Comunicado der EZLN 24. Juni 2021
-*- Aus dem Anderen Europa. PostScript.- Hier ist das Lied von León Gieco – mit dem Titel: »An Land gehen«. Ich habe es seit Jahren in der »Mappe des Noch-Ausstehenden« herumgetragen – und mich gefragt, wann und in welches Video es einzusetzen sein wird. Letztendlich dachte ich, ich werde schon wissen, wenn seine Zeit gekommen ist. Den Moment vor Augen – an dem Marijose ihren-seinen Fuß auf galizischen Boden setzt – habe ich nicht an das Lied gedacht, sondern an die unsichtbare Verbindung, die Musik und Bukanier-Stiefel verknüpft (1) – einen Seeräuber-Stiefel, der einen Maya-gebürtigen Fuß umschließt und der iberisches Land betritt. Ich forschte nach und fand heraus, das Lied wurde 2011 als gleichnamige CD veröffentlicht. Das sind 10 Jahre … oder mehr. Wann kam Léon Gieco in den Sinn, dieses Lied zu komponieren - ihm, dem unwillentlichen Bruder oder Bruder unter Protest, so wie es Juan Villoro ist? Dieses Lied, das einen Teil der großen Umarmung darstellt, die Lateinamerika bedeutet. Vor Monaten erst – oder bereits Jahre zuvor? Hat León von dem geträumt, wovon der Lied-Text spricht? Ist es derselbe Traum, den Marijose während der brennenden Umarmung im April träumte – damals als gesagt wurde, sie-er würde die-der Erste sein, die-der an Land gehen wird? Derselbe Traum, den der verstorbene SupMarcos träumte – als er Jahre vor dem Aufstand [die Erzählung] »Matrose in den Bergen« schrieb? Derselbe Traum, der Don Durito de La Lacandona (2) wach hielt – als er seine Reise durch Europa imaginierte (oder realisierte; niemals werden wir es wissen)? Wovon Comandanta Ramona träumte, die als erste zapatistisches Gebiet verließ und aus deren Schritten der Congreso Nacional Indígena erwuchs (3)? Der Traum, der dem damaligen Teniente Coronel Insurgente Moisés kam, als er 2010 – am Rande einer Holzhütte in den Bergen des Südosten Mexikos – den Grad eines Subcomandante erhielt? Wovon der Señor Ik, der SubPedro (4) und weitere 45 Zapatistas geträumt haben – noch Augenblicke bevor sie im Januar 1994 kämpfend fielen? Der Traum, den der Pueblo originario (5) Sami im äußersten Norden Europas kollektiv träumt – mit der Erklärung für das Leben [im Kopf]? Wurde er vor mehr als 500 Jahren von Gonzalo Guerrero (6) geträumt – als er Weg und Bestimmung der Maya-Pueblos zu seinen eigenen machte? Beunruhigte dieser Traum Jacinto Canek (7)? Macht er die Tode von Comandante Ismael, Paulina Fernández C., Oscar Chávez, Jaime Montejo, Jean Robert, Paul Leduc, Vicente Rojo, Mario Molina, Ernesto Cardenal (8) und von so vielen Familienangehörigen – Geschwistern ohne es zu wissen – erträglicher, die wir in den letzten Monaten verloren haben? Der Traum, der dem Europa von unten – welches diesen fürchterlich-wundervollen Empfang in Vigo organisierte – Zuversicht gab? Der Traum, der nun die Straßen, Stadtteile, das Land und die Küsten Europas durchläuft – dabei den Satz wiederholend: »Es wird regnen in Paris – im Juli.« Ist es der Traum, der die Stimmen der repräsentativen Spiegel am Strand von Vigo belebte (9) – die den Atlantik überquert haben und jetzt in den zapatistischen Gemeinden wohnen? Denn das Geschwader 421 kommt nicht von einem Schiff, sondern von der »Montaña« – von einem Berg geht es »ohne Waffen und für das Leben« an Land. Ist dies das Menschliche, das Humane – welches den langen und verborgenen Faden sticken lässt, der die verschiedenen und entfernten Geografien eint – und nahe und abgelegene Kalender verknüpft? Ich weiß es nicht. Dies jedoch ja: Ich würde denjenigen, deren Fluch die Künste bilden, empfehlen: Stellen Sie ihren Traum dar. Welcher auch immer es sein mag. Er sollte jedoch der Ihre sein. Denn niemals ist es gewiss, wann und wo ein anderer Blick, ein anderes Gehör, andere Hände und ein andere Schritt – ein anderes Herz in einem anderen Kalender und in einer anderer Geografie – jenen Traum vom langen Regal der Träume herabnehmen, sein Inneres öffnen und als Samenkorn in diese elende Wirklichkeit aussäen wird. Beglaubigt. Der SupGaleano Anmerkungen der/die Übersetzer/in: (1) bucanero: kann auch Seeräuber bedeuten (2) Don Durito de La Lacandona: Käfer und Fahrender Ritter, der den Sup bereits seit seinen frühen Erzählungen literarisch begleitet. (3) Comandanta Ramona (1957-2006) hat zusammen mit Comandanta Susana 1993 die Revolutionären Frauen-Gesetze der EZLN durchgesetzt. Sie verließ als erste Zapatista 1996 zapatistisches Gebiet, um nach Mexiko Stadt zu gehen und u.a. an der Gründung des Congreso Nacional Indígena (CNI) teilzunehmen. Von daher rührt: »Niemals mehr ein Mexiko ohne uns«. (4) Señor Ik: Kampfname von Francisco Gómez, Tseltale; führendes Mitglied der EZLN seit ihren Anfängen; während der Kämpfe in Ocosingo in den ersten Januartagen getötet; SubPedro / Subcomandante Insurgente Pedro: seit 1984 Mitglied der EZLN, wurde am 1. Januar 1994 während der Kämpfe in Las Margaritas erschossen. (5) Pueblos originarios: verbleibt im Original, da es eine Selbstbezeichnung ist. Wörtlich übersetzt: »ursprüngliche/originäre Bevölkerung/Gemeinschaften/Völker«. (6) Gonzalo Guerrero, aus Palo de Frontera in Andalusien stammender Seemann; wurde 1511 von Mayas gefangen genommen. Nach seiner Befreiung kämpfte er an der Seite der Maya-Pueblos. (7) Jacinto Canek, Maya-Revolutionär, kämpfte im 18. Jahrhundert innerhalb der Aufstände gegen die spanischen Konquistadoren in Yucatán; eine der wichtigen Personen innerhalb der langen Widerstandsgeschichte der Pueblos Maya. (8) Comandante Ismael: Mitglied der EZLN; alle anderen Genannten sind Zapatista-nahe Compañer@s, Intellektuelle, Künstler*innen und soziale Kämpfer*innen. (9) Damit gemeint sind die Beiträge der Compañer@s aus dem Anderen Europa, die – bei der Begrüßung des zapatistischen Geschwaders 421 am Strand in der Nähe von Vigo – verschiedene Widerstände repräsentiert haben. |