Comunicado der EZLN
Neunter Teil: Die neue Struktur der Zapatistischen Autonomie

12. November 2023

Schwestern*Brüder und Compañer@s,

Ich werde versuchen, euch zu erklären, wie wir die Autonomie neu organisieren, das heißt: die neue Struktur der Zapatistischen Autonomie. Ich werde euch das später noch detaillierter erklären. Oder vielleicht werde ich es auch nicht tun, denn das Wichtige ist die Praxis, die Umsetzung.

Klar, ihr könnt auch zum Jahrestag kommen und die Theaterstücke, Lieder, Gedichte, die Kunst und Kultur dieser neuen Etappe unseres Kampfes betrachten und hören. Falls das nicht geht, werden euch die Tercios Compas Fotos und Videos schicken. Zu einem anderen Zeitpunkt werde ich euch noch erzählen, was wir innerhalb unserer kritischen Bewertung der Zapatistischen Autonomen Rebellischen Landkreise (MAREZ) und der Räte der Guten Regierung (JBG) an Gutem und Schlechtem gesehen haben. Hier teile ich euch nun lediglich mit, wie es jetzt ist. Also los:

ERSTENS.- Die Grundlage – auf die sich nicht nur die Autonomie stützt, sondern ohne die die anderen Strukturen auch nicht funktionieren können – ist die Lokale Autonome Regierung / Gobierno Autónomo Local (GAL). In jeder Gemeinde, wo zapatistische Unterstützungsbasen leben, gibt es ein GAL. Die zapatistischen GAL sind das Zentrum der gesamten zapatistischen Autonomie. Sie werden koordiniert durch die autonomen Beauftragten [agentes] und Bevollmächtigten [comisariados] und unterstehen der Vollversammlung des Dorfes, der Ranchería, der Comunidad, der Siedlung, des Ortsteils, des Ejido, der Colonia – oder wie auch immer die Bevölkerung der Ortschaft sich selbst bezeichnet. Jede GAL kontrolliert selbst ihre autonomen organisativen Ressourcen (wie Schulen und Kliniken) wie auch die Beziehungen zu benachbarten nicht-zapatistischen Geschwister-Pueblos. Sie kontrolliert die richtige Verwendung der Gelder. Auch wird sie eine mögliche schlechte Verwaltung, Korruption oder Fehler ausfindig machen und anprangern. Und sie wird wachsam sein gegenüber denjenigen, die sich als zapatistische Verantwortliche ausgeben wollen, um damit Unterstützung oder Hilfen zu erbitten, welche sie dann zu ihrem eigenen Nutzen verwenden.

Somit: Wenn es zuvor dutzende von Zapatistischen Autonomen Rebellischen Landkreisen, MAREZ, gab – gibt es nun tausende von zapatistischen GAL.

ZWEITENS.- Gemäß ihren Bedürfnissen, Notwendigkeiten, ihren Problemen und ihrem Vorankommen berufen verschiedene GAL die Kollektive der Zapatistischen Autonomen Regierungen ein: Colectivos de Gobiernos Autónomos Zapatistas (CGAZ). Dort wird diskutiert und werden die Übereinkünfte über die Angelegenheiten getroffen, welche für die sie einberufenden GAL von Belang sind. Wenn es dort so entschieden wird, rufen die Kollektive der Zapatistischen Autonomen Regierungen die Verantwortlichen jeder Gemeinde zu einer Vollversammlung zusammen. In dieser Versammlung werden die Pläne und der Bedarf in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Bildung, Ökologische Landwirtschaft, Gerichtsbarkeit, Handel – und was zukünftig noch gebraucht werden wird – vorgeschlagen, diskutiert, bestätigt oder verworfen. Innerhalb [der Ebene] der CGAZ befinden sich die Koordinator*innen aller [oben genannten] Bereiche. Sie sind keine Autoritäten. Ihr Aufgabe und Arbeit besteht darin, die Arbeiten, welche die GAL fordern oder für das kommunitäre Leben als notwendig sehen, zu erfüllen. Wie beispielsweise: Kampagnen der medizinischen Vorsorge, Impfkampagnen, Kampagnen gegen endemische Erkrankungen, Kurse und spezialisierte Ausbildungen (Labortechniken, Röntgen, Ultraschall, Darmspiegelungen und was wir noch alles lernen werden), Kampagnen der Alphabetisierung und der höheren Bildung, [Organisierung von] Sport- und Kultur-Treffen sowie traditionelle Feste, etc. Jede Region, das heißt, CGAZ, hat ihre leitenden Verantwortlichen. Sie sind diejenigen, welche – wenn es ein dringliches oder mehrere GAL betreffendes Problem gibt – die Vollversammlungen einberufen.

Das heißt: Wo es zuvor 12 Räte der Guten Regierung gab – wird es nun hunderte geben.

DRITTENS.- Dem folgen die Vollversammlungen der Kollektive der Zapatistischen Autonomen Regierungen: Asambleas de Colectivos de Gobiernos Autónomos Zapatistas (ACGAZ). Das sind die, die zuvor als Zonen[-Selbst-Regierungen] bekannt waren. Jedoch haben sie jetzt keinerlei Autorität inne, sondern sind abhängig, werden bestimmt durch die CGAZ. Und die CGAZ sind abhängig, werden bestimmt durch die GAL. Die ACGAZ beruft und leitet die Vollversammlungen der Zonen – falls jene notwendig sind, gemäß dem Ersuchen der CGAZ und der GAL. Die ACGAZ haben ihren Sitz in den Caracoles, bewegen sich jedoch zwischen den Zonen. Das heißt, sie sind mobil, gemäß der Forderungen und Notwendigkeiten der Pueblos.

VIERTENS.- Wie in der Praxis zu sehen sein wird – haben sich Leitung und Koordinierung der Autonomie von den Räten der Guten Regierung (Juntas de Buen Gobierno, JBG) und den Zapatistischen Autonomen Rebellischen Landkreisen (MAREZ) hin zu den Dorfgemeinschaften (GAL) verschoben. Die Zonen (ACGAZ) und Regionen (CGAZ) werden nun durch die Dörfer [direkt] regiert. Jene müssen den Dörfern Rechenschaft geben und die Form suchen, um deren Bedürfnisse und Notwendigkeiten in Gesundheitsversorgung, Bildung, Gerichtsbarkeit, Ernährung – sowie deren Bedarf aufgrund von Naturkatastrophen, Pandemien, Verbrechen, Invasionen, Kriegen und anderen Desastern, welche das kapitalistische System produziert, erfüllen.

FÜNFTENS,- Die Struktur und Aufstellung der EZLN hat sich reorganisiert, um damit die Verteidigung und Sicherheit der Dörfer und der Mutter Erde zu verstärken – im Falle von Aggressionen, Angriffen, Epidemien, Invasionen durch räuberische Unternehmen, partieller oder vollständiger militärischer Besatzung, Naturkatastrophen oder atomaren Kriegen. Wir haben uns vorbereitet, damit unsere Pueblos überleben können, auch wenn sie voneinander isoliert sind.

SECHSTENS.- Wir verstehen, dass ihr Probleme haben werdet, all das aufzunehmen. Eine Zeitlang werdet Ihr euch wohl damit herumschlagen, es zu verstehen. Wir selbst haben 10 Jahre dafür gebraucht, um darüber nachzudenken – und davon 3 Jahre, um es in seiner Praxis vorzubereiten.

Auch verstehen wir, wenn euch scheint, euer Denken werde auf den Kopf gestellt. Um zu verstehen, müsst ihr wohl eure Denkkanäle verändern. Lediglich weit schauend, nach hinten und [gleichzeitig] nach vorne blickend, wird der gegenwärtige Schritt verständlich sein.

Wir hoffen, ihr begreift, dies alles stellt eine neue Struktur der Autonomie dar, die wir gerade lernen, und es wird eine Weile dauern, bis sie gut läuft.

Ehrlich gesagt hat dieses Kommuniqué lediglich die Absicht, euch mitzuteilen: Die zapatistische Autonomie setzt sich fort und geht voran – wobei wir denken, dass es so besser sein wird für die Dörfer, Gemeinden, Siedlungen, Ortsteile, Colonias, Ejidos und Rancherías, in denen die zapatistischen Unterstützungsbasen leben, das heißt: kämpfen. Und es war ihre Entscheidung – dabei wurden ihre Ideen und Vorschläge, ihre Kritik und Selbstkritik aufgenommen.

Diese neue Etappe der Autonomie wird auch – wie zu sehen ist – umgesetzt, um sich dem Schlimmsten der Hydra, ihrer niederträchtigen Bestialität und ihrem zerstörerischen Wahnsinn – ihren Kriegen sowie unternehmerischen und militärischen Invasionen – gegenüber zu stellen.

Für uns gibt es keine Grenzen und weit entfernt liegenden Geograhien. All das, was in irgendeinem Winkel dieses Planeten geschieht, trifft uns, geht uns an, sorgt und schmerzt uns. In dem Maße unserer sehr kleinen Kräfte werden wir Menschen im Unglück unterstützen – ohne dass Hautfarbe, Ethnie, Nationalität, Religionszugehörigkeit, Ideologie oder Sprache eine Rolle spielen. Auch wenn wir nicht viele Sprachen kennen, oder viele andere Kulturen und Lebensweisen, so wissen wir Leiden, Schmerz, Jammer und würdige Wut, die das System erzeugt, zu verstehen.

Wir wissen, die geschwisterlichen Herzen zu lesen und ihnen zuzuhören. Wir werden darin fortfahren, von ihnen, ihren Geschichten und Kämpfen, versuchen zu lernen. Nicht nur, weil wir jahrhundertelang ertragen haben und wissen, was dies bedeutet, sondern auch und vor allem weil unser Kampf – seit 30 Jahren – für das Leben ist.

Sicherlich haben wir in diesen Jahren viele Fehler gemacht, und sicherlich werden wir in den nächsten 120 Jahren noch andere machen. Wir werden uns jedoch NICHT ergeben, wir werden NICHT den Weg wechseln, wir werden uns NICHT verkaufen. Immer werden wir unseren Kampf, seine Zeiten und Modi, mit kritischem Blick überprüfen.

Immer werden unser Sehen, unser Hören, unser Kopf und unser Herz bereit sein, von anderen zu lernen, die - obwohl in vielen Punkten unterschiedlich - dieselben Sorgen und ähnliche Sehnsüchte nach Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit haben.

Und immer werden wir das Beste für unsere Dörfer und die geschwisterlichen Comunidades suchen.

Nun, wir sind Zapatistas.

Solange es eine, einen, eine*n Zapatista in irgendeinem Winkel dieses Planeten gibt, werden wir in Rebellion widerstehen, das heißt, werden wir kämpfen.

Somit werdet ihr es sehen, Freunde und Feinde – und auch diejenigen, die weder das eine noch das andere sind.

Das ist im Moment alles.

Aus den Bergen des Südosten Mexikos,

Subcomandante Insurgente Moisés
Mexiko, November 2023
Mehr als 500, 40, 30, 20, 10 Jahre danach

PS: Hier hinterlasse ich euch eine Graphik. Mal sehen, ob es ein wenig verständlich wird.