Subcomandante Marcos
Wie man das Monster herausfordert
und besiegt


Vor einigen Monaten, als der Dezember sich gerade in die Seiten des Kalenders zurückfallen ließ und der Januar mit der Kälte der Ungewissheit heranrückte, machte ich mich in unseren Bergen auf die Suche nach unseren Toten, die leben, jene Männer und Frauen, die wir "Die Wächter" nennen, um ihre Herzen zu fragen, was es war, das wir auf unserer Reise vorgefunden hatten, unten, aber viele Wandermonde von unserem Land entfernt.

Wir hatten den Schmerz des Cucapás gesehen und gehört, die Kiliwa hatten das Leid ihres Volkes in Wort verwandelt, und die Kumiai hatten von dem Unrecht gesprochen, das ihr Gebiet tötet. Viele Fragen füllten das abgewetzte Notizheft des sechsten Pfades der Zapatisten mit Klecksen.

Lange Zeit schwiegen die Wächter. Die Nacht füllte sich allmählich mit ihren Klängen, und eine Stille wie ein Glockenschlag kündigte die Dämmerung an.

Dann sprach der Älteste, der allererste der Wächter, und sagte zu mir:
"In der Richtung, die nur die Sonne einschlägt, und wo der höchste Stern den Himmel regiert, gibt es Menschen, die aus Rauch geschaffen wurden, und den Träumen der Götter entsprungen sind. Die Ältesten dieser Menschen erzählen, dass die Welt am Anfang aus Wasser und Finsternis bestand, wie ein feuchter Schatten, wie ein Mutterleib, in dem die ersten zwei Götter weilten.
Diese Götter rauchten Tabak und vom Rauch getragen segelten sie hinaus in die Welt, als die Welt noch nicht bestand. Der eine konnte sehen, der andere war blind.
Diese Götter befahlen den Ameisen, die Erde zu bewegen, um sie vom Wasser zu trennen.
Die beiden Götter warteten, bis die Erde getrocknet war, und fingen dann an, alle Männer und Frauen der Welt auf einmal zu machen. Sie erschufen die Indígenas, die Mexikaner, die Chinesen, die Amerikaner.
Einer der Götter, der eine, der sehen konnte, machte die Menschen ganz hastig, ohne nachzudenken und ohne Sorgfalt. Der andere, der blinde Gott, verrichtete seine Arbeit in Ruhe, und da er nicht sehen konnte, erschuf er die Männer und Frauen nach seinen Träumen und nach dem Rauch des Tabaks, das er rauchte. So erschuf dieser Gott die Cucapás. Aus Träumen und Rauch erschuf er sie. Gut erschuf er sie.
Die ersten Männer und Frauen hatten keine Augen. Der Gott, der sehen konnte, sagte, man sollte ihnen Augen auf die Fußzehen setzen. Zehn Augen hatten die ersten Männer und Frauen. Aber der blinde Gott hielt das für eine schlechte Idee, weil die Augen sich beim Gehen mit Schlamm und Staub füllten und verletzen werden konnten. Also dachte er, es wäre besser sie im Kopf einzusetzen, und dass es besser wäre, zwei Augen zu haben, denn wenn eins verletzt war, konnte man noch mit dem anderen sehen.
Und so wurden die Cucapás schließlich richtig gestaltet, sie machten sie vollständig, mit ihren zwei Augen. Aber ihre Augen waren vollkommen nutzlos, denn alles war dunkel, und es war nichts zu sehen.
Also wollte der Gott, der sehen konnte, die Sonne erschaffen, aber da er die Dinge wie immer ganz hastig und ohne Sorgfalt machte, geriet sie sehr klein und mit einem ganz schwachen Licht, als ob sie betäubt war. Deshalb konnte diese erste Sonne die Welt nicht mit Licht erfüllen.
Der blinde Gott träumte dann, dass dies so nicht gut war, und er fing an, eine andere Sonne zu machen, ganz langsam, zuerst einen Teil und dann einen anderen, bis er schließlich fertig wurde. Und als sie fertig war, warf er sie so auf den Himmel, dass sie ihren Weg auf der einen Seite begann und auf der anderen Seite beendete.
Und die Seite, auf der die Sonne ihren Weg begann, nannte er "Osten", und die Seite, auf der er zu Ende ging, "Westen".
Der Gott, der sehen konnte, wurde wütend, weil er sehen konnte, dass die Sonne des blinden Gottes besser war, und er war sauer, wie man das so schön sagt, und wollte die Sonne, die er so klein und blass erschaffen hatte, auf den Müll werfen.
Der blinde Gott sagte ihm, dass es nichts brachte, das zu tun, weil diese kleine Sonne ja doch ganz nützlich sein konnte, und er nahm sie und warf sie auf den gleichen Pfad wie die große Sonne, aber etwas dahinter. Und er nannte sie "Mond", und durch sie lernten die Männer und Frauen, wie man den Tag und die Nacht und die Monate und die Jahreszeiten misst.
Hinterher ging der blinde Gott davon, verärgert von den vielen Streichen des Gottes, der sehen konnte. Und der Gott, der sehen konnte, blieb allein, und er brachte den Männern und Frauen bei zu sprechen und zu leben.
Und er brachte ihnen viele Sachen bei, und verteilte sie gleichermaßen zwischen den Männern und Frauen, die alle wie Kinder waren, weil die Welt noch jung war und wie ein Kleinkind, das noch nicht laufen kann. Und die amerikanischen und mexikanischen Kinder weinten viel, weil sie alles für sich haben wollten, und die Cucapá Kinder hatten es satt, ständig das Geheule der Amerikaner und Mexikaner zu hören, und sagten zum Gott, der sehen konnte, er solle doch bitte den Mexikanern und Amerikanern alles geben, damit sie endlich die Klappe hielten.
So tat es der Gott, der sehen konnte dann auch, aber damit sie nicht völlig leer ausgingen, gab der Gott den Cucapás Bögen und Pfeile, Netze zum Fischen, und Tabak, um gute Träume zu haben.
Und die Ältesten erzählen, dass die Cucapás einen guten Traum hatten, was damals das war, was heute Würde genannt wird.
Und sie erzählen, dass es auf dem Land der Cucapá einen Ort gibt, der "Adlerhügel" heißt.
Und hier, in der Nähe der indigenen Gemeinde von El Mayor, wurde das Monster von einem Jugendlichen herausgefordert und von einer Frau besiegt, die beide den Cucapás entstammten. Und sie erzählen, dass das so passiert ist:
Auf dem Wí Shpa, dem Adlerhügel, dort in der indigenen Gemeinde von El Mayor, lebte eine Cucapá Señora Tante, und ihr Cucapá Neffe. Damals war alles sehr viel größer, die Indígenas waren so groß wie Riesen.
Die Mexikaner und die Gringos waren noch überhaupt nicht gekommen, nur die Indígenas lebten auf diesen Erden. Es gab weder das Meer noch den Río Colorado, alles war Land am Fuß des Adlerhügels.
Damals lebten aber auch viele riesige Monster auf der Welt. Und das allergrößte, allerschrecklichste und allerschlimmste von allen, lebte südlich vom Adlerhügel. Und alle hatten sehr große Angst vor ihm. Die Cucapás konnten nicht hinausziehen, um die Lämmer, das Wild und die Berghühner zu fangen, um sie zu Hause zu züchten und zu essen.
Eines Tages träumte der Cucapá Neffe, dass er das Monster töten würde, das seinem Volk so viel Schaden zufügte. Also ging er zu seiner Cucapá Tante und sagte ihr, er wäre gleich zurück, er ginge nur eben los, um das Monster zu töten, es würde nicht lange dauern, und sie sollte nicht auf ihn warten.
Die Cucapá Tante war zuerst traurig, aber dann wurde sie wütend und schimpfte den Cucapá Neffen tüchtig aus. Ob er verrückt wäre, fragte sie, ob er denn nicht wüsste, dass das Monster ganz schrecklich sei, und ihn mit einem einzigen Biss verschlingen könnte. Aber der Cucapá Neffe gab nicht viel darauf, denn er hatte ja seine Harpune zum Fischen, und sein Netz, seinen Bogen und seine Pfeile, seinen Bund Adlerfedern und seinen Armreif.
Und am Morgen, als die Cucapá Tante noch schlief, zog der Cucapá Neffe los, um das Monster zu töten, und er nahm auch seinen kleinen gefleckten Hund mit, der furchtbar niedlich war.
Sie zogen los und marschierten lange nach Süden, wo sich nichts als Land erstreckte. Und schließlich trafen sie auf das Monster, das noch schlief und so laut schnarchte, dass die Erde erzitterte.
Und hier konnte der Cucapá Neffe sehen, dass das Monster ein blaues Ei, das heißt, einen blauen Hoden hatte und einen roten. Der Cucapá Neffe näherte sich ganz vorsichtig dem Monster und zerstach seine Eier, das heißt, seine Hoden.
Aus den Löchern, die der Cucapá Neffe mit seiner Harpune in die Hoden des Monsters gestochen hatte, brachen daraufhin sofort zwei Wasserstrahlen hervor: Von der einen Seite strömte blaues Wasser hervor und bildete das Meer, das heute Golf von Kalifornien genannt wird. Aus dem anderen Hoden strömte rotes Wasser hervor, und daraus entstand der Fluss, der heute Río Colorado heißt.
Aber das Monster war nicht tot, sondern es war wütend, weil ihm seine Eier, das heißt, seine Hoden fürchterlich wehtaten. Und es fing an, den Cucapá Neffen zu verfolgen, um ihn mit einem einzigen Biss zu verschlingen.
Das Monster war an sich schon hässlich, aber so wütend wie es war, war es noch sehr viel hässlicher, und jetzt bekam es der Cucapá Neffe, wie man so schön sagt, mit der Angst zu tun und ergriff mit seinem gefleckten Hündchen die Flucht.
Und sie rannten zum Adlerhügel. Und das Monster verfolgte sie, und so wurde das Meer auf dem Boden gebildet, aus dem blauen Wasser, das aus dem blauen Hoden des Monsters strömte. Und nach und nach ließ der Cucapá Neffe seine Sachen der Reihe nach auf den Boden fallen, also die Harpune, das Netz, den Bogen und die Pfeile, den Federbund, das Armband, um das Monster aufzuhalten, das ihn verfolgte.

Aber das Monster ließ sich davon nur ganz kurz aufhalten und setzte dann die Verfolgung fort. Der Cucapá Neffe ließ am Ende sogar sein geflecktes Hündchen fallen, um das Monster aufzuhalten, aber auch das hielt das Monster nicht auf. Der Cucapá Neffe war schon furchtbar schwach, weil er vom Rennen ganz erschöpft war, und er fühlte, dass das Monster ihn einholen würde.
Da hörte er die Cucapá Tante nach ihm rufen. Die Cucapá Tante war losgezogen, um zu sehen was los war und wollte den Cucapá Neffen ausschimpfen, aber sie sah, dass das Monster näher kam und ihren Cucapá Neffen fressen würde.
Daraufhin wurde die Cucapá Tante wütend wegen dem, was das Monster vorhatte, und sie zog sich aus einem Ohr eine Schmalzkugel hervor, das zu einem ganz harten Stein wurde, und warf ihn dem Monster an den Kopf, aber das ärgerte ihn nur.
Da zog sie sich noch mehr Schmalz aus den Ohren, aus dem ein anderer Stein wurde, und warf ihn auf das Monster und erlegte ihn mit einem einzigen Wurf."

Der allererste aller Wächter schwieg dann und zog an seiner Zigarre. Dann sagte er zu mir: "Geht nach Norden, dorthin, wo die Sonne schläft. Geht nach El Mayor und zum Río Colorado. Sucht die Cucapá. Ihre jungen Leute werden euch helfen, das Monster herauszufordern, und ihre Frauen werden euch helfen, es zu töten".

So erzählten uns die Wächter die Geschichte der Cucapá. Das haben sie uns gesagt.
Deshalb sind wir zu diesen Ländern zurückgekehrt.
Weil wir eure Hilfe möchten, um das Monster herauszufordern, weil wir eure Unterstützung brauchen, um es zu besiegen...

Vielen Dank!

Subcomandante Insurgente Marcos