EZLN: 20 & 10
Das Feuer und das Wort


Guten Tag, guten Nachmittag und guten Abend.

Hier spricht Sup Marcos. Willkommen an alle. Wir sind hier, um mit der Feier einer Geschichte zu beginnen, und um ein Buch zu präsentieren, das einen guten Teil dieser Geschichte erzählt.
Auch wenn man das Gegenteil denken könnte, die Geschichte die gefeiert und erzählt wird, sind nicht die 20 und 10 Jahre der EZLN. Das heißt, nicht nur. Vielen Menschen kommt es so vor, als hätten sie an diesen 20 und 10 Jahren teilgenommen.
Und damit meine ich nicht nur tausende indigene Rebellen im Widerstand, sondern auch tausende Männer, Frauen, Kinder und Alte aus Mexiko und der ganzen Welt.
Die Geschichte die wir heute zu feiern beginnen, ist auch die Geschichte jedes und jeder einzelnen von ihnen. Die Worte, die ich heute schreibe und spreche, wenden sich an all diese Menschen, die ohne den Reihen der EZLN anzugehören mit uns gemeinsam eine Idee teilten, lebten und für sie kämpften: die Errichtung einer Welt, in die alle Welten passen.
Man könnte auch sagen, wir wollen einen Geburtstag, in den alle Geburtstage passen. Beginnen wir die Fiesta also, wie wir die Geburtstagsfeste in den Bergen des mexikanischen Südostens seit 20 Jahren beginnen, das heißt, indem wir Geschichten erzählen.

Unserem Kalender zufolge hatte die Geschichte der EZLN vor dem Beginn des Krieges, sieben Etappen.

Die erste Etappe war die Auswahl der Leute, die der EZLN angehören würden. Das war um 1982. Es wurden Übungen von ein, zwei Monaten in der Selva organisiert, und die Leistung der Teilnehmer wurde bewertet, um zu sehen, wer "es aushalten" konnte.

 

Die zweite Etappe war das, was wir das "Implantieren" nennen, das heißt, die eigentliche Gründung der EZLN. Heute ist der 10. November 2003. Stellen Sie sich bitte vor, wie an einem Tag wie heute, aber vor 20 Jahren, 1983, eine Gruppe von Personen in irgendeinem sicheren Haus die Ausrüstung vorbereitete, die sie in die Berge des mexikanischen Südostens mitnehmen würde. Diesen Tag vor 20 Jahren verbrachte man vielleicht mit der Überprüfung von Vorräten, dem Einholen von Informationen über Straßen, alternative Routen, Zeiten; der Aufstellung von Zeitplänen, Befehlen, Vorkehrungen. Vor 20 Jahren, zu vielleicht genau dieser Stunde, bestiegen sie ein Fahrzeug und begannen die Reise nach Chiapas. Wenn wir dort gewesen sein könnten, hätten wir diese Personen vielleicht gefragt, was sie zu tun beabsichtigten. Und sicher hätten sie uns geantwortet: "Wir werden die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung gründen". Sie hatten 15 Jahre darauf gewartet, diese Worte sagen zu können. Nehmen wir mal an, daß sie ihre Reise am 10. November 1983 begonnen haben. Einige Tage später erreichten sie das Ende eines Trampelpfades, stellten ihre Sachen ab, verabschiedeten den Fahrer mit einem "bis dann", und nachdem sie ihre Rucksäcke geschultert hatten, machten sie sich daran, eine der Sierras zu erklimmen, die nach Westen hin die Selva Lacandona durchziehen.
Viele Marschstunden später, mit jeweils 25 Kilo auf dem Rücken, schlagen sie ihr erstes Lager auf, inmitten der Sierra. Ja, es ist durchaus denkbar, daß dieser Tag kalt war und es sogar regnete. Heute vor 20 Jahren senkte die Nacht sich rasch über die großen Bäume, und mit Hilfe von Taschenlampen hängten diese Männer und Frauen ein Plastikdach an einer Leine auf, befestigten ihre Hängematten, suchten nach trockenem Feuerholz und zündeten eine Plastiktüte an, um das Feuer in Gang zu bringen. Im Schein dieses Feuers notierte der Befehlshaber in sein Feldtagebuch etwas in der Art: "17. November 1983. So und so viele Meter über dem Meeresspiegel. Regnerisch. Bauten Lager auf. Keine Zwischenfälle". In der linken oberen Ecke des Blattes, erscheint der Name, den sie dieser ersten Station einer Reise gegeben haben, die - wie sie alle wissen - sehr lang sein wird. Es gab keine besondere Zeremonie, aber an diesem Tag und in dieser Stunde wurde die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung gegründet.
Bestimmt schlug damals jemand einen Namen für dieses Lager vor, wir wissen es nicht. Was wir sicher wissen ist, daß diese Gruppe aus sechs Personen bestand. Die ersten sechs Insurgentes, fünf Männer und eine Frau. Von diesen sechs waren drei Mestizen und drei Indígenas. Das Verhältnis von 50% Mestizen und 50% Indígenas sollte sich in den 20 Jahren der EZLN nie mehr wiederholen, genauso wenig wie das Verhältnis von Frauen (weniger als 20% in diesen ersten Tagen). Im Augenblick, 20 Jahre nach diesem 17. November, liegt der Prozentsatz bei etwa 98,9% Indígenas und 1% Mestizen. Der Frauenanteil liegt bereits bei etwa 45%.
Wie hieß dieses erste Lager der EZLN? In dieser Hinsicht sind sich die ersten 6 Insurgentes nicht einig. Wie ich später lernte, wurden die Namen der Lager ohne jede Logik gewählt, ganz natürlich und ohne Verstellung, unter Vermeidung apokalyptischer oder prophetischer Namen. Keins darunter heißt zum Beispiel "Primero de enero de 1994".
Wie diese ersten 6 erzählen, wurde eines Tages ein Insurgent losgeschickt, um zu erforschen, ob ein Standort die nötigen Voraussetzungen für ein Lager bot. Der Insurgent sagte bei seiner Rückkehr, der Platz sei "ein Traum". Die Compañeros marschierten darauf los, und als sie ankamen, standen sie in einen Sumpf. Daraufhin sagten sie zu ihrem Compañero: "Das ist kein Traum, das ist ein Alptraum". Und so hieß das Lager danach: "Der Alptraum".
Das muß in den ersten Monaten 1984 gewesen sein. Der Name dieses Aufständischen war Pedro. Später würde er zum zweiten Leutnant, Leutnant, Unterhauptmann, Hauptmann und Subcomandante aufsteigen. Mit diesem Rang und als Anführer des zapatistischen Generalstabs, fiel er 10 Jahre später, im Januar 1994, im Kampf bei der Einnahme von Las Margaritas, Chiapas, Mexiko.

In der dritten Etappe, immer noch vor dem Aufstand, widmeten wir uns der Aufgabe des Überlebens, das heißt, wir jagten, fischten und sammelten Früchte und Waldpflanzen. In dieser Zeit eigneten wir uns Kenntnisse über das Terrain an, Orientierung, Wanderungen, Topographie. Und wir studierten militärische Strategien und Taktiken aus den Handbüchern der nordamerikanischen Armee und der mexikanischen Streitkräfte, und den Gebrauch und die Pflege diverser Schußwaffen, sowie die sogenannten "Kampfsportarten". Wir studierten auch mexikanische Geschichte und führten natürlich ein sehr intensives Kulturleben.
Ich kam in die Selva Lacandona während dieser dritten Etappe, 1984. Das heißt im August, September dieses Jahres, ungefähr neun Monate nach Ankunft der ersten Gruppe. Mit mir kamen zwei weitere Compañeros: eine indigene Chol-Compañera, und ein indigener Tzotzil-Compañero. Wenn ich mich recht entsinne, bestand die EZLN bei meiner Ankunft aus sieben Basiselementen und zwei weiteren, die in der Stadt "ein und aus gingen", für Postzustellungen und um Vorräte zu beschaffen. Sie durchquerten die Dörfer nachts als Ingenieure verkleidet.
Die Lager waren damals relativ einfach: es gab ein Verwaltungsareal oder eine Küche, die Schlafräume, den Übungsplatz, den Wachposten, das Areal 25 und 50 und die Schußübungsplätze für Selbstverteidigung. Vielleicht werden sich einige Zuhörer fragen, was zum Henker das "Areal 25 und 50" ist. Nun, zur Erfüllung gewisser Bedürfnisse, die man als "primär" bezeichnet, mußte man einen gewissen Abstand vom Lager halten. Um zu urinieren mußte man sich 25 Meter weit entfernen, um zu defäkieren waren es 50 Meter, außerdem mußte man ein Loch mit der Machete schlagen und das "Produkt" sofort abdecken. Natürlich galten diese Bedingungen als wir, wie es so schön heißt, nur eine Handvoll Männer und Frauen waren, also nicht mehr als 10. Später bauten wir Latrinen in abgelegenere Zonen, aber die Bezeichnung "25 und 50" blieb hängen.
Es gab ein Lager, das man "Der Ofen" nannte, weil wir dort zum ersten Mal einen bauten. Davor wurde das Feuer am Boden angezündet, und die Töpfe (es gab zwei: einen für Bohnen und einen anderen für Tiere, die wir erlegt oder gefischt hatten) wurden an eine mit Lianen festgemachten Stange gehängt. Aber bald wurden wir mehr, und so traten wir in das "Zeitalter des Ofens".
Zu der Zeit bestand die Truppe der EZLN aus 12 Mitstreitern. Etwas später, in einem Lager namens "Rekruten" (weil hier die neuen Kämpfer ausgebildet wurden), traten wir in das "Zeitalter des Rades" ein. Das heißt, wir schnitzten uns mit der Machete ein Holzrad zurecht und bauten einen Schubkarren, um Steine für die Schützengraben zu transportieren. Das muß schon lange her sein, weil das Rad noch ziemlich quadratisch war, und am Ende schleppten wir die Steine auf dem Rücken. Ein anderes Lager hieß "Baby Doc", zu Ehren des Herren, der Haiti mit dem Segen der Vereinigten Staaten terrorisierte. Wir waren gerade mit einer Kolumne von Rekruten auf dem Marsch, um in der Nähe eines Dorfes zu kampieren. Unterwegs stießen wir auf ein Rudel Wildschweine, das heißt, einen ziemlicher Haufen von ihnen. Die Guerrillakolumne verteilte sich diszipliniert und gewandt, das heißt, der Anführer brüllte "Schweine!", und stürmte von Panik getrieben mit einer nie wieder gesehenen Geschicklichkeit auf einen Baum. Andere rannten tapfer los, aber in die vom Feind, das heißt, den Wildschweinen, entgegengesetzte Richtung. Einige legten an und nahmen zwei Wildschweine ins Visier. Beim feindlichen Rückzug, das heißt, als die Schweine davonzogen, blieb ein kleines Schweinchen zurück, so groß wie eine Hauskatze. Wir adoptierten es und tauften es "Baby Doc", weil Papá Doc Duvalier damals gerade gestorben war, und das Schlachtfest an seine Nachkommen weitervererbt hatte. Wir lagerten dort, um die Waffen zu reinigen und zu essen. Das Schweinchen verliebte sich sehr in uns, ich glaube, das lag am Gestank.
Ein anderes Lager in diesen Jahren hieß "Jugendlager", weil hier die erste Gruppe jugendlicher Insurgentes gebildet wurde, die "Jungen Rebellen des Südens". Einmal pro Woche trafen sich die jungen Insurgentes, um zu singen, zu tanzen, zu lesen und Sport und Wettkämpfe zu treiben. Am 17. November 1984, vor 19 Jahren, feierten wir zum ersten Mal den Jahrestag der EZLN. Wir waren neun. Ich glaube, das war in einem Lager namens "Margaret Thatcher", weil wir dort ein Äffchen aufgegabelt hatten, die, ich schwöre Ihnen, das genaue Ebenbild der "Eisernen Lady" war. Ein Jahr später, 1985, feierten wir in einem Lager namens "Watapil", genannt nach einer Pflanze, aus deren Blättern wir das Dach des Vorratslagers gebaut hatten. Ich war Unterhauptmann, wir befanden uns in der sogenannten "Sierra de Almendro", und die Hauptkolumne war in einer anderen Berggegend geblieben. Ich hatte drei Insurgentes unter meinem Kommando. Wenn meine mathematischen Kenntnisse mich nicht im Stich lassen, waren wir in diesem Lager also zu viert. Wir feierten mit Tostadas, Kaffee, Pinole mit Zucker und einer Cójola, die wir am Morgen erlegt hatten. Es gab Lieder und Gedichte. Einer würde singen oder vortragen, und die anderen drei applaudierten mit einer Langweile, die eines Besseren würdig gewesen wäre. Als ich an die Reihe kam, sagte ich ihnen in einer feierlichen Ansprache, ohne weitere Argumente zu haben als die Moskitos und die Einsamkeit, die uns umgab, daß wir eines Tages Tausende sein würden, und unser Wort um die Welt gehen würde. Die anderen drei kamen überein, daß die Tostada wahrscheinlich verdorben war und mir sicher geschadet hatte und ich deshalb im Delirium war. Ich weiß noch, daß es in dieser Nacht regnete.

In der sogenannten vierten Etappe wurden die ersten Kontakte mit den umliegenden Dörfern geknüpft. Zuerst redeten wir mit einer Person, und diese redete mit ihrer Familie. Die Familie gab es an das ganze Dorf weiter. Das Dorf an die ganze Region. So wurde unsere Anwesenheit langsam zu einem offenen Geheimnis und einer massiven Verschwörung. In dieser Etappe, die parallel zur dritten verlief, war die EZLN bereits nicht mehr das, was wir uns bei unserer Ankunft vorgestellt hatten. Zu der Zeit waren wir bereits von den indigenen Gemeinden besiegt worden, und als Produkt dieser Niederlage fing die EZLN an, diametral zu wachsen und "sehr anders" zu werden, das heißt, das Rad verbog sich weiter, bis es endlich rund war und das tun konnte, was Räder tun sollen, also rollen.

Die fünfte Etappe war das explosive Anwachsen der EZLN. Aufgrund der politischen und sozialen Bedingungen, wuchsen wir über die Selva Lacandona hinaus und erreichten das Hochland und den Norden von Chiapas.

Die sechste Etappe war die Abstimmung für den Krieg und die Vorbereitungen, einschließlich der sogenannten "Schlacht von Corralchén" im Mai 1993, als wir unser erstes Gefechte mit der Bundesarmee zu bestehen hatten. Vor zwei Jahren, auf dem Marsch für die Indigene Würde, sah ich an einem der Orte, durch die wir zogen, eine Art dicke Flasche, wie ein Topf mit einem engen Hals. Ich glaube, sie war aus Lehm und war mit winzigen Spiegelstückchen bedeckt. Wenn sie das Licht reflektierten, warf jeder kleine Spiegel auf der Topfflasche ein bestimmtes Bild zurück. Alles um sie herum hatte sein eigenes Spiegelbild, und ähnelte gleichzeitig einem Regenbogen aus Bildern. Es war, als ob viele kleine Geschichten vereint wurden, ohne ihre Einzigartigkeit zu verlieren, um eine größere Geschichte zu bilden. Ich dachte, daß die Geschichte der EZLN vielleicht so erzählt, gesehen und analysiert werden könnte wie dieser Flaschentopf.

Heute, am 10. November 2003, zwanzig Jahre nach der ersten Reise der Gründer unserer Organisation, beginnt auf Initiative der Revista Rebeldía eine Kampagne, um den 20. Geburtstag der EZLN und den 10. Jahrestag seit Beginn des Krieges gegen das Vergessen zu feiern und um dieses Buch von Gloria Muñoz Ramírez vorzustellen mit dem Titel "EZLN: 20 und 10, das Feuer und das Wort."
Wenn man dieses Buch mit einem Bild ausdrücken könnte, gäbe es kein besseres, als die spiegelbedeckte Topfflasche. In einem Teil des Buches sammelte Gloria die Aussagen einiger Compañeros Unterstützungsbasen, Verantwortlichen, Komitees und Insurgenten, die von ihrem eigenen Spiegelchen in den letzten fünf Etappen vor dem Aufstand erzählen, das heißt die Etappen 3, 4, 5, 6, und 7. Es ist das erste Mal, daß die Compañeros, die mehr als 19 Jahre im zapatistischen Kampf zugebracht haben, ihr Herz und ihre Erinnerung über diese Jahre des Schweigens öffnen. Und so verwandelte Gloria diese kleine Spiegelstückchen in Kristalle, durch die man einen kleinen Blick auf diese ersten 10 Jahren der EZLN werfen kann.
Auf diese Weise kann eine andere Geschichte erraten werden, die sich sehr von derjenigen unterscheidet, die von den Regierungen von Carlos Salinas de Gortari und Ernesto Zedillo entworfen wurde, durch Lügen, beliebig veränderte Polizeiberichte und die Komplizität der Intellektuellen, die unter der Maske angeblich "ernsthafter" Untersuchungen die Schecks und die Streicheleinheiten verbargen, die sie von der Macht im Tausch für ihre "wissenschaftliche Objektivität" erhielten.
Durch die kleinen Stückchen von Spiegel und Kristall, die Gloria zusammengesucht hat, wird der Leser erkennen, daß das Gezeigte kaum über ein paar Teile eines gigantischen Puzzles hinausreicht. Ein Puzzle, dessen Kernstück der erste Tag des Jahres 1994 ist, an dem Mexiko durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen in die Erste Welt eintrat.

Der Vorabend dieses ersten Januars, war die siebte Etappe der EZLN. Ich erinnere mich, daß ich mich in der Nacht des 30. Dezember 1993 auf der Straße zwischen Ocosingo und San Cristóbal de las Casas befand. An diesem Tag hatten ich unsere Positionen nahe Ocosingo aufgesucht. Ich hatte über Funk die Lage unserer Truppen überprüft, die sich an verschiedenen Punkten entlang der Autobahn konzentrierten. Diese Truppen gehörten zum dritten Infanterieregiment. Es waren etwa 1.500 Kämpfer. Das dritte Regiment hatte den Auftrag, Ocosingo einzunehmen. Aber zuvor sollten sie "unterwegs" die Fincas der Zone besetzen und die Weißen Garden der Finqueros entwaffnen.
Wie man mir berichtet hatte, wurde das Dorf San Miguel von einem Armeehubschrauber umflogen, sicher von den vielen Fahrzeugen dort alarmiert. Seit dem Morgen des 29. Dezembers hatte kein Fahrzeug die Cañadas verlassen; alle wurden "ausgeliehen", um die Truppen des dritten Regiments zu mobilisieren. Das dritte Regiment bestand ausschließlich aus Tzeltal Indígenas. Unterwegs hatte ich die Positionen des 8. Bataillons überprüft (ein Teil des 5. Regimentes), das die Aufgabe hatte, in einem ersten Vorstoß den Bezirkshauptsitz Altamirano einzunehmen. Danach sollte es weitermarschieren, um Chanal, Oxchuc und Huixtán einzunehmen und sich dem Angriff auf die Garnison Rancho Nuevo vor San Cristóbal anzuschließen.
Das 8. Bataillon war verstärkt worden. Für die Einnahme von Altamirano würde es etwa 600 Kämpfer haben, von denen ein Teil auf der besetzten Plaza bleiben würden. Auf dem Vormarsch würde es mehr Compañeros aufnehmen, um Rancho Nuevo mit etwa 500 Streitkräften zu erreichen. Das 8. Bataillon wurde überwiegend von Tzeltales gebildet.
Immer noch auf der Autobahn, machte ich auf einer Anhöhe Rast, um Funkkontakt mit dem 24. Bataillon aufzunehmen (ebenfalls Teil des 5. Regimentes), das die Mission hatte, den Bezirkshauptsitz San Cristóbal de Las Casas einzunehmen, und (zusammen mit dem 8. Bataillon) das Militärquartier Rancho Nuevo anzugreifen. Das 24. war ebenfalls ein verstärktes Bataillon. Zu seiner Truppe zählten etwa 1.000 Kämpfer, alle aus dem Hochland und Tzotzil-Indígenas.
Als ich San Cristóbal erreichte, umrundete ich die Stadt und ging zu der Position, an der sich das Hauptquartier des EZLN-Kommandos befinden würde. Von hier setzte ich mich per Funk mit dem Befehlshaber des 1. Regiments in Verbindung, Subcomandante Insurgente Pedro, Leiter des zapatistischen Generalstabs und zweiter Kommandant der EZLN. Seine Mission war es, den Hauptsitz von Las Margaritas einzunehmen, und auf das Militärquartier in Comitán vorzustoßen. Das Erste Regiment mit 1.200 Kämpfern bestand überwiegend aus Tojolabales. Zusätzlich blieb in der sogenannten "zweiten strategischen Reserve" ein Bataillon von Chol-Indígenas und tief in unseren Basiscamps in den Tzeltal-, Tojolabal-, Tzotzil- und Chol-Gebieten hielt sich die sogenannte "erste strategische Reserve" mit drei Bataillonen in Bereitschaft.
Ja, die EZLN trat in das Licht der Öffentlichkeit mit mehr als 4.500 Soldaten in den vordersten Kampfreihen, die 21. Zapatistische Infanteriedivision und weitere 2000 Kämpfer blieben in der Reserve. Am Morgen des 31. Dezembers 1993 bestätigte ich den Angriffsbefehl, das Datum und die Stunde. Kurz gesagt: die EZLN würde gleichzeitig 4. Bezirkshauptsitze angreifen und unterwegs drei weitere, die Polizei und Militärtruppen dort überwältigen und dann weitermarschieren, um zwei große Garnisonen der Bundesarmee anzugreifen.
Der Tag: der 31. Dezember 1993, die Stunde: 24.00 Uhr.
Am Morgen des 31. Dezember 1993 evakuierten wir die Stadtpositionen, die wir an einigen Orten aufrechterhielten. Gegen 14 Uhr meldeten die verschiedene Regimente dem Generalkommando per Funk, daß sie einsatzbereit waren. Um 17 Uhr begann der Countdown: es war die Stunde "minus 7". Von diesem Zeitpunkt an herrschte völlige Funkstille zwischen den Regimenten. Der nächste Funkkontakt war für "plus 7" vorgesehen, also um 7 Uhr des 1. Januar 1994, für die, die dann noch lebten.

Wenn Sie nicht wissen, was danach folgte, können Sie es in diesem Buch erfahren, und wenn Sie es wissen, dann können Sie sich dadurch daran erinnern. Die Topfflasche verwandelt sich darin in einen gigantischen Wandteppich, dessen allgemeinen Züge bereits von Gloria gezeichnet worden sind, voller Stückchen aus Spiegel und Kristall, die aus den verschiedenen Momenten der EZLN in den letzten 10 Jahren, das heißt, zwischen dem 1. Januar 1994 und dem 1. August 2003, zusammengesetzt wurden.
Ich bin sicher, daß viele den Spiegel und den Kristall finden werden, die ihnen entsprechen. [...] Im Vorwort zum Buch habe ich folgendes geschrieben:

"Vor 10 Jahren, am Morgen des 1. Januar 1994, erhoben wir uns in Waffen für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit für alle Mexikaner. In einer Simultanaktion nahmen wir sieben Bezirkshauptsitze des südöstlichen Bundesstaates von Chiapas ein, und erklärten der Bundesregierung und deren Armee und Polizei den Krieg. Seit damals kennt uns die Welt als die "Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung". Aber wir haben uns schon vorher so genannt. Die EZLN wurde vor 20 Jahren, am 17. November 1983 gegründet, und als EZLN begannen wir, die Berge des südöstlichen Mexikos zu bewandern, beladen mit einer kleinen Fahne mit schwarzem Hintergrund und einem fünfeckigen roten Stern mit den Buchstaben "EZLN", auch in rot, darunter. Ich trage diese Fahne immer noch. Sie wurde oft geflickt und ist arg mitgenommen, aber sie weht immer noch anmutig im Generalkommando der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung. Auch unsere Seelen sind geflickt und tragen Wunden, die vernarben sollten, aber wieder aufbrechen, wenn wir es am wenigsten erwarten.
Zehn Jahre lang haben wir uns auf diese ersten Minuten des Jahres 1994 vorbereitet. Nun blicken wir auf den 1. Januar 2004. Bald werden sich 10 Jahre des Krieges erfüllen. 10 Jahre Vorbereitung und 10 Jahre Krieg. 20 Jahre. Aber ich werde weder von den ersten 10 Jahren reden, noch von den 10 danach, und auch nicht von den 20 Jahren zusammen. Ich werde nicht einmal über Jahre, Tage, oder Kalender sprechen. Ich werde von einem Mann erzählen, einem aufständischen Soldat, einem Zapatista. Ich werde nicht viel sagen. Das kann ich nicht. Noch nicht. Sein Name war Pedro, und er starb im Kampf. Er hatte den Rang eines Subcomandante und war im Augenblick seines Todes der Leiter des Generalstabs der EZLN und mein zweiter im Kommando. Ich werde nicht sagen, er sei nicht gestorben. Er starb wirklich, und ich wollte nicht, daß er stirbt. Aber wie alle unsere Toten läuft Pedro herum und taucht manchmal auf und redet und scherzt und wird ernst und fragt nach mehr Kaffee und zündet die x-te Zigarette an.
Er ist jetzt hier. Es ist der 26. Oktober, und es ist sein Geburtstag. Ich sage ihm "Alles Gute, Geburtstagskind". Er hebt seinen Kaffeebecher und sagt "Salud, Sup". Ich weiß nicht, wieso ich mich "Marcos" genannt habe, wenn keiner mich so anredet, alle sagen "Sup" zu mir oder etwas vergleichbares. Pedro nennt mich "Sup". Pedro und ich unterhalten uns. Er erzählt, und ich erzähle. Wir erinnern uns. Wir lachen. Wir werden ernst. Manchmal schimpfe ich mit ihm. Ich beschimpfe ihn, weil er ungehorsam war, weil ich ihm nicht angeordnet hatte zu sterben und er trotzdem starb. Er hat nicht gehorcht. Also beschimpfe ich ihn. Er reißt nur die Augen auf und sagt zu mir "nicht möglich". Ja, nicht möglich.
Dann zeige ich ihm eine Landkarte. Er hat sich Landkarten immer gerne angesehen. Ich zeige ihm, wie wir gewachsen sind. Er lächelt. Josué kommt näher, grüßt und beglückwünscht ihn: "Glückwünsche Compañero Subcomandante Insurgente Pedro". Pedro lacht und sagt: "Himmel Mann, bis Du das alles gesagt hast kann ich ja gleich noch einmal Geburtstag feiern ". Pedro sieht Josué an, und er sieht mich an. Ich stimme schweigend zu. Plötzlich feiern wir keinen Geburtstag mehr.
Wir drei besteigen gemeinsam einen Hügel. Während einer Rast sagt Josué: "Bald werden es 10 Jahre seit Kriegsbeginn sein". Pedro sagt nichts, er zündet sich nur die Zigarette an. Josué fährt fort: "Und 20 Jahre seit der Geburt der EZLN. Da muß es ein großes Tanzfest geben".
"20 und 10", wiederhole ich langsam, und füge hinzu, "und die, die noch kommen werden". Dann haben wir den Gipfel des Hügels schon erreicht. Josué legt seinen Rucksack ab. Ich zünde meine Pfeife an und zeige mit der Hand in die Ferne. Pedro sieht, wohin ich zeige, er steht auf und sagt, sagt zu sich, sagt zu uns: "Ja, man kann den Horizont schon sehen..."
Pedro geht. Josué schultert wieder seinen Rucksack, und sagt mir, daß wir ihm folgen müssen Und ja, so ist es, wir müssen folgen. Was sagte ich gerade? Ah ja! Wir wurden vor 20 Jahren geboren, und vor 10 Jahren haben wir uns in Waffen erhoben für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit. Man kennt uns unter dem Namen "Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung", und unsere Seelen, voller Flicken und Narben, wehen weiterhin genau wie die alte Fahne, die dort oben zu sehen ist, die mit dem roten fünfeckigen Stern auf schwarzem Hintergrund und den Buchstaben "EZLN". Wir sind die Zapatisten, die Allerkleinsten, die ihre Gesichter verhüllen, um gesehen zu werden, die Toten, die sterben, um zu leben. Und das alles wegen einem 1. Januar vor 10 Jahren und einem 17. November vor 20 Jahren in den Bergen des mexikanischen Südostens."

Hier endet das Vorwort und beginnt das Werk von Gloria Muños Ramírez, genau so wie heute meine Worte enden, und die Kampagne "EZLN: 20 und 10, das Feuer und das Wort" beginnt, mit der Vorstellung eines Buches, das manchmal wie eine Topfflasche ist, bedeckt mit Spiegeln und Kristallen, manchmal wie ein Wandteppich und immer eine Geschichte, die nicht vergessen werden darf, denn wenn wir sie vergessen, vergessen wir uns selbst. Und jetzt ist es offiziell: wir beglückwünschen alle, die in diesen 20 und 10 Jahren mit Feuer und dem Wort beigetragen haben.
Das ist alles, was ich zu sagen habe. Wenn es Ihnen langweilig geworden ist, besuchen Sie doch morgen am 11. November die Kunstausstellung und Verlosung im Kulturhaus Jesús Reyes Heroles, und das Tanzfest am 14. November im Salón Los Ángeles. Und wenn Ihnen dann immer noch langweilig ist, dann sind sie aus dem richtigen Holz geschnitzt, um Abgeordnete, Senatoren oder mexikanische Präsidentschaftskandidaten zu werden.
Gut, ich gehe jetzt, weil bereits die ersten Klänge von "Cartas Marcadas" zu hören sind und weil die mir sicher alle Pasteten und Süßigkeiten wegklauen werden.

Vale. Salud, und auf daß alle uns finden und sich finden.

aus den Bergen des mexikanischen Südostens, und Ballons aufblasend,
damit keiner sagen kann, ich würde keinen mehr hochkriegen
Subcomandante Insurgente Marcos
Mexiko November 2003