Marcos' Rede bei einer Veranstaltung in Mexiko-Stadt
Frauen ohne Furcht: Wir sind alle Atenco


Guten Abend!
Mein Name ist Marcos, Subcomandante Insurgente Marcos.

Für diejenigen, die mit dem Zapatismus vertraut sind, ist es vielleicht nicht notwendig zu erklären, was ich hier zu suchen habe, auf einer Veranstaltung von Frauen und für Frauen.
Natürlich seid ihr nicht nur einfach Frauen, sondern Frauen, die beschlossen haben, ihre Stimmen zu erheben, um gegen die Angriffe der Polizei zu protestieren, die andere Frauen erlitten haben und erleiden, seit dem 3. und 4. Mai in San Salvador Atenco, im Bundesstaat Mexiko. Ihr seid hier, dort und überall Frauen ohne Furcht.

Mein Name ist Subcomandante Insurgente Marcos, und unter anderem bin ich der Sprecher der EZLN, eine mehrheitlich indigene Organisation, die für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit in unserem Land kämpft, das Mexiko heißt.
Als Sprecher der EZLN spricht durch meine Stimme die Stimme dieser anderen Männer und Frauen, die uns bilden, die uns Gesicht, Wort und Herz verleihen. Eine kollektive Stimme. In dieser kollektiven Stimme ist die Stimme der zapatistischen Frauen.

Mit unserer Stimmen und unserem Hören ist auch unser Sehen, unsere zapatistischen Lichter und Schatten. Mein Name ist Marcos, und unter den vielen persönlichen Defekten, die ich, manchmal mit Zynismus und Forschheit trage, bin ich auch ein Mann, Macho, männlich. Als solcher, muss ich eine Reihe von Archetypen, Klischees, Beweise mit mir herumschleppen und nicht selten zur Schau stellen.
Nicht nur in Hinsicht zu mir und meinem Geschlecht, sondern auch und vor allem bezüglich Frauen, dem weiblichen Geschlecht.
Zu den Defekten, die mich persönlich definieren, könnte man auch jenen hinzufügen, den wir als Zapatisten haben, nämlich unsere Fähigkeit, in Staunen und Verwunderung versetzt zu werden.
Als Zapatisten nähern wir uns manchmal anderen Stimmen, von denen wir wissen, dass sie anders sind, fremd und dennoch ähnlich und eigen.
Stimmen, die unser Hören mit ihrem Licht und ihrem Schatten erstaunen und verwundern.
Stimmen, zum Beispiel, von Frauen.

Aus dem Kollektiv, das uns Gesicht und Name, Richtung und Weg verleiht, geben wir uns große Mühe zu entschließen, wohin wir unser Ohr und Herz lenken wollen. Und jetzt entschließen wir uns, die Stimme der Frauen ohne Furcht zu hören.
Kann man einem Licht lauschen? Und wenn ja, kann man einem Schatten lauschen?
Und wer noch entschließt sich, uns heute Ohr und damit Denken und Herz zu leihen, um gemeinsam diesen Stimmen zu lauschen?

Wir haben uns entschlossen. Wir haben entschlossen hier zu sein, zuzuhören und zum Echo einer Ungerechtigkeit zu werden, die gegen Frauen verübt worden ist.
Wir haben entschlossen keine Angst zu haben, um denen zuzuhören, die keine Angst hatten zu sprechen.

Die Brutalität, die von den schlechten mexikanischen Regierungen in San Salvador Atenco am 3. und 4. Mai gegen die Gefangenen verübt worden ist, und bis zum heutigen Abend weiterhin anhält, und insbesondere die Gewalt gegen die Frauen ist, was uns heute zusammenruft.
Und nicht nur das. Diese schlechten Regierungen versuchen Furcht durch ihre Aktionen zu schüren, aber was sie stattdessen erreichen, ist Empörung und Wut.

In einer heutigen Tageszeitung behauptet Señor Peña Nieto (angeblicher Gouverneur des Bundesstaates México), der sich gemeinsam mit Vicente Fox und seinem Kabinett damit brüstet, "den Rechtsstaat durchgesetzt" zu haben, die Vorgänge in Atenco seien geplant gewesen.
Wenn das stimmt, dann müssen diejenige, die geschlagen, illegal festgenommen, sexuell missbraucht, vergewaltigt und erniedrigt wurden, unter anderem auch geplant haben, Frauen zu sein.

Aus den Aussagen derer ohne Furcht, die unsere Compañeras sind, wissen wir, dass sie als Frauen angegriffen wurden, dass ihnen körperlich als Frauen Gewalt angetan wurde. Aus ihren Worten wissen wir auch, dass die Gewalt, die gegen ihre Körper verübt wurde, den Polizisten Vergnügen bereitete.
Der weibliche Körper, mit Gewalt genommen, usurpiert, angegriffen, um Vergnügen zu finden.
Das Versprechen dieses Vergnügens an den weiblichen Körpern war der Bonus, den die Polizisten erhielten, zusammen mit dem Befehl, in Atenco "Frieden und Ordnung durchzusetzen". Der Regierung zufolge müssen sie damit geplant haben, weibliche Körper zu ergreifen und mit einer extremen Perversion als Kriegsbeute für die "Gesetzeskräfte" zu verwenden.

Señor Fox, der Präsident der "Veränderung" und des "Rechtsstaats" erläuterte uns vor einigen Monaten, dass Frauen "Waschmaschinen auf zwei Beinen" sind (nach Garantie, mit Ratenabschluss und wenden Sie sich an die Reklamation).
Und für die da oben gibt es diese Arbeits- und Vergnügungsmaschinen, die weiblichen Körper, inklusive der Betriebsanleitung, die das herrschende System ihnen zuweist.
Wenn ein Mensch als Frau geboren wird, muss sie ihr ganzes Leben lang einen Weg befolgen, der speziell für sie errichtet wurde.
Als Mädchen. Als Jugendliche. Als junge Frau. Als Erwachsene. Als reife Frau. Als Alte.

Und das nicht nur von der Pubertät bis zur Menopause. Der Kapitalismus hat herausgefunden, dass auch in der Kindheit und im Alter Lust- und Arbeitsobjekte erhältlich sind, und zur Aneignung und Verwaltung dieser Objekte gibt es überall "Gobers Preciosos" und pädophile Unternehmer.

Frauen sollten nach Ansicht der oberen, ihr ganzes Leben damit verbringen, um Verzeihung und Erlaubnis dafür bitten zu müssen, am Leben zu sein und Frauen zu sein.
Und einen Weg voller Stacheldraht entlang wandern. Einen Weg, den es zu kriechen gilt, mit Kopf und Herz auf den Boden gedrückt.
Und dabei, trotz Befolgung der Bedienungsanleitung, Schrammen, Wunden, Narben, Schläge, Amputationen, Tod auflesen.
Und den Verantwortlichen für dieses Leid in sich selbst suchen, denn das Verbrechen eine Frau zu sein beinhaltet auch eine Verurteilung.

Laut der Betriebsanleitung für die Ware "Frau", sollte das Modell ihren Kopf immer gebeugt halten. Ihre produktivste Stellung ist auf den Knien. Der Einbau eines Gehirns ist dabei unnötig und oft kontraproduktiv. Ihr Herz sollte mit Frivolitäten gefüttert werden. Ihr Geist sollte durch den Wettstreit mit anderen Geschlechtsgenossinnen um die Gunst des Käufers gepflegt werden, diesem ewig unzufriedenen Kunden, dem Mann. Ihr Unwissen muss genährt werden, um eine bessere Funktion zu garantieren. Das Produkt ist fähig, sich selbst instand zu halten und zu optimieren (und zu diesem Zweck sind neben Salons, Reparatur- und Lackierwerkstätten, auch eine breite Auswahl an Zusatzartikeln erhältlich). Ihr Vokabular sollte nicht nur auf "ja" und "nein" beschränkt werden, sondern sie sollte auch lernen, wann sie diese Worte zu sagen hat und wann nicht.

Die Betriebsanleitung für das Produkt "Frau" beinhaltet auch eine Garantie dafür, dass sie ihr Haupt immer gebeugt halten wird.
Und dass, sollte eine von ihnen aus irgendeinem unbeabsichtigten oder vorsätzlich herbeigeführten Konstruktionsfehler den Blick heben, die unerbittliche Sense der Macht ihr unverzüglich die Stätte ihres Denkens abhacken wird, und sie dazu verurteilen so durch das Leben zu gehen, als ob eine Frau zu sein etwas sei, wofür man um Verzeihung und um Erlaubnis bitten müsste.

Um diese Garantie zu erfüllen, gibt es Regierungen, die ihren Mangel an Hirn durch die Waffen und das Geschlecht ihrer Polizisten ersetzen; und zusätzlich dazu unterhalten die gleichen Regierungen Irrenhäuser, Gefängnisse und Friedhöfe für die Frauen, die irreparabel "beschädigt" sind.
Eine Kugel, ein Faustschlag, ein Penis, Gefängnisgitter, ein Richter, eine Regierung, kurzum, ein System, versieht eine Frau, die nicht um Vergebung oder Erlaubnis fragt, mit einem Aushängeschild: "Außer Betrieb. Nicht wieder verwertbares Produkt".

Die Frau muss um Erlaubnis bitten, Frau zu sein, und diese wird ihr gewährt, wenn sie sich an die Anweisungen der Betriebsanleitung hält.
Die Frau muss dem Mann dienen, seinen Anweisungen stets folgen, um für das Verbrechen zu sühnen, eine Frau zu sein.

Zuhause, auf dem Feld, auf der Strasse, in der Schule, am Arbeitsplatz, unterwegs, in der Kultur, in der Kunst, in der Unterhaltung, in der Wissenschaft, in der Politik; 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr, vom Tag ihrer Geburt an bis zum Augenblick ihres Todes, sind Frauen mit dieser Betriebsanleitung konfrontiert.

Aber einige Frauen konfrontieren sie mit Rebellion.
Frauen, die anstatt um Erlaubnis zu bitten, ihre eigene Existenz bestimmen.
Frauen, die anstatt um Vergebung zu bitten, Gerechtigkeit fordern.
Denn die Betriebsanleitung sagt, dass Frauen unterwürfig sein und kriechen müssen.
Und dennoch erlauben sich einige Frauen die Frechheit aufrecht zu gehen.

Es gibt Frauen, die ihre Bedienungsanleitung in Stücke reißen, und sich aufrecht hinstellen.
Es gibt Frauen ohne Furcht.

Es heißt, wenn eine Frau vorrückt, weicht kein Mann zurück.
Das kommt darauf an, sage ich mit meinem Machismo reloaded, eine Mischung aus Pedro Infante und José Alfredo Jiménez. Das kommt zum Beispiel darauf an, ob der Mann der Frau, die vorrückt, gegenübersteht.

Mein Name ist Marcos, ich habe das persönliche Defekt Mann zu sein, Macho, männlich; und die kollektive Tugend zu sein, wie wir Zapatisten sind.
Als solcher gestehe ich, bin ich beim Anblick einer Frau, die sich aufrichtet und ihre Betriebsanleitung in Fetzen reißt, von Staunen und Bewunderung erfüllt.
Eine Frau, die sich aufrichtet, ist so wunderschön, dass nur ihr bloßer Anblick einen erschauern lässt.
Und genau das ist Zuhören: lernen zu sehen.

Ein Hoch auf diese Frauen, auf unsere gefangenen Compañeras und jene, die sich hier versammelt haben. Ein Hoch auf eure Furchtlosigkeit!

Ein Hoch auf den Mut, den ihr uns gebt, auf die Überzeugung, die ihr uns verleiht, dass, wenn wir nichts tun, um dieses System zu ändern, wir alle darin Komplizen sind.

aus der anderen Mexiko Stadt
Subcomandante Insurgente Marcos


PS, das fragt: Welche Strafe verdienen die Regierungsbeamten, Befehlshaber und Polizisten, die die Frauen, unsere Compañeras, auf diese Weise angegriffen haben? Welche Strafe verdient ein System, welches das Frausein in ein Verbrechen verwandelt hat? Wenn wir schweigen, wenn wir wegsehen, wenn wir zulassen, dass die Polizeibrutalität von Atenco straflos ausgeht, wer wird dann sicher sein? Ist die Freilassung aller Atenco-Gefangenen damit nicht eine Frage der elementaren Gerechtigkeit?