Das Treffen der Indigenen Völker von Amerika
Der Schmerz und der Kampf um das Leben


Guten Abend!

Bei all dem geht es um Leben und Tod. Wir sind die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung. Und wir stehen vor dieser Alternative zwischen Leben und Tod schon seit fast 13 Jahren. Für andere soziale Gruppen besteht die Alternative aus Macht, Geld oder einem guten Leben. Für die indigenen Völker von Amerika besteht die Alternative aus der Option zwischen Leben und Sterben.

Als Völker von Maya-Abstammung waren die zapatistischen Dörfer von der Vernichtung bedroht. Sie töteten uns nicht mit Bomben oder Kugeln, sondern mit Krankheiten. Mit Elend und mit Armut. Aber die schlimmste aller Krankheiten, die tödlichste von allen, ist das Vergessen. Deswegen sagen wir, dass wir uns gegen das Vergessen erhoben haben. Unser Krieg ist ein Krieg gegen das Vergessen.

Auf dem Weg des Feuers, dem wir folgten, trafen wir euch und Menschen wie euch. Und wir fanden heraus, dass das Wort eine bessere Waffe war als das Feuer. Seit 1994 haben wir immer wieder auf dem Wort bestanden, aber nicht mehr um es an jene zu richten, die oben sind, an die Regierenden, sondern an die Menschen von unten wie euch.

Vor wenigen Momenten übergab uns ein Compañero Tohono Odham diese Landkarte: Sie heißt "The Humane Border, Mitfühlende Grenze." Wenn ihr euch diese Landkarte aus der Nähe anseht, könnt ihr darauf das Gebiet Tohono Odham erkennen. All diese Punkte, die ihr seht, stellen die Tode von Migranten dar. Mehr als eintausend registrierte Tode und wahrscheinlich doppelt so viele, die nicht registriert worden sind.

Als wir als indigene Völker in die Welt gesetzt wurden, übertrug man uns die Sorge für das Leben von Natur und Menschen.

Dies ist, was die Regierungen machen: Sie verwandeln unsere Gebiete in einen Ort des Todes. Deswegen ist dies ein Kampf zwischen Leben oder Tod. Und ich spreche von den Tohono Odham, weil sie diejenigen sind, die uns empfangen haben. Und auf diesen Reisen, die wir unternommen haben, haben wir sie kennen gelernt. Und wir haben ihre Wertschätzung für das Leben kennen gelernt und bewundert. Nicht das individuelle und egoistische Leben, sondern das kollektive, gemeinsame Leben als Volk.

Während die Regierungen der Vereinigten Staaten und von Mexiko nichts tun, um dem Tod abzuhelfen, der unsere Landsleute heimsucht, die beim Überqueren der Grenze sterben, versuchen die Tohono Odham und viele nicht-indigene soziale Gruppen dies in ein Projekt des Lebens, nicht des Todes zu verwandeln.

Jetzt nachdem wir uns hier in diesen Tagen versammelt haben, werden wir Morgen nach Vicam aufbrechen. Dort werden wir uns mit anderen indigenen Völkern treffen, die wir nicht kennen, und werden in ihrem Wort in der einen oder anderen Form die gleiche Alternative hören: Leben oder Tod.

Wenn wir sagen, dass wir für das Land kämpfen, kämpfen wir in Wahrheit für das Leben, für diese Mädchen und Jungen. Und um in diesem Kampf Kraft zu schöpfen, wenden wir den Blick nach hinten, auf die Vergangenheit, auf unsere Abstammung, auf das, was wir waren, auf unsere Ältesten, auf die Menschen im hohen Alter, auf die Senioren, auf die Sprache, auf die Kleidung, auf den Gesang, auf den Tanz, auf das, was uns zu dem macht, was wir sind.

Während anderswo die dort oben sich dessen schämen, was sie sind, ihrer Hautfarbe, ihrer Sprache, ihres Blutes, das durch ihre Adern fließt, sind wir indigenen Völker stolz darauf, denn das, was andere verachten, bedeutet Leben. Darum geht es bei diesem Treffen, Compañeros und Compañeras.

Auf diesem Treffen gibt es Leute, die nicht bemerkt werden, und wir bemühen uns immer, sie zu sehen und ihnen zuzuhören, auch wenn sie nicht in Erscheinung treten und auch wenn sie nicht sprechen.

Ich danke also noch einmal der Familie Monroy, die ihr Wort gehalten hat, uns Gastfreundschaft zu erweisen, und uns bei diesem wichtigen Treffen bei sich aufzunehmen, Don Wenceslao, vielen Dank.

Wir danken dem Lehrer Pastel und seiner kulturellen Gruppe. Bei unserer Ankunft hier lernten wir ihn und sein Interesse kennen, die Wurzel und das Leben zu suchen. Wir danken Blake, der mit oder ohne Absicht für uns eine sehr wichtige Brücke zu den Indigenen Völkern Nordamerika gewesen ist. Wir danken Don José, traditioneller Tohono Odham Regierender, der uns seit dem ersten Tag sein Herz öffnete und zu uns mit Wahrheit gesprochen hat. Wir danken den Compañeros und Compañeras, die sich hier um alles gekümmert haben, die diesen Pavillon errichtet, für das Licht, den Sound, die Ansage und die Übersetzung gesorgt haben. Wir möchten ihnen allen danken. Wir denken, dass diese erste Begegnung, die wir untereinander hatten, jetzt, wenn wir uns in Vicam mit anderen Völkern treffen, noch größer werden wird.

Wir finden hier eine gemeinsame Sache, die schwer zu finden ist. Etwas, das uns verbindet, das uns gleicht macht. Den Mohok, den Dakota, den Rarámuri. Und wir entdecken, dass das, was uns verbindet, der Schmerz ist.

Ab übermorgen in Vicam, werden wir entdecken, dass uns auch der Kampf um das Leben verbindet. Es ist eine Ehre, in Vicam, in eurer Gemeinschaft anzukommen. Wir, die wir die zapatistischen Indígenas repräsentieren, die leben und kämpfen in dem letzten Winkel dieses Landes, das Mexiko heißt.

Vielen Dank!

Subcomandante Marcos