Die Andere Kampagne
Die politische Klasse hat sich selbst zerstört


Wie stehen Sie zu den terroristischen Anschlägen, die in Mexiko Stadt verübt worden sind. Teilen Sie diese Haltung und haben Sie daran gedacht, wieder zu den Waffen zu greifen? Oder werden Sie den politischen Weg fortsetzen?

Wir sind in der friedlichen Initiative der Anderen Kampagne. Die wahren Bomben wurden schon früher gelegt. In der PRI hat Madrazo sie gelegt und zerstörte, was von der PRI noch übrig war. In der IFE waren es Ugalde und Fox, als sie der Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses und eines bürgerlichen Organs ein Ende setzten. Und im Abgeordnetensaal geschah es mit der Fobaproa und all dem, als sie sich ihre Glaubwürdigkeit in den Augen der Öffentlichen Meinung gesprengt haben - wie Sie das sagen.
Im Fall von Oaxaca war es die Regierung von Vicente Fox, die damit begonnen hat, den Terror zu steigern. Man kann an einem Ort, an dem es bewaffnete Gruppen gibt, eine friedliche Initiative wie die der APPO nicht mit Waffengewalt beantworten - in diesem Fall mit der Präventiven Bundespolizei. Was Fox getan hat und weiterhin tun, ist eine Rekrutierungskampagne für die bewaffneten Gruppen in Oaxaca zu betreiben, indem er eine Lösung des Konfliktes von Oaxaca durch Dialog und Verhandlung verweigert.
Er ist für diese Anschläge als Hauptverantwortlicher zu bezeichnen. Und die Symbole, die sich diese Gruppen dafür ausgesucht haben, waren zu dem Zeitpunkt bereits schon von ihren eigenen Mitgliedern torpediert worden.


Welchen Gesamteindruck hat die Andere Kampagne gewonnen seit dem Aufbruch in San Cristóbal bis heute?


Wir sehen, dass ein Zerstörungsprozess der gemeinschaftlichen Sozialnetze im Gange ist, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Und dass in diesem Sinne kein Unterschied zwischen Tijuana und Quintana Roo besteht. Und im übrigen Land geht der Ausverkauf der nationalen Souveränität weiter.
Die Politiker, die Staatsbeamten, die Regierungen sind einfach Verwalter dieses Zerstörungsprozesses. In keiner der politischen Parteien gibt es auch nur den kleinsten Anstand nach unten zu blicken.
Wie wir gesehen haben, findet die Zerstörung der Landwirtschaft in allen Bundesstaaten statt, nicht nur hier im Norden. Die Zerstörung des Kleinhandels und der kleinen und mittleren Unternehmen wird im ganzen Land betrieben.
Und was sich heranbildet ist ein Konzentrationsprozess des Reichtums, der die so genannte Mittelklasse ausschließt. Diese wird einem immer schärferen Verarmungsprozess ausgesetzt.

Für Menschen mit wenigen Ressourcen heißt das unverblümte Sklaverei oder sie müssen auswandern. In diesem Fall stellen die südlichen Bundesstaaten die Arbeitskraft der nördlichen Bundesstaaten. Und die nördlichen Bundesstaaten stellen die Arbeitskraft der Vereinigten Staaten.
Es findet ein massiver Auswanderungsprozess statt, außerhalb der Grundkerne der Bevölkerung. Dadurch werden Familien auseinander gerissen, Beziehungen zwischen Gemeinden. Das gestattet dem so genannten organisierten Verbrechen oder dem Drogenhandel, den Platz einzunehmen, der von den Behörden vernachlässigt wird.
Die Politik hat sich überall in eine Ware verwandelt. Manchmal kriegen wir etwas mit, wenn die Massenmedien darüber berichten, weil Spitzenpolitiker darin verwickelt sind. Aber wenn es auf Verwaltungsebene geschieht, also Gemeinderäte und Bürgermeister, Lokalkongresse und Regierungen, da wird es nicht beachtet.
Wie bei einer Scheidung - aber bei so einer, bei der die Eheleute sich nicht ausstehen können und einer den anderen angreift und ihn anfeindet. Die mexikanische politische Klasse hat sich nicht nur damit begnügt, die Menschen von unten zu vergessen: Sie bemüht sich wirklich, sie völlig fertigzumachen.
Man könnte meinen, die politische Klasse sei eine schlechte Managerin. Nein, sie ist eine gute Managerin. Sie verwaltet die Zerstörung des Landes. So wie früher von 1492 bis 1521 die Eroberung von der spanischen Armee vorangetrieben wurde, wird die Eroberung heute von einer neuen Armee aus Abgeordneten, Senatoren, Gouverneuren, dem Präsidenten der Republik und Bezirkspräsidenten mit ihren Gesetzen betrieben.
Der Zerfall ist bereits so hoch, dass die Verzweiflung gefährliche Ausmaße erreicht hat. Und die gefährlichsten Ausmaße sind spontane Rebellionen - nicht immer bewaffnet, aber durchaus gewaltsam - weil der einzige Ausweg, der damals im Jahr 2000 geschaffen wurde, nämlich der Wahlprozess, von Fox, Ugalde und den großen Massenmedien versperrt worden ist. Was bleibt den Menschen denn dann noch anderes übrig? Das einzige, was ihnen noch offen steht, ist die Tür zur Auswanderung. Und oben im Norden schließen sie die auch.
Das ist, wie wenn in einem Schnellkochtopf die Hitze immer höher steigt und völlig abgedichtet wird. Wenn es keine friedliche Lösung gibt, fliegt irgendwann das ganze in die Luft. Und was wir in der Anderen Kampagne tun, ist einen friedlichen Ausweg zu errichten, der sich nicht mit einem Regierungswechsel begnügt, sondern versucht, diese ganze Fäulnis zu beseitigen, die unser Land vernichtet.

Die Beziehung, die wir zu Calderón haben werden, besteht darin, dass wir ihn stürzen werden. Mit einer zivilen und friedlichen nationalen Bewegung im ganzen Land. Und im Fall der indigenen Völkern haben wir vor, dass sich die Geschichte von 1810 und von 1910 nicht wiederholt - dass grundlegende Veränderungen stattfinden, aber ohne die indigenen Völker von ihrem Platz zu verdrängen.
In dieser neuen Rebellion, die sich in diesem Land erheben wird, und deren Schwerpunkt hier, im Cerro de la Bufa, in Zacatecas sein wird, werden die indigenen Völker diesmal ihren Platz haben und respektiert werden. Was auch immer passiert. Wenn irgendeine der verschiedenen politischen Optionen, die nach dieser Bewegung an die Macht kommen werden, die indigenen Völker nicht anerkennt, werden wir uns immer wieder von neuem erheben, bis alles richtig gestellt ist. Mit Respekt für unsere Völker.


Zielt Ihr Projekt darauf hin, eine neue politische Organisation in Mexiko zu erschaffen?


Nein, das, was wir erschaffen, ist ein Netzwerk von Organisationen, Bewegungen, Gruppen, Kollektiven, in dem garantiert wird, dass jeder repräsentiert und angehört wird. Wie Sie wissen, bestehen die traditionellen Rebellionen meistens aus einer kleinen Gruppe, die die Macht ergreift. Und von dort entscheiden sie dann, was das übrige Land benötigt.
In diesem Fall geht es nicht darum, dass jemand an der Spitze entscheidet, was Zacatecas braucht, sondern die Bevölkerung von Zacatecas. Der ganze Reichtum, den wir gesehen haben und der sich in den Händen weniger konzentriert, muss auf andere Weise besetzt werden. Aber wir kommen nicht, um zu sagen, man muss auf dieser oder jener Seite stehen. Wir kommen nur, um die Bevölkerung von Zacatecas zu fragen, was es braucht: Wasser, Land, Schulbildung, gesundheitliche Versorgung ... Alles, was sie uns erzählt und wir im gestrigen Treffen mehr oder weniger dargelegt haben, und in Ihren Zeitungen nicht erschienen ist.


Subcomandante, hegen Sie noch die Hoffnung, dass die Verträge von San Andrés Larrainzar respektiert und umgesetzt werden, wie bereits schon seit 1994 vorgesehen, oder glauben Sie, dass die Regierungen sie vergessen haben?

Sehen Sie, die EZLN gehört zu einem Netzwerk von indigenen Völkern im ganzen Land, nämlich dem Nationalen Indigenen Kongress, und wir haben gemeinsam entschieden, die Verträge von San Andres umzusetzen.. Die gegenwärtige Regierung, egal, ob unter Calderon oder Fox, und auch die anderen PRI- oder PRD-Regierungen werden die Verträge von San Andres nicht erfüllen, weil das einen Bruch mit ihren so genannten makroökonomischen Variablen bedeuten würde.
Die Vereinbarungen von San Andrés legen fest, dass die indigenen Völker Eigentümer ihrer Gebiete sind und nichts ohne die Erlaubnis der Gemeinden unternommen werden kann. Das bedeutet das Aus für Carlos Salinas' Verfassungsreform von Artikel 27 und das Hoch für den Ejido- und gemeinschaftlichen Landbesitz, der nicht nur das physische, sondern auch das kulturelle Überleben der indigenen Völker sichert.
Und es geht nicht nur um das Land das bearbeitet wird, sondern auch um die Quellen, die Wälder und die Luft. All dies, das in eine Ware verwandelt ist, und zwar eine Ware, die sich nur in wenigen Händen konzentriert.
In Quintana Roo haben wir einen Strand mit einer Mauer gesehen, wie diese Schandmauer, die Fox und Bush errichten. Und die Ejido-Bewohner wurden vollständig von diesem Land hinausgeworfen, sie konnten sich ihm nicht einmal nähern oder darauf blicken, weil die Mauer zwei Meter hoch ist, um einen unberührten Strand zu schützen, auf dem ein Hotelkomplex gebaut werden soll.
Das gleiche haben wir in Baja California Sur gesehen. An den zwei Enden, an beiden Ecken dieses Landes, findet dieser Prozess statt. Und was passieren wird, ist dass diese Fahne mit den drei Farben, grün, weiß und rot, mit dem Adler in der Mitte, verschwinden wird, und damit unser Bewusstsein, Mexikaner zu sein.
Was die Kommunikationsmedien angeht, so werden die Monopole völlig verschwinden, sie werden von den großen europäischen und nordamerikanischen Monopolen geschluckt werden. Jene, die den Wahlsieg von Calderon feiern, der ihnen angeblich die Märkte öffnen wird, vergessen daher, dass das Ziel von Calderon und jeder Regierung gerade darin besteht, dem Imperium, Nordamerika und Europa, unsere natürlichen Ressourcen auszuhändigen.
Glauben Sie nicht, dass die großen Informationsmonopole in den Vereinigten Staaten und in Europa sich mit den lokalen Fernsehsendern zufrieden geben werden, sie werden alles schlucken! Und das gilt auch für die Großunternehmen, die jetzt noch ein angeblich nationales Kapital haben.


Subcomandante, wie bereiten Sie die Bewegung auf das Verschwinden des Anführers vor, auf das Verschwinden von Subcomandante Marcos, damit die Bewegung weitermachen kann, ohne von einer einzelnen Figur wie Sie abhängig zu sein?

Diese Bewegung ist weder von Marcos noch von der EZLN abhängig. Wir haben einen Haufen von Bewegungen getroffen, die bereits existierten, aber nicht sichtbar waren. Die Andere Kampagne macht sie sichtbar, aber sie brauchen sie nicht um zu existieren. Das einzige, was die Andere Kampagne anbietet, ist eine Möglichkeit für diese Bewegungen und Widerstände, sich miteinander zu verbünden und sich gegenseitig unterstützen.
Dabei handelt es sich nicht um einen hegemonischen Prozess der EZLN oder der politischen Organisationen, die hier anwesend sind. Sondern um ein Verhältnis des Respekts. Deswegen sagen wir, dass es eine andere Art ist, Politik zu betreiben. Eine Bewegung mit diesen Perspektiven ist auf der ganzen Welt bisher beispiellos. Da es also keine Handbücher dafür gibt, müssen wir unterwegs lernen, durch die Fehler, die wir bereits gemacht haben, vielleicht durch zuviel Protagonismus, oder weil auf den öffentlichen Veranstaltungen die Bewegung nicht genug im Vordergrund steht.
Aber die Otra Campaña wächst in Wirklichkeit unten, durch nicht sichtbare Treffen. Mit wenigen Menschen, dort wo sie uns ihre Geschichten erzählen. Und jetzt geht es darum, diese an andere Orte zu tragen. Wir tragen jetzt das Andere Zacatecas - das nichts damit zu tun hat, was Amalia heute morgen gesagt hat - und wir hoffen, dass in anderen Bundesstaaten im Norden, im Zentrum und im Süden, direkte Brücken aufgeschlagen werden können, ohne Vermittlung, ohne die EZLN, ohne Marcos, ohne nichts davon.


Was denkt Subcomandante Marcos über die Arbeit der einzigen mexikanischen Gouverneurin, Amalia García?

Das, was sie tut, ist ein Verbrechen. Es ist eine Schande. Man kann unmöglich so viel ausgeben, um für sich selbst zu werben. Man muss sich nur die Plakate in der Stadt ansehen, die verkünden: So viel investiert der Staat in dieses und jenes, und all das. Fehlt nur, dass sie sagen: So viel investiert der Staat, um für sich selbst zu werben, in diesem Fall für Amalia Garcia.
Amalia plant offensichtlich, 2012 gegen López Obrador und Marcelo Ebrard für die Kandidatur dieses wiederverwerteten PRIsmus der PRD anzutreten. Die Kosten dieser Entscheidung werden von der Bevölkerung von Zacatecas getragen. Denn wenn Politiker ihre Posten als Trittleiter für ihre politische Karriere betrachten, vernachlässigen sie darüber die wesentlichen Aspekte.
Was wir in den letzten Tagen in Zacatecas gesehen haben, ist eine Schande. Es ist eine Schande in einem Bundesstaat, der für die Geschichte unseres Landes so wichtig ist und über das so viele Lügen erzählt werden. Und wenn man es zu weit treibt, sieht man, was dabei herauskommt.


Welches Verhältnis werden Sie zur Frente Sandinista haben, die heute die Regierung von Nicaragua ist? Und wie sehen Sie diese Wahl? Als ein Licht auf dem Weg des Widerstandes? Was ist Ihre Meinung dazu?

Das ist ein künstliches Feuer. Dieser Aufstieg der vermeintlichen Linken in Lateinamerika bedeutet nur, dass die neoliberale Politik mit der linken Hand gehandhabt wird. Ortega hat noch nie durch seine Radikalität geglänzt. Und sein Regierungsvorschlag ist sogar noch gemäßigter, als der, den die Rechte in den Wahlen präsentiert hat.
Tatsächlich musste er Allianzen mit der nicaraguanischen Rechten eingehen, was schon alles sagt, weil die nicaraguanische Rechte schlimmer als alles ist. Und die Bevölkerung von Nicaragua wird dadurch nichts gewinnen. Es wird Deklarationen geben und natürlich Beifall von Amalia, von López Obrador und all denen. Aber es wird das gleiche passieren wie schon mit Lula: Sobald er anfing, die Politik der Regierung anzuwenden, ging der Prozess der Zerstörung und Verelendung der Menschen von unten weiter.


Gestern kommentierte Ramiro Rosales, dass Zacatecas ein anderes Oaxaca werden könnte ...


Nicht nur Zacatecas! Alle Bundesstaaten im Norden reflektieren einen sehr starken Prozess der Unzufriedenheit und auch der Organisation. Die Leute merken immer mehr, dass die Regierung - oder das was sich heute als Regierung ausgibt - mehr ein Hindernis ist als eine Hilfe.
Das sind organisatorische Prozesse von unten, die bereits alle Regierungsbüros durchgegangen sind. Die keine Antwort erhalten haben, die verspottet worden sind, wie im Fall von La Tesorera - von dem wir gestern geredet haben, und der uns von den Compañeros selbst erklärt worden ist. Und dann werden die Leute anfangen das gleiche zu tun wie die APPO, also die Regierung in ihre eigenen Hände zu nehmen und Entscheidungen zu treffen.
Wenn Sie sich erinnern: Vor dem Einmarsch der Präventiven Bundespolizei erfüllte die APPO die Funktionen der Regierung, der Überwachung und der Sicherheit in der Stadt. Das ist aus Oaxaca Stadt bekannt, aber das war auch in anderen Bezirken der Fall, vor allem in solchen mit einer indigenen Bevölkerung.
Die APPO Bewegung machte ebenfalls dadurch auf sich aufmerksam, weil sie eine sehr starke indigene Komponente hat. Und in diesem Sinn reicht die Beteiligung der Indígenas weit über Oaxaca hinaus, weil Oaxaca sich nicht nur hier in Zacatecas, sondern auch im übrigen Land und sogar jenseits der Grenze, ihre Wurzel bewahrt, ihre Brücken oder Verbindungen, wie wir dazu sagen, auch wenn die Menschen in einem anderen Bundesstaat oder einem anderen Land leben.