehlen und sich da einzunisten, wo sie nichts zu suchen haben, weil sie die Umwelt zerstören. Das haben wir nicht aus Büchern gelernt. Die Leute selbst haben uns davon erzählt. Wenn sie jetzt von der Gewalt an einigen Orten erschreckt sind, das was hinterher kommen wird ist noch viel schlimmer. Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn im gesamten "Elendsgürtel" rund um Mexiko-Stadt die Menschen die Nase voll hätten und wie in den Filmen auf die Stadt niedersteigen, um in Straßen und Häuser einzudringen. Aber wie es sich herausstellt, wird es nicht so sein, das Wachstum des Kapitals in der Stadt wird auch diese marginalisierten Gegenden verdrängen und sie immer weiter weg drücken.

Es heißt, die Andere Kampagne würde die Schiffbrüchigen auflesen, die "Neandertaler-Linken" und dass die "zivilisierte und demokratische" Linke mit der Anderen Kampagne nichts am Hut hätte. Ist es nicht exklusiv zu sagen, dass die Andere Kampagne die einzige landesweite linke Bewegung ist?

Die Linke ist sehr grundsätzlich definiert. Eine Definition bezieht sich auf das wirtschaftliche System. Dann gibt es die kulturelle Linke, gegen Chauvinismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie. Die politische Linke muss im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen System definiert werden, und sie muss anti-kapitalistisch sein. Sie muss sich grundsätzlich durch die Verantwortung eines Systems definieren, nicht einer Verwaltung. Die Andere Kampagne betrachtet sich als Teil der anti-kapitalistischen Linken, weiter geht sie nicht. Deshalb spricht die Andere Kampagne auch von Rebellion, nicht von einer Revolution.

Sie ist eine Schule, nicht nur für die Menschen selbst, sondern auch für die linke Politik. Die Linke, die aus der Anderen Kampagne hervorgehen wird, wird viele überraschen, ganz besonders jene, die sagen, es seien nur "die gleichen Leute wie früher". Es sind vielleicht die "gleichen Leute wie früher," aber ihr gemeinsames Charaktermerkmal ist, dass sie sich nicht verkauft oder aufgegeben haben. Sicher, sie sind nicht vollkommen, aber es sind ehrliche Menschen. Und diese Ehrlichkeit hat es ihnen ermöglicht, sich nicht zu verkaufen oder aufzugeben, und jetzt hilft sie ihnen dabei, von anderen zu lernen.


Welche Rolle spielt darin die Indigene Bewegung. In welcher Lage befindet sie sich?

Mit der Indigenen Bewegung sind wir da einer Meinung, ganz besonders mit dem CNI in der zentral-pazifischen Region. Auch ohne die Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald zu kennen, kamen sie zu den selben Schlüssen. Der aktive Kern des CNI konnte sehen, dass die "herrschende Klasse keine Lösung hat, und dass wir hier ein Problem mit dem wirtschaftlichen System und dem Parteiensystem haben". Also sagten sie uns, "Wir stimmen zu, dass wir im Grunde über die gleiche Sache, auf unsere eigene Art reden."

Jetzt geht es uns darum zu versuchen, mit ihnen gemeinsam den CNI wieder aufzubauen. Wir machen uns Sorgen darüber, dass die Andere Kampagne, wenn sie da ankommt wo sie soll, die Indígenas wieder vergessen könnte, dass es wieder nur um Wohnungen und Arbeiter und Campesinos geht und für den Staat die Indígenas wieder nicht existieren. Sie sind vielleicht Arbeiter und Campesinos und arm, aber sie haben nicht die gleiche Identität. Deshalb haben wir darauf bestanden, dass es innerhalb der Anderen Kampagne den indigenen Sektor oder den Raum der indigenen Völker geben und zuerst ein Bildungsprozess betrieben werden muss, um Verständnis zu schaffen. Wir dachten, das würde viel Arbeit erfordern, aber es geschieht bereits. Die indigene Bewegung wird in dieser Schule zum wichtigsten Lehrer werden. Die klarsten und tiefsten Lehren sind bisher immer von den indigenen Völker gekommen.

Wird es mit dieser großen Fragmentierung, diesen vielen Unterschieden und verschiedenen Haltungen der Anderen Kampagne möglich sein, all diese Positionen zu vereinen?

Wir sind gerade dabei uns gegenseitig kennen zu lernen. Wenn sie einem von uns schaden, schaden sie uns allen. Ohne die Andere Kampagne würde die Geschichte von Atenco anders aussehen. Sie wäre auf die Organisationen beschränkt, die dorthin bereits Verbindungen hatten, aber jetzt ist es eine nationale und internationale Kampagne. Wir müssen aufeinander aufpassen. Das ist der Unterschied.

Entwicklung und Fortschritt haben ein Oben und ein Unten. Und was wir gesehen haben, ist dass Entwicklung und Fortschritt von oben in Wirklichkeit Unterentwicklung und Rückschritt für unten bedeutet. So wie die Reform von Artikel 27, mit ihren Propheten, die jetzt am Verschwinden sind, die schworen, sie würden die mexikanische Landwirtschaft retten, weil die Privatisierung des Landes den Fortschritt fordern würde. Dabei wollten die Campesinos nur ein eigenes Stück Land haben. Von hier geht die ganze Zerstörung des ländlichen Mexikos aus. Von der Entwicklung der Agrarindustrie, von den Großgrundbesitzern, von den Enteignungen. Diese Entwicklung und dieser Fortschritt hat mehr Menschen gezwungen, Arbeit jenseits der Grenze zu suchen, den Drogenhandel und Anbau beflügelt, und die Vernichtung ganzer Gemeinden vorangetrieben.

Wir sind alle in die Ecke getrieben, zum Schweigen gebracht, vergessen. Sie sehen uns nicht. Sie nehmen uns nicht wahr. Wir sind in der Defensive. Wir befinden uns hier und sehen, dass wir stärker sind als gedacht. Es spielt keine Rolle, ob wir in den Geschichtsbüchern auftauchen; was uns interessiert, ist unser Platz als Indígenas, und ich spreche nicht nur von den Zapatisten. In Tuxpan (Jalisco) und dann in der Nahua Region von Manantlan konnten wir sehen, wie das System die Umwelt vernichtet. Es war grauenhaft. Und wir konnten die gleiche Überzeugung hören, dass wir etwas tun müssten. Die gleiche Überzeugung, die wir von unseren Compañeros der Huicholes gehört haben. Dieses Gefühl lässt sich nicht anhand von Hochrechnungen ermessen oder anhand der Sympathie von jemandem, der von der anderen Seite zusieht. Wir denken, die richtige Wahl damit getroffen zu haben, nach unten zu blicken, und vielleicht wird gesagt, es sei nicht der richtige oder günstigste Moment dafür gewesen. Aber die Lage war wirklich verzweifelt.

Es gibt zwei Optionen. Wir bevorzugen die zivile und friedliche Option. Sie bezieht stärker ein, sie ist reicher, bringt weniger Zerstörung, weniger Tote, und das trotz der ganzen Probleme und Repression, weil wir nicht sagen, dass es ein Zuckerschlecken sein wird. Aber es wird leichter sein als mit einem Krieg, und wenn wir die Andere Kampagne nicht aufbauen, könnte es stattdessen durchaus zum Bürgerkrieg kommen. Die Andere Kampagne ist die einzige Alternative für das Überleben dieses Landes. Wie das geschehen wird und mit welchem System und all das, das ist etwas, das wir alle gemeinsam aufbauen müssen.

Der Augenblick wird kommen, in dem diese Bewegung sich ihrer Stärke bewußt wird. Der Augenblick, in dem einer Bewegung klar wird, was sie tun kann und wann, das Datum, die Stunde und den Ort entscheidet, um die Regierung zu kippen und die Reichen hinauszuschmeißen. Wenn die Menschen anfangen einem zu sagen, "bis zum Tod, wenn es sein muss" , oder vielleicht sagen sie es nicht laut, aber man kann sehen, dass es so weit gekommen ist; wenn man sagt, diese Menschen haben keine andere Option mehr, dann wird es passieren. Der Fehler ist, das nicht sichtbar zu machen. Die Andere Kampagne ist gegen diese zwei Optionen: völlige Zerstörung oder Zusammenbruch durch Fragmentierung und Uneinigkeit.

So, als ob sich das Land den Rücken gebrochen hätte?

Wie der Balkan, Libanon. Länder, die ihre Identität verlieren, wo man von einem Bandengebiet in ein anderes gerät, wenn man die Straße überquert. Genauso wird Beirut beschrieben: so viele Gruppen, ohne Richtung, ohne irgendwas. Wie die ganze herrschende Klasse, die PAN, die PRI und die PRD, und all die kleinen Politiker, sie haben ihre Legitimität und Fähigkeit zum Dialog bereits verloren. Es ist nicht die Frage, mit wem sie einen Dialog führen, sondern, dass sie überhaupt nichts haben, worüber man diesen Dialog führen könnte. Im Fall Atenco können sie lediglich die Gefangenen frei lassen und das Warnlicht, den Ausnahmezustand zurücknehmen und die Andere Kampagne weiterziehen lassen. Wenn nicht, werden sie die Krise nur verschärfen. Sie denken, dass sie von selbst abflauen wird, aber das wird nicht passieren. Sie ist gewachsen, und alle wissen es.

Weshalb sind viele Intellektuelle, die früher sympathisiert haben, jetzt auf Distanz gegangen? Sind sie weniger interessiert oder wirklich verärgert?

Weil wir einen anderen Weg gewählt haben. Das haben wir uns ganz am Anfang überlegt. Wenn die Sympathie einer Gruppe von Intellektuellen Teil der Deckung war, die uns vor einem militärischen Angriff schützte, dann würden diese Intellektuellen, oder ein großer Teil von ihnen, in dem Augenblick, wo sie mit den Oberen sympathisieren, die wir ablehnen, ihre Verbindungen zu uns abbrechen. Wir wussten, dass dies passieren würde. Aber wir werden nicht vergessen, was sie für uns getan haben. Wir sind ihnen dankbar, auch wenn sie jetzt auf uns scheißen, weil wir uns erinnern.

Was verbindet die Migrantenbewegung in den Vereinigten Staaten mit der Anderen Kampagne?

Wir erreichen die Migranten auf zwei Ebenen. Erstens, und am stärksten, von unten, das heißt, über die Familien. Überall wo die Andere Kampagne hinkommt, erzählen sie uns, dass es dort praktisch keine Familie gibt, die nicht jemanden verloren hätte, weil sie entweder gestorben oder über die Grenze gegangen und nicht wieder zurückgekommen sind, und sie haben das Bedürfnis, nicht nur ihre Familien, sondern auch ihre Gemeinden wiederaufzubauen. Sie erzählten uns, wie ihre Eltern, Männer und Frauen, Jugendliche auswandern mussten, weil unser Land ihnen keine würdige Arbeit geben kann. Und sie erzählen von den Opfern, die sie bringen müssen, um Geld hinüberzuschicken, ohne zu wissen, ob es überhaupt ankommt. Auf dieser Ebene herrscht unten eine Lage der wirtschaftlichen Verzweiflung.

So weit zu "von unten". Aber wir haben uns auch das "oben" angesehen, als die Compañeros dort drüben uns erzählten, das ist das Problem und das hat uns dazu gebraucht, von hier aus unsere Stimme abzugeben, weit weg von unseren Familien. Und hier gibt es auch keine politische Option. Wir müssen uns an etwas anderem beteiligen, dass uns anerkennt, denn der Migrantensektor in den Vereinigten Staaten ist wie ein Jagdrevier, besonders jetzt, da man das Recht hat, auch aus dem Ausland zu wählen. Und diese Gruppen haben es geschafft, mit dieser Stärke und Rebellion, etwas innerhalb des Imperiums zu errichten, und sie werden sich nicht so leicht von irgendwelchen Politikern zuhause einfangen lassen, egal wie links er zu sein behauptet. Im Augenblick, da sie sehen, dass die Andere Kampagne ein Raum ist, in dem sie sich ihre Autonomie, ihre Unabhängigkeit und Identität bewahren können, nun, dann schließen sie sich uns an.

Wir können sehen, dass die Auswanderung weiter zunehmen wird. Mit dem Zynismus von Fox, der sagt, die nationale Wirtschaft blühe, weil die Migranten regelmäßig Geld nach Hause schicken. Aber die Vereinigten Staaten werden die Grenze auf viele verschiedenen Weisen schließen. Sie werden Leute deportieren und die stille Einwilligung der mexikanischen Regierung erhalten, die Grenze dichtzumachen.

Das wird dann alles hier zum Dampfkessel. Wohin sollen die ganzen Menschen gehen, ohne Arbeit, ohne Land, ohne alles? Es entsteht ein sehr starker sozialer Druck, für den weder der Arbeitsmarkt noch die Sozialpolitik noch sonst irgendwer eine Lösung bietet, weil sie nichts zu produzieren oder zu verkaufen haben. Die Leute erzählen uns manchmal, dass sie tonnenweise Mais haben, aber ihn nicht ernten können, weil die Preise so niedrig sind. Es wäre für sie teurer es abzuernten, als es stehen zu lassen, weil es sich nicht verkauft, weil es keine guten Preise gibt.

Wozu will man Mais anbauen oder irgendwas anderes, wenn es einem nichts bringt? Also wird alles vernichtet, und stattdessen importieren wir Nahrungsmittel. Wie in einem Krieg, in dem die Armee alles zerstört und die Ernte verloren geht, und die Menschen flüchten müssen. Und die Vertriebenen, von denen es in diesem Fall Millionen gibt, sind es, die die Wirtschaft aufrechterhalten, aber das geht nicht lange. In diesem Sinn befasst sich die Andere Kampagne auf beiden Seiten der Grenze, mit dem, was unten passiert, also da, wo wir sein sollten, unter den Auswanderern und ihren Familien.

Das ist das Andere Mexiko, das wir vereinen werden. Diese ganze Mobilisierung findet außerhalb der politischen Parteien statt, weil es für sie weder die Demokraten noch die Republikaner gibt. Es gibt für sie keine Parteien, das ist ebenfalls Teil der Krise der politischen Klasse überall auf der Welt. Und damit diese Bewegungen dort überleben können, so wie sie sind, mit ihrer eigenen Latino-Identität, und nicht nur als Mexikaner, kommen sie ebenfalls an einen Punkt, an dem sie sagen, wir müssen irgendwas tun. Und keiner der Organisatoren, keiner derer, die zu dieser Bewegung aufgerufen haben, hat mit so viel Beteiligung gerechnet. Es geschehen Sachen, die nicht in den Handbüchern der politischen Kolumnisten stehen, die nichts mit dem Gleichgewicht der Kräfte zu tun haben. Das heißt, niemand hat auf das, was unten geschieht, geachtet, niemand hat bemerkt, dass da unten ein organisatorischer Prozess vor sich geht, der nicht davon abhängt, was oben mit den politischen Parteien oder der herrschenden Klasse passiert.

Kommt es zu Aktionen auf vereinigter Front, wird es ähnlich sein wie am 1. Jänner 1994, aber auf zivile, friedliche Weise. Aber in beiden Fällen fließt das mexikanische Blut mit viel Würde.

Wird die Andere Kampagne gut empfangen werden, wenn sie sich der Grenze nähert?

Es gibt bereits Aktionen von Compañeros der Anderen Kampagne von der Anderen Seite. Wir haben gesagt, dass wir ein anderes Land aufbauen müssen, damit unsere Leute nicht weggehen müssen, und jene, die bereits weg sind, die Option haben zurückzukommen. Was sie dort drüben aufgebaut haben, ist ein Teil von uns, als ob wir einen Teil von Mexiko nördlich vom Rio Grande exportiert hätten. In unserer eigenen Geschichte ist es Teil unseres Schmerzes, aber auch Teil der gleichen organisatorischen Erfahrung. Sie kommen zusammen als Zapoteken, Mixteken, Chiapaneken, weil es viele Bundesstaaten gibt, die Indígenas exportieren. Wir wollen ein anderes Mexiko, in dem alle Ursachen, die Menschen zwingen auszuwandern berücksichtigt werden; wo wir sagen können, dass es hier Platz gibt, dass die Menschen zurückkommen können, dass sie nicht weggehen müssen.

Welchem Szenario steht die Andere Kampagne heute in Lateinamerika gegenüber?

Im Fall von Bolivien wurde das so dargestellt, als ob wir die Bewegung verachtet und abgewiesen hätten, weil wir nicht zur Amtseinführung von Evo Morales erschienen sind. Wir sagten, dass im Gegensatz zu Mexiko und anderer Orte es hier einer Volksbewegung tatsächlich gelungen ist, die Struktur aufzubrechen und sie mit ihrer eigenen zu ersetzen.
Es stellt sich nun die problematische Frage, welche Art von Beziehung zwischen der Regierung und der Bewegung existieren sollte und all das. Was sie dort tun sollten, ist nach unten zu blicken, zur Bewegung, die das alles möglich gemacht hat, und ihre Entscheidungen respektieren, nicht die Entscheidungen auf Regierungsebene, auf institutioneller Ebene, sondern die Entscheidungen, die unten gemacht werden.

Was für ein Problem gibt es mit der Regierung in Bolivien?

Sie blickt nach oben. Evo ist an der Macht, er ist Präsident, aber in diesem Sinn sollte die Regierung nach unten blicken.

Du siehst sie also nicht als eine Volksgewalt?

Noch nicht. Sie könnte dazu werden. Wir hören noch darauf, was die Bewegung von unten sagt, die Indigene Volksbewegung, die das alles geleitet hat. Wir haben ihnen ganz klar gesagt: Wir blicken nach oben, wenn die Menschen von unten uns sagen, nach oben zu blicken. Wir fühlen uns der Bolivianischen Indigenen Bewegung sehr stark verbunden, aber sie achten selber noch darauf, wie sich alles entwickelt, und es wäre ein Fehler von uns gewesen, nicht nur seitens der Anderen Kampagne in Mexiko, sondern auf kontinentaler Ebene, nach oben zu blicken und nicht nach unten.
So wie die Zapatisten der kubanischen Bevölkerung Mais geschickt hat, nicht der Kubanischen Regierung. Ob die Regierung miteinbezogen wird, haben nur sie zu entscheiden, nicht wir. Und besonders in diesem Fall, ist eine klare linke Botschaft, weil es heutzutage in der demokratischen oder progressiven Linken, oder wie man sie sonst nennt, sehr angesagt ist, Kuba zu kritisieren, die Blockade zu vergessen und zwischen Castro und Kuba zu unterscheiden. Eine wirklich linke Position wäre es zu sagen, hier findet ein Machtmissbrauch gegen ein Volk statt und das wichtigste ist Solidarität. Das Volk kann seine eigenen Entscheidungen treffen. Die kubanische Bevölkerung hat Batista gestürzt - keiner hat ihnen zu sagen, was ein Diktator ist.

Glaubst Du, dass mit den jüngsten Regierungswechseln in Lateinamerika ein wirklicher Wandel stattfindet?

Noch nicht. Es gibt zwei Beispiele. Da gibt es Lula in Brasilien, den wir als die nordamerikanische Machtoption in Lateinamerika und der restlichen Welt ansehen, die sowohl die administrativen Staaten für die Rechte wiederherstellt, als auch mit der Linken redet. Das andere Beispiel ist Bolivien, mit der Implikation einer aufständischen Bewegung, die Evo Morales an die Macht brachte.

Argentinien? Uruguay?

Da ist es sogar noch schwächer. Was passiert ist, dass überall Staaten zusammenbrechen, und dann gibt es nur zwei Optionen: die Rechte und die Linke. Aber so lange sie nur Verwalter sind, unterscheiden sie sich nur in der Rhetorik voneinander, und manchmal nicht einmal darin, wie es in Chile, Uruguay und in Mexiko der Fall ist. Der interessanteste und bedeutsamste Fall ist sicher Bolivien. Und dann gibt es die ständigen Reibereien zwischen Lula und der MST wegen der ganzen Forderungen, die Lula nicht erfüllt hat, während er ein neoliberales Modell durchsetzt.

Hat die MST die Andere Kampagne angesprochen?

Ja, und sie sind an dem Vorschlag eines neuen Wegs interessiert, einer Linken, die nicht nur in der Rhetorik besteht, sondern die sich gegen den Kapitalismus stellt. Aber Bolivien ist der Fall, dem wir die größte Aufmerksamkeit zuwenden und wo wir nach unten blicken möchten. Wir wollen niemandem sagen, was sie tun sollen; wir möchten, dass sie es uns sagen, aber das muss von unten kommen. Wir möchten nicht hören, was Evo Morales über Bolivien zu sagen hat, sondern was die aufständischen Indígenas zu sagen haben, die Menschen, die in Brasilien, Argentinien, überall kämpfen ... was die Menschen von unten zu sagen haben. Und genauso ist es mit Venezuela, es muss von unten kommen.

Interview: Herman Bellinghausen