Die Andere Kampagne
Wir kommen nicht, um Befehle zu erteilen


Guten Nachmittag, guten Abend Mazatlán. Bevor ich euch erkläre, was wir hier machen, würde ich euch gerne einige Dinge erzählen. Denn vielleicht meint ja jemand, ich würde diese Skimaske benutzen, weil es mir gefällt, sie in der Hitze von Mazatlán oder Sinaloa zu tragen. Nein, das gefällt uns nicht. Ich werde euch die Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die auch die Geschichte eures Landes ist, weil dieses Land sich über die Schultern und Rücken der Indígenas erhebt. Und in der anderen Ecke, in der entgegen gesetzten Ecke dieses Mexikos, gibt es einen Bundesstaat, der Chiapas heißt. Und da gibt es einige Berge, und einige indigene Gruppen: Tzeltales, Tzotziles, Choles, Tojolabales.

Ich spreche jetzt nicht über Europa oder Zentralamerika, sondern von Mexiko. Und in unseren Gemeinden starben die Kinder an Durchfall, an Fieber, an Bauchschmerzen. Und es gab nicht einmal eine Tablette, um sie zu behandeln, oder um vor ihrem Tod den Schmerz etwas zu lindern. Und man beachtete uns nicht, weil die Regierung sich nicht einmal darum kümmerte, für diese Jungen und Mädchen eine Geburtsurkunde auszustellen. Sie starben, ohne für den Rest des Landes, und für den Rest der Welt überhaupt geboren worden zu sein.

Viele Jahre lang haben wir diese Tode ertragen. Tausende, ich spreche nicht nur von ein paar: Tausende von kleinen Jungen und Mädchen unter fünf Jahren. Und niemanden kümmerte das, weil wir eine indigene Sprache sprechen, eine Maya-Sprache. Und wenn wir in die Städte gingen, um unseren Kaffee zu verkaufen, machten sich der Kojote, der Zwischenhändler, und der Regierende über uns lustig und zahlten uns weniger als der Preis wert war. Und wir arbeiteten den ganzen Tag, viele von hier, Campesinos, wissen ja vielleicht, wovon ich rede. Den ganzen Tag mussten wir arbeiten, für ein Gehalt, das für gar nichts reichte, nicht einmal um zu sterben.

Und unsere Leute, unsere Männer und Frauen, waren tagelang unterwegs - weil es dort keine Landstraßen gibt - um in ein Krankenhaus zu kommen, nur damit die Krankenschwester oder der Arzt von der Sozialen Sicherheit sich über sie lustig machten, weil sie merkwürdig sprachen, weil sie die Sprache sprachen, die früher hier gesprochen wurde, viel früher als das Spanische. Weil sie die Maya-Sprache sprachen, weil sie eine dunkle Haut hatten, weil sie kurz gewachsen waren und mollig, weil sie sich anders anzogen. Und sie warfen sie aus den Krankenhäusern und den Kliniken, um wie Hunde auf der Straße zu sterben.

Deshalb hielten unsere Leute dort ein Treffen ab, die Alten, die Anführer, und sie sagten dass wir entscheiden mussten ob wir wie Tiere sterben oder kämpfend sterben wollten. Wir entschieden uns dafür, kämpfend zu sterben. Und am ersten Januar erhoben wir uns in Waffen gegen die Regierung. Und wir waren nicht einhundert oder zweihundert: mehr als 5.000 Zapatisten, Männer und Frauen, nahmen sieben Bezirkshauptstädte des Bundesstaates von Chiapas ein. Und dann fingen wir an, uns mit der Regierung, mit den Regierungskräften auseinander zu setzen. Mit der Armee und der Polizei - wir mit unseren Waffen und sie mit ihren Hubschraubern, ihren Kriegspanzern und ihren Maschinengewehren.

Wir mussten uns entscheiden, ob wir kämpfend oder wie Tiere sterben wollten, ohne dass jemand das zur Kenntnis nimmt. Ohne, dass man hier in Mazatlán wissen würde, dass woanders Mexikaner wie Hunde auf der Straße starben. Wir taten es, um unsere Leute zu beschützen, die Leute sind wie ihr. Ihr dürft nicht denken, dass wir Gelehrte wären, große Politiker oder Ingenieure oder Ärzte. Wir sind Menschen vom Lande, und um unsere Leute zu beschützen wurde entschieden, dass sie ihre Gesichter bedecken würden, damit die anderen sie nicht erkannten, die PRIstas, die PANistas, diejenigen, die mit der Regierung sind. Wir gingen in die Städte mit verdeckten Gesichtern, um unsere Leute zu beschützen. Und wir, die diesen Angriff anführten, mussten das Beispiel dafür geben und verdeckten unsere Gesichter ebenfalls.

Seit damals ist es zu einem Symbol geworden. Weil ihr und dieses ganze Land und diese Welt uns Indígenas nur sahen, wenn wir unsere Gesichter bedeckt hatten. Wenn wir das Gesicht unverdeckt hatten, sah man uns nicht einmal an. Man übersah uns auf der Straße, oder wusste nicht einmal, dass wir existierten. Seltsamerweise begannen sie, uns zu sehen, als wir unsere Gesichter bedeckten. Weil wir auf ihren Straßen starben. Weil dort unser Blut war. Wenn wir wie Tiere in den Bergen starben, nahm das niemand zur Kenntnis.

Und seit diesen Tagen wurden die Skimasken, unsere bedeckten Gesichter, zu unserem Symbol. So wie die jungen Punks, Anarchisten, Libertären, Kommunisten, Sozialisten, Homosexuellen, Lesben, Frauen, wie jeder, seine oder ihre Art hat zu sagen: das bin ich. Und so bedeckten wir unser Gesicht, um zu sagen: das sind wir. Um diesen Regierenden hier drüben und denjenigen, die diesen Bundesstaat und dieses Land regieren, zu sagen, dass es eine Schande ist, dass jemand sich erst das Gesicht bedecken muss, um von ihnen zur Kenntnis genommen zu werden, damit sie ihn ansehen, damit sie ihn beim Namen nennen.

Und wir haben die schwarze Farbe für die Maske ausgesucht, um die dunkle Farbe zu symbolisieren, die wir von unten haben. Wir haben uns keine blonde oder eine weiße Maske übergezogen, sondern eine schwarze, die die Farbe der Erde ist. Und so sagen wir: wir sind Zapatisten, wir sind Indígenas. Und dieses Land wird anfangen uns zu sehen, weil wir für unsere Rechte kämpfen.

Als wir anfingen zu kämpfen, haben sich viele Menschen organisiert und gefordert, dass es keinen Krieg gibt. Wir haben hingehört. Wir fragten, was sollen wir tun? "Mit der Regierung reden, einen Dialog führen, eine Vereinbarung erzielen". Das taten wir. Wir haben jahrelang versucht, mit ihnen zu sprechen und schließlich erzielten wir eine Vereinbarung.
Doch als diese endlich unterzeichnet wurde, ließen weder die PRD, noch die PRI, noch die PAN sie passieren. Auf mexikanischem Boden ein Indígena zu sein, heißt weiterhin, ein Bürger zweiter Klasse zu sein. Jemand, der nur dazu gut ist, Almosen auf der Straße zu erhalten, auf den Bürgersteigen zu verkaufen, Handwerk zu betreiben, oder damit der Gouverneur, oder der Bezirksbürgermeister sich mit ihnen fotografieren lässt. Aber nicht um ein Anrecht auf das Land zu haben, oder das Wasser, noch um eine Schulbildung oder Gesundheitsversorgung zu erhalten.

Und dort gab es weder Schulen, noch Krankenhäuser, noch Straßen, gar nichts. Die großen Landstriche gehörten den Grundbesitzern, den Finqueros. Und uns hielten sie in den Bergen, inmitten von Steinen , wo wir unseren Mais und unseren Kaffee säen mussten. Und dann erzielten wir diese Vereinbarung mit der Regierung und sie erfüllten sie nicht. Und wir können nicht einmal sagen, dass es nur eine einzige politische Partei war. Alle drei großen politischen Parteien haben uns verraten. Wir werden gefragt, weshalb wir denjenigen, der uns verfolgt, der uns verspottet, der uns mit Waffen angreift, wenn er an der Regierung ist, nicht unterstützen.

Aber wir können nicht alleine für unsere Rechte kämpfen. Niemand wird es kümmern, wenn wir nur als Indígenas, nur als Zapatisten unsere Rechte fordern. Und wir fingen an zu reisen und sahen die Jugendlichen, die genau wie wir verfolgt und verachtet werden. Denn so wie wir darüber verspottet werden wie wir uns anziehen und wie wir sprechen, werden auch die Jugendlichen verspottet und verfolgt, wegen der Art wie sie sich zeigen, und wie sie sprechen und welche Musik sie hören.
So wie die Frauen verachtet und als Dinge betrachtet werden, die man benutzen kann, wie es einem gefällt. Oder nur aufgrund ihrer Schönheit oder Jugend klassifiziert werden. Und sobald sie reifer sind, war's das schon, dann bist du alt. Genau so werden wir auch verachtet. Und die Arbeiter, und die Campesinos, und die Kinder. Und die Alten, nachdem sie ein Leben lang gekämpft, gearbeitet, sich durchgeschlagen, um etwas zu essen zu haben, werfen sie sie auf den Müll und geben ihnen kleine Almosen, um möglichst schnell zu sterben.

Und wir sagten: Wieso verbünden wir uns nicht mit all diesen Menschen? Nicht um uns in Waffen zu erheben und unser Gesicht zu bedecken. Denn wir kommen nicht her, um Mazatlán zu sagen, was es zu tun hat. Wir kommen nicht, um Sinaloa Befehle zu erteilen. Wir bitten auch nicht um irgendwelche Ämter. Denn jetzt, nachdem der Wahlprozess vorbei ist, sind hier schon alle Präsidentschaftskandidaten durchgekommen und haben euch alles versprochen. Und ihr wisst, dass sie nichts davon halten werden. Das hat ein Compañero über die Abmachungen gesagt, die der Bezirkspräsident eingegangen ist, der von der PAN ist. Wenn sie den Namen zur PRI ändern, bleibt alles gleich. Und wenn sie es in PRD ändern, bleibt es auch gleich.

Ihr müsst mir nicht glauben, und ich komme nicht, um euch um eure Stimme zu bitten, - vielleicht erzähle ich ja Lügen, seht selbst auf eurem Tisch. Seht, ob es nicht so ist, dass ihr immer mehr arbeiten müsst, während es immer weniger und schlechteres auf diesem Tisch gibt? Während ihr den ganzen Tag das Land beackert, wenn ihr Campesinos seid, die Straßen ablauft, wenn ihr auf der Straße arbeitet oder in der Arbeit die Demütigungen der Arbeitgeber ertragen müsst. Ihr seht, dass ihr den ganzen Tag arbeitet und die Geldbörse nicht voller wird. Man muss auf den Märkten und in den Läden immer mehr ausgeben, und für die Kinder bleibt immer weniger übrig.

Fragt die Studenten, ob die Universität nicht immer teurer wird, von der es heißt, sie sei öffentlich und kostenlos, aber am Ende ständig für das eine oder andere Geld fordert. Und seht nach oben und sagt selbst, ob es nicht so ist, dass dieser Bezirkspräsident oder jener Gouverneur da nicht reicher ist als damals, als er sein Amt angetreten ist? Es ist ein Geschäft. Es ist ein Geschäft, früher waren die Reichen in Sinaloa die Unternehmer und die Drogenhändler, jetzt sind es die Politiker. Die jetzt vielleicht überall die gleichen sind.

Und wir sind es, die sie bezahlen. Wir bezahlen diese Polizei, damit sie die Jugendlichen unterdrückt, damit sie die Straßenhändler vertreibt. Wofür? Um ein Einkaufszentrum hinstellen können, das ihnen die Arbeit wegnimmt. Und zuerst sagen sie einem: Kauft hier ein, weil die Tomaten hier viel billiger sind. Und man geht hin, und kurz darauf erhöhen sie die Preise, weil es außer ihnen keinen anderen Laden mehr gibt. Jeder verliert irgendetwas.

Aber wir kommen nicht um euch zu sagen: hier kommt ein neuer Erlöser: Marcos, López Obrador, Felipe Calderón, Roberto Madrazo, oder wer euch sonst noch einfällt.
Wir wissen das, weil wir es auf unserem Gebiet so machen. Wir brauchen weder Erlöser, noch irgend jemanden, der kommt, um uns zu sagen, was wir tun sollen. Wir tun es, weil wir auf unserem Land selbst das Sagen haben. Wir setzen die autonomen Regierungen ein und haben Krankenhäuser und Schulen, wo es früher nichts gab. Unsere Kinder, die früher nur wuchsen, um zu sterben, wachsen jetzt lernend. Und sie wachsen mit dem Stolz, dass sie Indígenas sind, sie schämen sich weder ihrer Hautfarbe, noch ihrer Kultur, noch ihrer Sprache.

Jeder sollte diesen Stolz haben. Weshalb sollten die Homosexuellen, die Schwulen, Lesben und Transsexuellen es bereuen müssen, das zu sein, was sie sind, wenn sie es mit Würde sind? Oder die Jugendlichen, oder die Frauen? Egal wie sie aussehen. Oder die Arbeiter, denn was jetzt passiert, ist, dass der, der nicht arbeitet, viel hat, und der, der arbeitet, hat gar nichts. Ist das etwa gerecht?

Das, was wir wollen, ist, dass die Dinge sich ändern: dass der, der arbeitet auch etwas hat, und dass jeder so respektiert wird, wie er ist. Dass wir alle wie Menschen leben können. Ohne, dass man uns weismacht, dass wir anders sein müssen. Dass wir uns schminken müssen, um weiß auszusehen, wenn wir dunkelhäutig sind. Und dass wir hohe Schuhe tragen müssen, um groß auszusehen, wenn wir klein gewachsen sind. Wir können nicht so weiter leben.

Denn das, was mit diesem Land passiert, das wir, die Indígenas von Chiapas, Heimat nennen - ich weiß nicht, wie ihr es nennt -, und diese Heimat ist das gleiche, was Sinaloa mit Chiapas und mit dem Rest des Landes verbindet, und wenn wir nicht etwas tun, wird hier an dieser Fahnenstange die Fahne der Streifen und trüben Sterne wehen: die nordamerikanische. Und glaubt nicht, dass wir auch nur die Angestellten oder die Diener dieser Nordamerikaner sein werden. Sie bringen schon alles mit, einschließlich ihrer Diener, die sie von woanders mitbringen.

Unsere Geschichte und die Erde, für die unsere Großeltern gekämpft haben, und die Stadt, die mit der Anstrengung der Menschen von Mazatlan errichtet wurde, wo werden sie bleiben? Sie werden in Vergessenheit geraten, und in uns wird die Scham bleiben, nichts getan zu haben. Wir kommen nicht, um euch zu sagen, dass ihr irgendeine politische Partei wählen oder eine Fahne heben müsst. Wir werden auch keine Kappen, Kuchen, Erfrischungsgetränke oder sonst irgendetwas an euch verteilen.

Das, was wir euch sagen, ist: Seht selbst, ob es nicht stimmt, was wir sagen! Seht in euren Häusern, bei eurer Arbeit, in euren Schulen, da, wo ihr euch ausruht, jeder da wo er ist, und sagt, ob das, was passiert, gerecht ist. Und wenn ihr mit Nein antwortet, sagen wir euch: Organisiert euch!
Organisiert euch und vereinen wir alle Kräfte, die es in Mazatlán, in Sinaloa, im ganzen Nordwesten des Landes gibt, nicht nur mit den Zapatisten von Chiapas, sondern mit allen Organisationen, die sich im ganzen Land organisieren. Und auch mit jenen, die es auf der anderen Seite des Rio Bravo gibt, nördlich vom Rio Bravo. Denn die Brüder und Schwestern, die gezwungen waren auszuwandern, organisieren sich drüben ebenfalls. Denn sie sind wütend, dass sie ihre Heimat Mexiko verlassen mussten, weil sie verarmt sind und ihnen kein anderer Ausweg mehr übrig blieb, als nach drüben zu gehen um sich Arbeit zu suchen, um etwas zu essen zu haben.

Wir kommen, um euch dazu einzuladen. Überlegt für euch, wir werden keine Befehle erteilen, und wir werden auch niemandem etwas vormachen. Wir respektieren euch, und wissen, dass ihr Überlegung und Verstand besitzt.
Wir kommen nicht, um euch zu manipulieren. Geht nach Hause, an euren Tisch, zu eurer Arbeit, in eure Schule, und wenn das, was wir hier sagen, stimmt, dann organisiert euch, denn so kann es nicht weitergehen!
Organisiert euch, und lasst uns nicht alleine kämpfen!
Kämpfen wir nicht jeder für sich, sondern verbünden wir uns alle gemeinsam, um für unsere Heimat Mexiko zu kämpfen. Das ist es, was wir hier in der Anderen Kampagne wollen!

Danke, Compañeros, danke, Compañeras.

Delegado Zero