Worte der zapatistischen Frauen zur Eröffnung des Zweiten Internationalen
Zusammentreffens der Frauen, die kämpfen 27. Dezember 2019 Compañeras und Schwestern! Willkommen auf zapatistischem Land! Wir informieren dich, wer sich bis heute, den 26. Dezember 2019, für dieses Zweite Zusammenreffen registriert hat: 3.259 Frauen aus den folgenden Ländern: 1. Deutschland
Wir sind sehr froh, dass du zu uns in die Berge kommen konntest. Vielleicht hilft es dir in deinem Kampf, andere Kämpfe als Frauen, die wir sind, zu hören und
kennenzulernen.
Auch wenn wir einverstanden oder nicht einverstanden sind, mit anderen Kämpfen und ihren
Weisen und Geografien, nützt es uns allen zuzuhören und zu lernen.
Aber es geht nicht darum zu konkurrieren, um zu sehen, welches der beste Kampf ist, sondern
darum zu teilen und uns mitzuteilen. Wir haben unterschiedliche Weisen, das ist wahr.
Aber wie du siehst, denken wir als Zapatistas, die wir sind, dass es nicht notwendig ist, dass wir alle gleich
denken und handeln. Also bitten wir dich, dass du deinen Schmerz, deine Wut und deinen Kampf mit Würde teilst. Und dass du andere Schmerzen, andere Wut und andere würdige Kämpfe respektierst. Wir haben alles Mögliche veranlasst, damit du zufrieden und sicher bist.
Das scheint leicht gesagt, aber wir wissen gut, dass es nur noch wenige Orte auf der Welt gibt, wo
wir zufrieden und sicher sein können. Wie du in diesen Tagen sehen wirst, wird an diesem Ort die Anwesenheit von Männern nicht
erlaubt.
Egal, ob es gute Männer sind, ob es duchschnittliche Männer sind, oder ob es "Da-ist-nichts-zumachen-Männer" sind, sie können in diesen Tagen nicht hier sein. Wir haben uns auch Mühe gemacht, damit du einen Ort zum Ausruhen, zum Essen und zum Waschen hast. Sowohl beim Ausruhen, als auch beim Essen und Waschen, bitten wir dich darum, Schwester und Compañera zu sein, vor allem gegenüber den Frauen gehobenen Alters. Wir müssen sie respektieren, da sie nicht neu im Kampf der Frauen sind, die wir sind.
Ihre weißen Haare, ihre Krankheiten, ihre Falten haben sie nicht erhalten, indem sie sich dem
patriarchalen System verkauft oder dem Machismus ergeben haben.
Noch weil sie sich verraten haben, dass heißt ihre Ansichten des Kampfes für die Rechte der
Frauen, die wir sind. Und die Frauen gehobenen Alters bitten wir auch darum, die Jüngeren, seien es Jugendliche oder
Mädchen, zu respektieren. Wenn wir nicht zulassen, dass die Geografien uns spalten, dann lassen wir auch nicht zu, dass uns
die Kalender entzweien. Zum Beispiel unser Recht auf Leben. Und hier ist es, wo wir traurig und voll Leid sind, denn nach mehr als einem Jahr nach dem Ersten Zusammentreffen können wir keine guten Resultate vermelden. Auf der ganzen Welt werden Frauen weiterhin ermordet, verschwundengemacht, vergewaltigt, missachtet. Dieses Jahr hat die Anzahl der Vergewaltigten, der Verschwundengelassen und Getöteten nicht
aufgehört.
Wir wissen, dass sie zugenommen haben. Deshalb haben wir dieses Zweite Zusammentreffen mit nur einem Schwerpunkt einberufen: die Gewalt gegen Frauen. Wir wollen dich anhören und anschauen, denn wir haben Fragen: Denn erinnere dich, als das Erste Zusammentreffen stattfand, haben wir uns verpflichtet, uns zu organisieren an unseren Orten, damit es keine Ermordeten, Verschwundengelassenen, Gedemütigten, Missachteten mehr gibt. Aber wir sehen, dass es noch schlimmer ist. Sie sagen, dass es Geschlechtergleichheit gibt, denn in den schlechten Regierungen gibt es genauso
Männer und Frauen, die herrschen. Sie sagen, dass es mehr Rechte in der Entlohnung der Frauen gibt. Sie sagen, dass es viele Fortschritte in den feministischen Kämpfen gibt. Sie sagen, dass die Frauen nun eine stärkere Stimme haben. Sie sagen, dass die Frauen nun Beachtung finden. Sie sagen, dass es nun mehr Gesetze gibt, die die Frauen schützen. Sie sagen, dass es nun gern gesehen wird, gut über die Frauen und ihre Kämpfe zu sprechen. Sie sagen, dass es Männer gibt, die den Kampf der Frauen, die wir sind, verstehen und sich sogar
Feministen nennen. Sie sagen, dass die Frau nun in mehr Räumen präsent ist. Sie sagen, dass es sogar schon Superheldinnen in Spielfilmen gibt. Sie sagen, dass es schon mehr Bewusstsein für den Respekt gegenüber Frauen gibt. Jedesmal mehr Ermordete. Sie töten uns weiterhin und bitten uns auch noch, verlangen von uns, befehlen uns, dass wir uns gut benehmen. Und man kann es kaum glauben, aber wenn eine Gruppe von Arbeitern und Arbeiterinnen eine
Straße dicht machen, oder streiken, oder protestieren, gibt es einen großen Skandal. Aber wenn eine Frau vergewaltigt wird, ist es nur eine Zahl mehr oder weniger in ihren Statistiken. Aber wenn sie uns verschwinden lassen, wenn sie uns umbringen, dann ändern sie nur eine Nummer: ein Opfer mehr. Als ob der Mächtige klarstellen möchte, dass das, was zählt, sein Profit ist, nicht das Leben. Was zählt sind die Autos, die Steine, die Fensterscheiben, die Waren. Und ist es das Leben einer Frau, dann zählt es noch weniger. Deshalb denken wir als Zapatistas, die wir sind, das heißt antikapitalistisch und antipatriarchal, darüber nach, warum das System so handelt. Dann erscheint es, dass unsere gewaltsam Getöteten, unsere Verschwundengelassenen, unsere Schmerzen ein Gewinn für das System sind. Denn das System lässt nur zu, was ein Nutzen, was einen Profit für es darstellt. Deshalb sagen wir, dass das kapitalistische System patriarchal ist. Wir denken daher, um für unsere Rechte zu kämpfen, zum Beispiel das Recht auf Leben, reicht es nicht, dass wir gegen den Machismus, das Patriarchat oder wie ihr es nennen wollt, kämpfen. Wir müssen auch gegen das kapitalistische System kämpfen. Aber wir wissen, dass es andere Ansichten und andere Weisen des Kampfes gibt, als Frauen, die wir
sind.
Vielleicht verstehen wir etwas.
Vielleicht lernen wir etwas. Was zählt ist, dass wir für unser Leben kämpfen, jetzt mehr denn je, welches in Gefahr ist an allen Orten und in allen Zeiten. Auch wenn sie sagen und predigen, dass es viele Fortschritte für die Frauen gibt, ist die Wahrheit, dass nie zuvor in der Geschichte der Menschheit Frausein so tödlich war. Siehst du Compañera und Schwester, dann sagen sie, dass jener oder welcher Beruf am gefährlichsten sei. Dass es am gefährlichsten ist, Journalist zu sein, oder Unterdrückungs-Einsatzkraft oder Richter oder schlechte Regierung. Aber du und wir wissen, dass es nun auf der Welt am gefährlichsten ist, Frau zu sein. Egal, ob Mädchen, Jugendliche, Erwachsene oder schon gehobenen Alters. Angesichts der Gewalt geht es nur darum eine Frau zu sein.
Als Zapatistas, die wir sind, wissen wir, dass sie uns viele Beispiele von Frauen geben werden, die Fortschritte erzielt haben, die triumphiert haben, die Preise gewonnen haben und gute Löhne, die Erfolg gehabt haben, wie sie sagen. Wir antworten, indem wir über die Vergewaltigten, die Verschwundengemachten, die Ermordeten sprechen. Dann sagen wir ihnen, dass die von oben von den eroberten Rechten von einigen wenigen von oben sprechen. Und wir haben es schon oft gesagt, Compañera und Schwester, aber nun wiederholen wir es: Sie wird uns nicht der schlechte, der gute, der durchschnittliche oder "Da-ist-nichts-zu-machen-Mann" geben. Das Recht auf Leben und alle anderen Rechte müssen wir erobern.
Wir müssen uns verteidigen! Verteidigen wir uns selbst, als Individuen und als Frauen! Und vor allem müssen wir uns organisiert verteidigen. Meine Compañeras Koordinatorinnen des Zusammentreffens haben mich damit beauftragt, euch diese Worte zu sagen, weil ich Mutter einer Tochter bin, die mit mir hier ist. Denn unsere Pflicht als Frauen, die wir kämpfen, ist es uns zu beschützen und zu verteidigen. Und noch mehr, wenn die Frau gerade mal ein kleines Mädchen ist. Wir müssen sie beschützen und verteidigen, mit allem, was wir haben. Und den Mädchen beibringen, sich zu schützen und zu verteidigen, wenn sie heranwachsen und ihre eigenen Stärken haben werden. So sieht es aus, Schwester und Compañera, wir müssen in der Verteidigung leben. Und wir müssen unsere Kinder lehren, zur Verteidigung heranzuwachsen. Wir als Zapatistas denken, dass es dafür besser ist, organisiert zu sein. Weil wir Frauen sind, die kämpfen, aber wir sind zapatistische Frauen. Deshalb Compañera und Schwester, die Botschaft, das wir dir geben, ist, dass es unter unseren Compañeras in diesem Jahr keine Ermordete noch Verschwundengemachte gab. Es gab einige Fälle, laut unserer letzten Versammlung, von Gewalt gegen Frauen. Und wir sehen zu, die Verantwortlichen, alles Männer, zu bestrafen. Und so sehen es nicht nur die autonomen Autoritäten, auch wir, als zapatistische Frauen, die wir sind, sehen es so. Und wir sagen dir auch ehrlich, dass wir manchmal auch untereinander streiten, Compañera und Schwester. Wir streiten wegen Nichtigkeiten als Frauen, die wir sind. Vielleicht verlieren wir Zeit in diesen dummen Streitereien, da wir jetzt am Leben und sicher sind.
Denn es gab eine Zeit, in der wir nur den Tod lebten. Denn dieser Tag bedeutet, Compañera und Schwester, dass das Leben kein Problem mehr ist. Dann können wir vielleicht genauso dumm wie die Männer sein und Witze und Blödheiten machen. Oder vielleicht auch nicht, vielleicht verstehen wir dann, am Leben und frei, dass es andere Probleme, andere Diskussionen und andere Streitereien gibt. Aber bis dieser Tag kommt, Schwester und Compañera, müssen wir auf einander achtgeben. Denn du weißt Compañera und Schwester, dass wir in einem Krieg sind. Sie sind es, weil sie uns töten. Und wegen diesem Schmerz, dieser Wut, die wir haben, weil wir nicht frei leben können, möchten wir einen Schrei der Wut in die ganze Welt senden. Und auch einen Hauch des Kampfes an alle und jede einzelne Frau, die von physischer und aller Art von Gewalt betroffen ist. Und als zapatistische Frauen möchten wir den Familien und Freundschaften der
verschwundengelassenen und ermordeten Frauen eine besondere Umarmung schicken. Denn deshalb versammeln wir uns, Schwester und Compañera. Dies ist unser kleines Wort, Schwester und Compañera. Die Insurgentas und Milicianas haben ein Gespräch, entsprechend ihrer Art, vorbereitet. Und damit erinnern wir dich an das Lichtlein, welches wir dir beim Ersten Zusammentreffen gegeben haben. Etwas später werden die Arbeiten dieser Versammlung beginnen und den gesamten Tag den
Anklagen widmen. Heute gibt es nur eine Arbeitsgruppe der Anklagen und hier das offene Mikrofon. Und wir alle werden mit Aufmerksamkeit und Respekt zuhören. Nur wir, die wir Frauen sind, die kämpfen, und die hier anwesend sind. Und sei dir gewiss, dass zumindest wir, die Zapatistinnen, dir einen Platz in unserem kollektiven Herzen geben, und durch uns, die wir hier sind, werden dich zehntausende indigene zapatistische Frauen begleiten. Und morgen müssen wir die Ideen, Arbeiten und Erfahrungen, die ihr mitbringt, teilen, um die Wege zu suchen, damit dieser Albtraum aus Schmerz und Tod aufhört. Und den letzten Tag dieses Zusammentreffens werden wir der Kultur, der Kunst und des Festes widmen. So schreien wir einen Tag unsere Schmerzen und Wut heraus. Weil wir Frauen sind, die leiden. So wird es sein. Du weißt es also, Compañera und Schwester, du bist eingeladen. Im Namen der zapatistischen Frauen jeden Alters, um 13:57 Uhr, zapatistische Zeit, am 27. Dezember 2019, erkläre ich dieses Zweite Internationale Zusammentreffen der Frauen, die kämpfen, hier in den Bergen des südöstlichen Mexikos, für eröffnet.
Kommandantin Amada
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