Zum 15. Jahrestag des Aufstands
Sieben Winde in den Kalendern und Geografien von unten


Der Erste Wind: Eine würdige wütende Jugend

Guten Abend

Sintrófisa, síntrofe, Ekseyerméni Eláda. Emís, i pió mikrí, apó aftí ti goniá tu kósmu se jeretáme.
Déksu ton sevasmó mas ke ton zavmasmó mas giaftó pu skéftese ke kánis. Apó makriá mazménume apó séna. Efjaristúme.

(Ich hoffe keine Schweinerei gesagt zu haben, was ich meinte, war: "Compañera, Compañero rebellisches Griechenland. Wir, die Allerkleinsten, grüßen Dich aus dieser Ecke der Welt. Wir senden Dir unseren Respekt und unsere Bewunderung zu für das was Du denkst und tust. Aus der Ferne lernen wir von Dir. Danke.")

Über Gewalttätigkeiten und andere Sachen

Schon seit langem hat das Problem der Kalender und der Geografien die Macht entlarvt und bloßgestellt. Zuweilen hat sich gezeigt (und wird sich zeigen), wie ihr glänzendes Getriebe der Herrschaft ins Stottern gerät und auseinanderfällt. Deshalb versucht sie auch, bei der Handhabung der Geografien und Kalender große Vorsicht anzuwenden.

Bei den Geografien zeigt es sich am deutlichsten: Ihrem ungeschickten Trick zufolge, den dieses Festival enthüllt hat, ist Griechenland sehr weit von Chiapas entfernt. In den Schulen wird gelehrt, dass Mexiko von Frankreich, dem Baskenland, Spanien und Italien durch einen Ozean getrennt wird. Und ein Blick auf die Landkarte zeigt uns, dass New York sehr weit nördlich vom indigenen mexikanischen Chiapas liegt. Etwas, das vor einigen Stunden von den Compañeras und Compañeros der Bewegung Gerechtigkeit für das Barrio widerlegt worden ist. Und Argentinien liegt weit im Süden von hier, was von dem Compañero aus Solano, der gerade gesprochen hat, angefochten wird.

Aber diese Trennung gibt es weder oben noch unten. Die brutale neoliberale Globalisierung, der Vierte Weltkrieg, wie wir Zapatisten ihn nennen, hat weit entfernte Orte in räumliche und zeitliche Simultanität gebracht, damit der Reichtum fließen kann. Und um ihn sich aneignen zu können.

Die fantastischen Geschichten über die vermeintlich heldenhaften Entdecker-Eroberer, die mit Schwert und Kreuz die Schwäche der "Unzivilisierten" überwanden, sind vorbei. Anstatt der drei Karavellen gibt es einen Hochgeschwindigkeitscomputer. Anstatt der Schwerter und Kreuze eine Maschine der Massenvernichtung und eine Kultur, die mit dem "Fast Food" nicht nur dessen Allgegenwart gemeinsam hat (McDonalds, wie Gott, ist überall), sondern auch die schwierige Verdauung und das Fehlen jeglicher Nährstoffe.

Die gleiche Globalisierung lässt die Bomben der israelischen und nordamerikanischen Regierungen auf den Gazastreifen fallen, während sie die ganze Welt erschüttern.

Mit der Globalisierung hat sich die gesamte obere Welt unserem Blick und unserem Gewissen eröffnet. Die Bomben, die palästinensische Zivilisten ermorden, sind auch eine Warnung, dass man zu lernen und sich zu assimilieren hat. Und der Schuh gegen Bush im Irak kann in fast jeder Ecke des Planeten reproduziert werden.

All das geht Hand in Hand mit dem Kult des Individualismus. Der Enthusiasmus, den der Schuhwurf gegen Bush (der nur die schlechte Zielgenauigkeit des Journalisten beweist) unter den Wohlgesitteten ausgelöst hat, feiert eine Geste, die mutig aber im Wesentlichen nutzlos und unwichtig ist, wie einige Wochen später die Unterstützung der Bush Regierung für das Verbrechen zeigte, das die israelische Regierung auf palästinensischem Gebiet verübt ... und das - Verzeihung, wenn ich jene enttäusche, die am Fuß des Bildes von Barack Obama ihre Kerzen angezündet haben - von Bush's Nachfolger befürwortet wird.

Während die Zielschwäche im Irak Beifall erweckt, erweckt der Aufstand in Griechenland nur Sorgen. "Es besteht die Gefahr", wird gewarnt und exorziert, "dass die Rebellion in Griechenland sich auf das übrige Europa ausweitet".

Wir haben bereits gehört und gelesen, was uns die griechische Jugend in Rebellion über ihren Kampf und über die Widrigkeiten, denen sie gegenüberstehen, zu erzählen hatten. Ebenso von jenen, die sich in Italien darauf vorbereiten, der Gewalt der Regierung Widerstand zu leisten, sowie vom täglichen Kampf unserer Comp@s im nördlichen Norden.

Angesichts dessen zücken sie dort oben alle ihre Wörterbücher und suchen das Wort "Gewalt" heraus, das sie dem Wort "Institutionalität" gegenüberstellen. Und ohne auf den Kontext zu achten, das heißt, auf die Stellung der Klasse, klagen sie an, richten und urteilen. Sie sagen uns, dass die griechische Jugend gewalttätig sei, die die hellenische Halbinsel in Flammen setzt. Die Tatsache, dass die Polizei einen Jugendlichen ermordet hat, wird dabei klarerweise editiert, verstümmelt und unterschlagen.

In Mexiko, in der Geographie der gleichnamigen Stadt, hat eine Regierung der institutionellen Linken eine Gruppe von Jugendlichen ermordet. Ein Sektor der progressiven Intellektuellen bewahrte ein komplizenhaftes Stillschweigen, mit dem Argument, es würde sich dabei um einen Versuch handeln, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vom Karneval abzulenken, in den sich die angebliche Verteidigung des Erdöls inzwischen verwandelt hat. Die darauf folgende sexuelle Aggression gegen die jungen Frauen in Polizeihaft ging im Lärm der Pauken und Trompeten verloren, mit denen eine Volksbefragung angekündigt wurde, die sich als absoluter Reinfall herausstellte. Im Gegenzug wurde die Gewalt der Polizei nicht verurteilt, die allen Behauptungen zum Trotz keinesfalls undiszipliniert gehandelt hat.
Diese Polizei ist seit Jahren darauf vorbereitet worden, Jugendliche, Straßenhändler, SexarbeiterInnen, Ghettobewohner und alle jene zu unterdrücken, zu bedrängen und zu misshandeln, die mit der Regierung hinsichtlich Himmelspisten, Megaspektakeln im Fujimori-Stil und Eiscremerezepten nicht konform gehen. Und man darf nicht vergessen, dass die Doktrin, die diese Polizei beflügelt, vom heutigen "legitimen" Präsidenten nach Mexiko Stadt importiert wurde, als er noch Regierungschef von D.F. war.


In Mexiko Stadt und in Griechenland
morden die Regierungen Jugendliche


Das US-Israelische Regierungsjoch kennzeichnet heute im Gaza die geltende Richtlinie: Es ist effektiver sie zu töten, wenn sie noch jung sind.

Schon früher, nach dem geltenden Kalender vor nunmehr 10 Jahren, haben in Mexiko junge Stundenten der UNAM eine Bewegung ins Leben gerufen, die die wohlgesittete Linke zur Verzweiflung brachte, die sie, genauso hysterisch wie heute, wild verleumdete und herabsetzte. Auch damals hieß es, sie seien eine gewalttätige Bewegung, die dazu dienen sollte, die öffentliche Aufmerksamkeit vom grauen Wahlkampf des grauen Präsidentschaftskandidaten der grauen Partei der demokratischen Revolution abzulenken.

Heute, 10 Jahre später, muss man sich daran erinnern dass die UNAM weiterhin öffentlich und kostenfrei bleibt, dank der Beharrlichkeit dieser jungen Männer und Frauen, denen wir heute unseren Gruß entbieten.

In unserem schmerzreichen Mexiko sind die Erstplazierten beim Missbrauch des Wortes "Gewalt" Felipe Calderón Hinojosa und die Massenmedien, die ihm folgen (wenn auch immer weniger). Señor Calderón, ein Liebhaber von Computer-Echtzeitstrategiespielen (sein Lieblingsspiel, wie er mal erklärte, ist "Age of Empire"), hat entschieden, dem Volk anstelle von Brot und Spielen echtes Blut zu liefern. Da für den Zirkus schon die professionellen Politiker sorgen und Brot sehr teuer ist, hat Calderón beschlossen, mit Unterstützung der einen Seite der Drogenhändler Krieg gegen die andere Seite zu führen. In Verletzung der Landesverfassung holte er die Armee dazu heran, Aufgaben der Polizei, Staatsanwaltschaft, Richter, Gefängniswärter und Henker zu erfüllen. Dass dieser Krieg dabei ist, verloren zu werden, weiß jeder, der nicht zu seiner Regierung gehört - dass der Tod seiner besseren Hälfte ein Mord war, ist ebenfalls bekannt, auch wenn dies nicht publiziert wird.

Bei ihrem Krieg haben die Kräfte der Calderón-Regierung den Mord nicht weniger Menschen zu verantworten, die völlig unschuldig waren, von Kindern und Ungeborenen. Mit Calderón an der Spitze ist die Regierung Mexikos denen aus den Vereinigten Staaten und Israel um einen Schritt voraus: Er tötet sie schon, während sie noch im Mutterleib sind.

Es wurde gesagt, und Fernsehansager und Journalisten wiederholen es weiterhin, dass die Staatsgewalt eingesetzt werden würde, um die Gewalt des organisierten Verbrechens zu bekämpfen. Aber immer deutlicher ist zu sehen, dass es das organisierte Verbrechen ist, das die Staatsgewalt dirigiert. Vielleicht handelt es sich bei alldem aber auch nur um eine intelligente Strategie Calderóns, um die Aufmerksamkeit der Leute abzulenken. So beschäftigt die Öffentlichkeit mit dem blutigen Scheitern des Krieges gegen den Drogenhandel ist, entgeht ihr möglicherweise das Scheitern Calderons in der Wirtschaftspolitik.

Aber kehren wir zu den Verurteilungen der Gewalt zurück, die dort oben gefällt werden.

Es gibt da eine betrügerische Transmutation, eine falsche Tautologie: Sie behaupten, die Gewalt zu verurteilen, aber in Wirklichkeit verurteilen sie die Aktion.

Für die von oben ist die Unzufriedenheit ein Übel des Kalenders, oder, wenn auch dem getrotzt wird, eine zerebrale Pathologie, die nach Meinung einiger durch viel mentale Konzentration zu heilen ist, indem man sich in Harmonie mit dem Universum bringt und dann können wir alle menschliche Wesen sein, oder Bürger.

Für die gewaltsamen Pazifisten sind alle menschliche Wesen: Sowohl der griechische Jugendliche, der die Hand mit einem Molotowcocktail erhebt, als auch der Polizist, der all die Alexis ermordet, die es auf der Welt gegeben hat und geben wird; sowohl das palästinensische Kind, das beim Begräbnis seiner kleinen Geschwister weint, die von israelischen Bomben getötet worden sind, als auch der Pilot des Kampfjets mit dem Davidstern auf dem Rumpf; sowohl Herr George W. Bush, als auch der illegale Einwanderer, der in Arizona in den Vereinigten Staaten von der Border Patrol ermordet wird; sowohl der Multimillionär Carlos Slim, als auch die Sanborns-Bedienungskraft, die 3 bis 4 Stunden lang fahren muss, um zur Arbeit zu kommen und hinausgeworfen wird, wenn sie zu spät erscheint; sowohl Señor Calderón, der sich Chef der mexikanischen Bundesexekutiven nennt, als auch der Campesino, der seines Landes beraubt wird; sowohl Señor López Obrador, als auch die ermordeten Indígenas in Chiapas, von denen er nie etwas gesehen noch gehört haben will; sowohl Señor Peña Nieto, der Räuberbaron aus dem Bundesstaat México, als auch der Campesino Ignacio Del Valle von der FPDT, der eingesperrt wurde, weil er die Armen verteidigt hat; kurzum, sowohl die Männer und Frauen, die allen Reichtum und alle Macht besitzen, als auch die Frauen und Männer, die nichts weiter besitzen als ihre würdige Wut.

Und dort oben verlangen und fordern sie: "Man muss nein zur Gewalt sagen, ganz gleich woher sie kommt" - stets darauf bedacht, dies ganz besonders zu betonen, wenn die Gewalt von unten kommt.

Ihnen zufolge müssen sich alle einander in Harmonie zuwenden, um ihre Differenzen und Widersprüche zu lösen und den Leitspruch skandieren: "Das bewaffnete Volk wird ebenfalls ausgebeutet", womit Soldaten und Polizisten gemeint sind.

Unsere Position als Zapatisten ist klar. Wir unterstützen weder einen Pazifismus, der hochgehalten wird, damit ein anderer die andere Wange hinhalten muss, noch eine Gewalt, die geschürt wird, wenn andere die Toten liefern.

Wir sind, was wir sind, mit all dem Guten und dem Schlechten, das wir tragen und das unsere Verantwortung ist. Aber es wäre naiv zu glauben, dass alles Gute, das wir erreicht haben, einschließlich des Privilegs euch zuzuhören und von euch lernen zu dürfen, ohne die Vorbereitung eines ganzen Jahrzehnts erreicht worden wäre, damit der Erste Januar anbrechen konnte, wie es vor 15 Jahren geschehen ist.

Es war kein Protestmarsch und auch keine Unterschriftenliste, durch die wir bekannt wurden. Es geschah durch eine Armee, durch die Gefechte gegen die Bundestruppen, durch den bewaffneten Widerstand, dass wir in der Welt bekannt wurden.

Unsere gefallenen, toten und verschwundenen Compañeros und Compañeras sind in einem gewaltsamen Krieg ums Leben gekommen, der nicht vor 15 Jahren begonnen hat, sondern vor 500, 200, 100 Jahren.

Ich will hier keine Rechtfertigung der Gewalt vorbringen, sondern auf eine feste Tatsache hinweisen: Im Krieg wurden wir bekannt, im Krieg haben wir uns diese letzten 15 Jahren befunden, im Krieg bleiben wir weiterhin, bis diese Ecke der Welt namens Mexiko sein eigenes Schicksal erfüllt, ohne Fallen, ohne Verdrängungen, ohne Simulationen.

Die Macht nutzt die Gewalt als Mittel der Herrschaft, doch das tut sie auch mit der Kunst und der Kultur, dem Wissen, der Information, dem Justizsystem, der Erziehung, der institutionellen Politik und natürlich der Wirtschaft.

Jeder Kampf, jede Bewegung in ihren verschiedenen Geographien und Kalendarien muss auf verschiedene Formen des Kampfes zurückgreifen. Sie ist nicht die einzige und wohl auch nicht die beste, aber Gewalt ist eine davon.

Es ist eine schöne Geste, Gewehrläufen mit Blumen zu begegnen, der Akt ist sogar auf Fotos verewigt worden. Aber manchmal muss man die Gewehrläufe auch dazu bringen, die Richtung zu wechseln und nach oben zu zielen.


Ankläger und Angeklagte

Wir werden vieler Dinge beschuldigt, das ist wahr. Und vielleicht haben wir uns einiges davon auch wirklich zuschulden kommen lassen, aber im Augenblick möchte ich nur eine Sache herausstreichen. Wir drehen die Zeiger der Zeit nicht zu diesem Ersten Januar zurück, noch verwandeln wir ihn in ein nostalgisches Fest der Niederlage, wie es einige aus der alten Generation weltweit mit 1968 getan haben, wie es in Mexiko mit 1988 geschehen ist, und jetzt sogar mit 2006. Über diesen ungesunden Kult der gefälschten Kalender später mehr.

Wir schreiben auch nicht die Geschichte um oder benennen sie um, um darauf hinzuweisen, dass wir die einzigen oder die besten oder beides sind oder waren (so wie es diese Gruppenhysterie tut, die die lopezorbadoristische Bewegung ist, aber dazu später mehr).

Es gab und gibt einige, die uns dafür kritisieren, das wir es unterlassen haben, den Sprung zur "Realpolitik" zu machen, als unsere politischen Pfandbriefe, das heißt unsere hohen Einschaltquoten, auf dem Markt der Wahlkampfoptionen einen guten Preis für unsere Würde erbracht hätten.

Sie werfen uns konkret vor, der Verführung der Macht nicht unterlegen zu sein, was einige äußerst brillante Persönlichkeiten der Linken veranlasst hat, Dinge zu sagen und zu tun, die eine Schande für jeden wären.

Sie haben uns "extremistische Verirrung" oder Radikalismus vorgeworfen, weil wir in der VI. Erklärung das kapitalistische System als Ursache der größten Übel, die die Menschheit plagen, angegeben haben. Heute schlagen sie nicht mehr so sehr darauf herum, weil sogar die Sprecher des großen Finanzkapitals an der Wall Street das gleiche sagen.

Übrigens, jetzt, da die ganze Welt über die globale Krise redet, sollte man sich daran erinnern, dass sie bereits vor 13 Jahren von einem würdigen und wütenden Käfer vorhergesagt wurde. Don Durito de La Lacandona, erklärte in dem knappsten Vortrag, den ich in meinem kurzen Leben gehört habe, sagte "das Problem mit der Globalisierung ist, dass die Ballons [*spanisch: globos] später platzen".

Sie werfen uns vor, uns nicht auf das Überleben zu beschränken, das wir mit Opfern und mit der Unterstützung derer von unten aus allen Ecken des Planeten auf diesem indianischen Land errichtet haben, und uns nicht an das zu fesseln, was die (so genannten) klaren Denker als "das zapatistische Laboratorium" oder "die Lacandonische Kommune" bezeichnen.

Sie werfen uns vor, immer wieder auszuziehen, um die Macht zu konfrontieren und um andere zu suchen, euch, die sie ebenfalls konfrontieren, ohne falschen Zuspruch und Konformismen.

Sie werfen uns vor, überlebt zu haben.

Und damit meinen sie nicht den Widerstand, der uns 15 Jahre später erlaubt zu sagen, dass wir weiterhin kämpfen - und nicht bloß überleben.

Das, was sie stört, ist, dass wir als eine weitere Referenz des Kampfes überlebt haben, der kritischen Reflexion, der politischen Ethik.

Und sie werfen uns vor, uns nicht ergeben zu haben, uns nicht verkauft, nicht nachgegeben zu haben.

Kurzum, sie werfen uns vor, Zapatisten der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung zu sein.

Heute, 515 Jahre später, 200 Jahre später, 100 Jahre später, 25 Jahre später, 15 Jahre später, 5 Jahre später, 3 Jahre später, erklären wir: Wir sind schuldig.

Und, wie es die Art der Neozapatisten ist, gestehen wir das nicht nur, wir feiern es auch.

Wir bilden uns nicht ein, dass dies irgendeinen von denen schmerzen wird, die dort oben Progressivität simulieren oder sich als eine blassgelbe oder farblose Linke betrachten, aber es muss gesagt werden:

Die EZLN lebt. Es lebe die EZLN!

Vielen Dank,
Subcomandante Insurgente Marcos Mexiko


PS: Sieben Märchen für Niemand
Erstes Märchen: So war es.

Wir haben gehört, wie Oberstleutnant Moisés mich als eines der zapatistischen Kinder vorgestellt hat. Vielleicht um dem Kalender zu trotzen, lässt er uns unsere Jahre rückwärts zählen, und anstelle der 515 Jahre, die laut ihm auf meiner Geburtsurkunde stehen, bin ich dann fünf und gehe auf sechs zu, das heißt, ich bin sieben Jahre alt. Vielleicht hat der Zapatismus trotz allem bewiesen, dass viele Dinge, die unmöglich scheinen, mit Phantasie, Vorstellungskraft und Wagemut möglich werden.

In Verteidigung meines absurden Kalenders kann ich sagen, dass ich mit den Jungen und Mädchen die Phobie vor Spritzen und das Gefallen an Märchen und Geschichten teile.

Vor einiger Zeit habe ich mich mit einer Compañera aus der Stadt unterhalten, ich erzählte ihr von einigen Dingen, die hier passieren. Sie sagte mir, dass sie sie nicht glauben konnte. Ich sagte ihr, dass ich das verstand, und dass ich sie als Märchen erzählte, weil sie niemand glauben würde.

In unseren Bergen passieren Dinge, die euch unglaublich scheinen mögen. Also erzähle ich sie, als ob sie Märchen wären.

Denn es mag in der Tat unglaublich scheinen, dass in unseren Bergen ein Käfer wohnt, der sich einbildet, ein fahrender Ritter zu sein, dass es da ein unzufriedenes Steinchen gibt, dass dafür trainiert, eine Wolke zu sein, dass der Sup sich mit den zapatistischen Jungen und Mädchen verbündet hat, um einen Teil des Nationalen Kampfprogramms zu entwerfen, der die Produktion, den Handel und den Konsum von Spritzen untersagt, dass der Alte Antonio immer wieder mit Geschichten und Legenden auftaucht, die ihm die allerersten Götter erzählt haben, die die Welt geboren haben, dass Elías Contreras, Ermittlungskommission der EZLN, schon anders war, als er in die Stadt reiste, um gegen das und den Bösen zu kämpfen, dass ein homosexueller Sexarbeiter ihm an einem kalten Morgen in der Hauptstadt paradoxerweise das Leben rettete, weil er schon anders war, und dass er manchmal im Skater-Slang redet, dass die Toñita bereits 3 Generationen und 6 Jahre auf ihre Schultern trägt und unerlaubt in die Generalkommandantur der EZLN hineingeht, dass der Mond sich manchmal an Lieblosigkeit berauscht, dass die Jungen und Mädchen den Sup für ein Kind halten, weil er immer diesen seltsamen Schnuller, der Rauch verbreitet, bei sich hat, dass die Insurgenta Erika den Marxismus mit offen feministischen Tendenzen neugegründet hat, dass an einem Tag eine Bombe in das zapatistische Hauptquartier geworfen wurde und niemand gestorben ist, dass Schatten der Krieger von einem nachtragenden und verärgerten Mond verflucht wurde und dass er dennoch weiterhin versucht, sich zu verlieren, dass es eine Eule gibt, die statt Griechisch und Latein die Kataloge für weibliche Unterwäsche studiert, dass es ein Mädchen gibt, das Dezember heißt, und das, wie sein Name schon sagt, im November geboren wurde, dass der Moy weiß, dass der Sup, wenn er sich nicht in der Generalkommandantur befindet, hoch oben auf der Ceiba zu suchen ist.

Anstatt also über die Wahrheit solch alltäglicher Dinge in unseren Bergen zu diskutieren, komme ich, ein x-beliebiger Subcomandante, und erzähle sie euch, als ob sie Märchen wären.

Vor einigen Momenten haben wir der Compañera, die über das aufständische Griechenland gesprochen hat, ein Bild überreicht, das Beatriz Aurora, eine Compañera aus der Stadt, angefertigt hat. Das Bild zeigt diese Stadt, San Cristóbal de Las Casas, Chiapas, mit vielen Farben, und in ihnen werden all die Orte markiert, wo Menschen arbeiten, die wie wir kämpfen, wenn auch ohne Waffen oder Skimasken.

Die Bedeutung dieses Geschenks wird vielleicht durch das, was ich euch jetzt erzählen werde, besser zu verstehen sein:

Vor 15 Jahren haben unsere Truppen sieben Bezirkshauptstädte eingenommen: Las Margaritas, Ocosingo, Altamirano, San Cristóbal de las Casas, Oxchuc und Chanal. Die Regierungstruppen, die sie bewachten, haben sich damals ergeben oder wurden überrascht.

Vielleicht könnte man auch sagen, dass es die Einnahme dieser Stadt gewesen ist, in der wir uns gerade befinden, San Cristóbal de Las Casas, eine Ladino-Bastion des Rassismus, die uns auf der ganzen Welt bekannt machte. Wäre möglich.

Sicher ist, dass es die Einnahme von Ocosingo, Las Margaritas und Altamirano war, die uns die Kontrolle über das Gebiet ermöglichte und uns gestattete, das gute Ackerland zu besetzen und nach Jahrhunderten der Ausbeutung zurückzugewinnen. Diese Landbesetzung war die wirtschaftliche Grundlage für die Errichtung der zapatistischen Autonomie.

Ich habe darüber bereits vor einem Jahr gesprochen, und jene, die mehr darüber wissen möchten, werden im Internet suchen müssen oder sich irgendeine marginale Druckausgabe davon beschaffen müssen, weil es wie alles, was nicht zugunsten oder gegen die lopezobradoristische Bewegung war, nicht veröffentlicht wurde.

Da wir von Phantasie, Vorstellungskraft und Wagemut, um das Unmögliche zu ermöglichen, sprechen: Die Berichte, die ich euch im Anschluss erzählen werde, sind keine Märchen und sind nicht zapatistisch. Aber sie stehen zu dem in Bezug, was vor 15 Jahren passiert ist und die Welt, und wie gleich zu sehen sein wird, auch die Unterwelt der Indígenas erschütterte. Der erste Bericht stammt von einem regierungstreuen Tzotzil-Indígena, und der zweite von einem nicht-zapatistischen Indígena, der seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf seiner Erzeugnisse auf dem Markt dieser Stadt bestreitet. Es handelt sich um die spanische Übersetzung einer englischen Übersetzung einer spanischen Übersetzung einiger Berichte auf Tzotzil, daher werden sie einen Text von äußerst getreuer Wiedergabe und Vokabular zu hören kriegen.

Übersetzt von Jan Rus, in dem Buch von Marián Perez Tzu, "Indigene Revolten", Grosnor & Ouweneel, Cedla, Amsterdam, 1996, S.122-128. Erneut abgedruckt in "Das alte und das neue Wort. Eine Anthologie der mittelamerikanischen Literatur seit der präkolumbianischen Zeit bis zur Gegenwart". Miguel León-Portilla und Earl Shorris, mit Sylvia S. Shorris und Ascensión H. de León-Portilla. Ed Aguilar. Mexiko, Oktober 2004. S. 732-733.

Los geht's:


Anfang Januar: Vorbereitungen und Besuche.

Vor der Invasion von San Cristóbal, erzählte man sich überall, dass die Soldaten der Militärbasen, die die südliche Zufahrt zur Stadt bewachten, um ihre Stellungen herum Fallen gestellt und dass diese so gut gesetzt hätten, dass niemand sich je trauen würde, sie anzugreifen. Falls die armen Indígenas es jemals wagen würden, ihnen Schwierigkeiten zu machen, hieß es, würden die Soldaten sie gleich dort fertig machen, bevor sie auch nur den Wald verlassen könnten. Die Armeeoffiziere seien Meister in der Kunst des Tötens, hieß es, und alles, was sie den ganzen Tag zu tun hätten, ihre einzige Aufgabe, bestünde darin, den frisch rekrutierten Soldaten beizubringen, wie man tötet. Und als ob das noch nicht genug war, um eine Gruppe abgerissener Campesinos abzuschrecken, erzählte die ganze Welt, dass die Soldaten in ihrem Fort auch noch jede Menge Bomben gelagert hätten. Und zwar ganz spezielle Bomben für das Töten von Indios!

Wie die Leute sich erzählten, hatten die Soldaten einen besonderen Draht um ihre Baracken aufgespannt, der alle paar Schritte an einer Bombe festgemacht war. Wenn die verdammten Indios sich jemals trauen würden, sich zu nähern, müssten die Soldaten sich lediglich auf ihre Pritschen zurückziehen und den Draht mit irgendwas aus Metall berühren - einem Bierdeckel zum Beispiel - und alle Bomben würden explodieren. Und wenn die Indios versuchen würden, den Draht durchzuschneiden, würden die Bomben auch explodieren.

Aber da die Soldaten den Ruf hatten, niemals zu schlafen, würden die Indios sich den Bomben gar nicht erst nähern können. Die Soldaten stellten sich vor, dass niemand jemals die Bombenlinie überqueren könnte. Und was geschah nach all diesen Vorbereitungen? Am ersten Januar wachten die Soldaten auf, als die Zapatisten in San Cristóbal eintrafen. Sie hatten geschnarcht! Sie hatten die Zapatisten nicht gesehen, als sie die Kontrollposten zusammen mit den anderen Passagieren in den Autobussen zweiter Klasse passierten. Sie hatten nicht bemerkt, dass die Zapatisten im Busterminal aus den Lastwagen stiegen und bis zum Zentrum der Stadt marschierten. Sie hatten nichts gesehen! Und als die Soldaten aufwachten, hatten die Zapatisten bereits den Regierungspalast umstellt und ihre eigenen Wachen rund um die Stadt postiert! Letzten Endes war es die Armee, die aus der Stadt ausgesperrt wurde und sich in ihre Baracken flüchtete! Die Zapatisten siegten, indem sie die Soldaten ignorierten, ganz einfach! Erst am nächsten Tag, als sie in der Stadt alles erledigt hatten, haben die Zapatisten endlich die Soldaten besucht!

Die Zapatisten sind nur Indígenas, aber was die Armeeoffiziere vergessen haben ist, dass die Indios auch Menschen sind. Und da sie Menschen sind, konnten sie sich auch bewaffnen und trainieren, genau wie die Armee. Alles, was sie brauchten, war die Idee. Und als die aufkam, war ihre Planung besser als die der Armee! Sie haben alle Offiziere zum Narren gehalten, die doch Meister in der Kunst des Tötens waren! Seit diesem Tag kommt bei uns allen, einschließlich jener, die keine Feinde der Regierung sind, das Lachen auf, wie ein Kitzeln in der Kehle.

Das einzige Traurige bei all dem ist, dass obwohl die Zapatisten menschliche Wesen sind, sie seit damals bis heute versteckt leben müssen. Sie können nicht in ihren eigenen Betten schlafen noch in ihren eigenen Häuser wohnen, sondern müssen versteckt bleiben, in Höhlen im Urwald. Sogar wenn sie Kinder haben wollen, wie alle anderen Personen, müssen sie ihre Beziehungen in den Höhlen unterhalten. Wie Gürteltiere.

Ende dieser Erzählung.

Wenn wir schon von Kalendarien von oben und unten sprechen, sollten wir uns daran erinnern, dass es auch 15 Jahre her ist, seitdem der Freihandelsvertrag in Kraft getreten ist. Hier folgt also etwas über den freien Handel.


Ende Juni (Januar): Für den Freihandel

Während der ersten zwei Wochen der Belagerung von San Cristóbal, ließ sich kein Ladino-Beamter in der Öffentlichkeit sehen, auch kein Polizist, nicht einmal von der Verkehrpolizei, oder ein Marktgebühreneintreiber. Kein einziger. Sie waren alle verschwunden! Sie waren so vor den Zapatisten erschrocken, dass sie sich alle versteckten. Aber sobald sie sicher waren, dass die zapatistische Armee sich zurückgezogen hatte und nicht zurückkehren würde, ha! da tauchten sie alle sofort wieder auf, die Verkehrspolizisten, schraubten Autokennzeichen ab, die Bezirkspolizisten pöbelten besoffen herum, und die Marktgebühreneintreiber scheuchten die armen Frauen auf, die versuchten, ihre Tomaten und Limonen in Straßenecken zu verkaufen. Als die Zapatisten weggingen, hörten sie plötzlich auf, Angst zu haben. Aber solange die Zapatisten noch da waren, haben sie sich nicht aus ihren Häusern getraut, hatten ihre Vorhänge zugezogen und zitterten vor Angst. Sie konnten sich noch nicht mal zu ihren Frauen legen, so eine Angst hatten sie.

Versteht ihr, was das bedeutet? Sie hatten vor den Indios Angst - denn die Zapatisten sind Indígenas. Als wir anderen Indígenas das merkten, fühlten wir uns sofort viel stärker. So stark wie die Zapatisten. Die Mestizen von San Cristóbal haben uns immer verachtet, nur weil wir nicht richtig Spanisch sprechen. Aber jetzt hatte alles begonnen, sich zu ändern.

Ein Beispiel dafür ist, dass sich Mitte Januar, als die Beamten sich noch versteckt hielten, die indigenen Holzkohleverkäufer versammelten und die Zapatistische Organisation der Holzkohleverkäufer gründeten. Danach sind sie ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu bitten, von dem Brachfeld, wo sie früher gezwungen waren, ihre Waren zu verkaufen, auf eine Strasse seitlich des Hauptmarktes gezogen.

Es ist nun mal so, dass Holzkohle wirklich schmutzig ist. Ringsherum wird alles von einem schwarzen Pulver bedeckt, deshalb haben die Marktplatzaufseher sie immer weit weg von der Marktsektion gehalten, wo die "anständigen Leute" und die Touristen verkehrten. Da jedoch niemand da war, um sie aufzuhalten, konnten die Holzkohleverkäufer sich nahe zu allen anderen hinstellen. Aber es gab auch viele andere Indígenas, die immer an den Rand des Marktes verwiesen wurden. Als diese Leute sahen, dass die Holzkohleverkäufer ihre Lage gewechselt hatten, ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten, fingen sie an, sich zu fragen, ob sie ihre Stellung nicht auch wechseln könnten. Plötzlich standen da, wo früher die reichen Leute ihre Autos geparkt hatten, zweihundert Personen in ordentlichen Reihen, die Gemüse, und Obst und Holzkohle verkauften. Am ersten Tag, als sie sich dort alle versammelten, hielt ihnen der Anführer der Holzkohlenverkäufer eine Rede. "Brüder und Schwestern!", rief er, "habt keine Angst! Viele von uns verkaufen jetzt hier, auf dieser Strasse. Wir stellen es allen frei, die früher immer gezwungen waren, außerhalb des Marktplatzes zu verkaufen, hierher mit uns ins Zentrum zu kommen. Wir stellen es ihnen frei zu kommen und hier in diesen Reihen, die wir hier angelegt haben, einen Platz zu beanspruchen, und dann werden wir schon sehen, ob die Beamten es wagen, etwas dagegen zu sagen! Allen, die sich uns anschließen, sei nur eine Sache gesagt: Ich will niemanden hören, der davon redet, Angst zu haben. Wenn wir vereint und standhaft bleiben, haben wir nichts zu befürchten!" Alle indigenen Verkäufer sprangen auf. "Wir sind mit euch dabei!", antworteten sie mit Freude.

Und so kamen jeden Morgen all diese Leute, stellten sich in sauberen Reihen auf und breiteten ihre Waren am Boden aus.

Aber schließlich kam der Tag, an dem der Marktplatzverwalter zurückkehrte. Da er der Chef des Marktplatzes und von allen Straßen rundherum ist, baute er sich vor dem ersten Holzkohleverkäufer auf, den er zu sehen kriegte, und verlangte zu wissen: "Wer hat dich dazu autorisiert, hier zu verkaufen?" "Wir müssen niemanden um Erlaubnis fragen. Wir gehören jetzt zu einer Organisation". "Welche verdammte Organisation? Räumt diese ganze Scheiße hier auf und schert euch zum Teufel, raus hier, verzieht euch, bevor ich die Geduld verliere!", schrie der Marktplatzverwalter, "Ich will von euch Arschlöchern kein Wort mehr hören! Wirst du wohl gehorchen, du Hurensohn?"

Mutter Gottes! Jetzt wurde er richtig wütend. "Nein, wir werden nicht von hier weggehen. Wir sind arm und bescheiden und müssen verkaufen, um essen zu können", antwortete der Indio stur. Da endlich sprach der Anführer der Holzkohlenverkäufer. "Du siehst jetzt sehr mutig aus", sagte er zum Verwalter mit einer milden Stimme, "aber als die Zapatisten hier waren, hast du gar nichts gesagt, weil du dich hinter den Röcken deiner Frau versteckt hast. Du hast erst jetzt wieder den Mumm, irgendwas zu sagen". Dann sagte er, "Wer ist jetzt das Arschloch? Es wäre vielleicht besser für dich, die Klappe zu halten, denn wenn du nicht verschwindest, werden wir dafür sorgen, dass der Befehlshaber der Zapatisten deinen Namen kennt, und wir werden ihm erzählen was du für eine Klasse Mensch bist. Heute kannst du gewinnen, aber du solltest vielleicht daran denken, dass dich das die Zukunft kosten könnte".

Junge, Junge! Nie zuvor hatte ein Indio den Verwalter auf diese Weise angesprochen! Er fing an zu zittern, vor Angst oder vor Wut, und dann drehte er sich um und verschwand, ohne auch nur ein Wort zu sagen und nahm all seine Gebühreneintreiber mit sich.

Und dabei blieb es dann bis Anfang März. Dank der Zapatisten lernen die Indígenas, für sich selbst zu kämpfen...

Tan-tan.

Vielen Dank und bis Morgen,
Subcomandante Insurgente Marcos



Der Dritte Wind:
Eine würdige und wütende Farbe der Erde


Guten Abend.
Wir werden versuchen, uns kurz zu fassen, weil der Tag schon lange genug war und weil Lupita und Toñita euch hinterher noch ein paar Geschichten vorlesen werden, die sie ganz speziell für euch vorbereitet haben. Also los:


Von Spezialisten und Spezialgebieten

Irgendein ernsthafter Historiker wird sicher den Moment nennen können, an dem in der menschlichen Gesellschaft zum ersten Mal Spezialisten und Spezialgebiete aufgetaucht sind. Und vielleicht wird er uns erklären können, was zuerst da war: das Spezialgebiet oder der Spezialist.
Wenn wir nämlich in die Welt hinaustreten, um sie ins Erstaunen zu versetzen, haben wir Zapatisten oft gesehen, wie jemand seine Ignoranz oder Kurzsichtigkeit zum Spezialgebiet und sich selbst zum Spezialisten erklärt. Und dann wird er gelobt und respektiert und gut bezahlt und hoch geehrt.
Wir können das nicht so recht verstehen, denn für uns ist jemand, dessen Wissen beschränkt ist, jemand, der noch viel zu lernen hat. Aber in der akademischen Welt gibt es umso höhere Forschungsgelder, je weniger man weiß.
Der Alte Antonio, als er uns eines Morgens beim Abstieg aus den Bergen über den Weg lief, lachte, als ich ihm das erzählte, und sagte, wenn das stimmen würde, dann wären die allerersten Götter, die die Welt geboren haben, Spezialisten für Spezialgebiete.

Es ist schlussendlich bekannt, dass unsere eigenen Unzulänglichkeiten angesichts des intellektuellen Schaffens enzyklopädisch sind, daher möchten wir jetzt ganz kurz auf eine ganz speziellen Spezies von Spezialisten eingehen: die professionellen Politiker.
In einem der nächsten Programmpunkte dieses Festivals, ich glaube morgen, werden wir Gelegenheit haben, durch die Stimme des Aufständischen Oberstleutnants Moisés einiges über die internen politischen Aufgaben in den zapatistischen Gemeinden zu hören.
Eine dieser politischen Aufgaben, aber nicht die einzige, ist die Regierungsarbeit. Es gibt zum Beispiel auch noch die politische Arbeit der zapatistischen Frauen, von der uns schon Comandanta Hortensia und viele andere erzählt haben.

Diese Arbeiten sind nicht nur unbezahlt, sondern sie werden auch gar nicht als Spezialgebiet betrachtet. Das heißt, jemand, der an einem Tag Präsident eines Autonomen Bezirkes ist, stand am Tag zuvor auf dem Acker oder dem Kaffeefeld, um zu säen oder zu ernten. Viele unserer zapatistischen Regierenden sind noch nicht einmal zur Schule gegangen oder können kein Spanisch sprechen, dass heißt, sie sind für gar nichts Spezialisten, schon gar nicht für Politik.
Und trotz alldem haben unsere autonomen Bezirke mehr Fortschritte in der Gesundheitsversorgung, Schulbildung, Wohnen und Ernährung erzielt, als die offiziellen Bezirke, die von professionellen Politikern regiert werden, das heißt von Spezialisten für Politik.
Aber wartet die Ansprachen meiner Compañeros ab, um uns besser zu verstehen. Für den Augenblick möchte ich auf einige unserer Unzulänglichkeiten eingehen, wenn es darum geht, die politische Arbeit von oben zu verstehen, ganz besonders in Mexiko.

Zum Beispiel verstehen wir nicht, wie entschieden, akzeptiert und gesetzlich wurde, dass ein Abgeordneter mehr verdient als ein Maurer. Denn ein Maurer tut ja etwas, er arbeitet, er baut Häuser, Mauern, Gebäude. Und er weiß, wie man Mörtel herstellt, wie Ziegelsteine oder Blöcke angepasst werden.
Nehmen wir zum Beispiel dieses Auditorium, in dem wir uns befinden. Hier passen mehr Leute rein als in das Stadttheater von San Cristóbal de Las Casas, und wie mir erzählt wurde, ist es vom ersten Entwurf hin bis zu seiner Fertigstellung von indigenen Händen errichtet worden. Der Boden, die Abstufungen, die Wände, Türen und Fenster, das Dach, die Wasserleitungen und die elektrische Installation, das alles wurde von Nicht-Spezialisten ausgeführt, von Indígenas dazu noch, die Compañeros der Anderen Kampagne sind.
Gut, um auf den Maurer zurückzukommen, er arbeitet. Aber der Abgeordnete... der Abgeordnete... also, ich habe keine Ahnung, ob uns irgendwer sagen kann, was ein Abgeordneter nun tut... oder ein Senator... oder ein Staatssekretär.

Vor kurzem haben wir einen Staatssekretär sagen hören, dass die Wirtschaftskrise, die sich schon seit Jahren angebahnt hat, nicht mehr sei als eine vorübergehende Erkältung.
Ah, dachten wir, ein Staatssekretär ist also so was wie ein Doktor, der eine Krankheit diagnostiziert. Aber dann dachten wir weiter, warum sollte jemand, der auch nur ein wenig Verstand hat, einen Doktor bezahlen, der ihm sagt, er habe eine Erkältung, während er eigentlich eine Lungenentzündung hat, und der ihm warmen Zitronentee verschreibt, der überhaupt nichts bringt. Aber der fragliche Staatssekretär scheint ganz gut zu verdienen, und es gibt ein Gesetz, das bestimmt, dass er viel Geld verdienen muss.

Irgendwer wird sagen, dass die Abgeordneten und Senatoren Gesetze verabschieden und dass die Staatssekretäre Pläne entwerfen, damit diese Gesetze erfüllt werden. Das mag stimmen. Wie viel hat es die Nation gekostet, als zum Beispiel die indigene Gegenreform verabschiedet wurde, die die Vereinbarungen von San Andrés überging?
Vor einigen Monaten, als er über die Abstimmung zugunsten eines absurden und ungerechten Gesetzes (wie die meisten Gesetze in Mexiko) befragt wurde, verteidigte sich ein Gesetzgeber der PRD damit . dass er es vorher nicht gelesen habe!

Und als die Erdöldebatte im neuralgischen Zentrum des Landes losging (das heißt, in den Medien): Sagte die Calderón-Regierung da nicht, dass die Bevölkerung darüber nicht konsultiert werden durfte, weil nur die Spezialisten etwas davon verstehen? Und hat die so genannte Bewegung zur Verteidigung des Erdöls dem nicht zugestimmt, indem sie eine Gruppe Spezialisten damit beauftragten, ihren Vorschlag zu entwerfen?

Das Spezialgebiet ist unserer Meinung nach eine Form von Privatbesitz des Wissens.
Jemand, der etwas weiß, hortet und verkompliziert es, bis er es wie etwas Außergewöhnliches und Unmögliches erscheinen lässt, etwas, zu dem nur wenige Zugang haben, er weigert sich zu teilen.
Sie sind wie Hexenmeister des Wissens, wie die alten Priester, die sich darauf spezialisierten, mit den Göttern zu sprechen. Und sie schaffen es, dass alle tun, was sie sagen.
Und dies findet in der modernen Gesellschaft statt, die den Indígenas sagt, dass sie die rückständigen, ungebildeten und unzivilisierten wären.
Auf unserer langen Reise durch das untere Mexiko hatten wir Gelegenheit, andere indigene Völker dieses Kontinents direkt kennen zu lernen. Von den Mayas der Halbinsel von Yucatán bis zu den Kumiai in Baja California, von den Purépechas, Nahuas und Wixaritari der Pazifikküste bis zu den Kikapus in Cuahuila.

Ein Teil dessen, was wir gesehen haben, wird besser von unseren Compañeros vom Nationalen Indigenen Kongress, Carlos González und Juan Chávez, erklärt werden, wenn sie sich an diesem Tisch zu uns gesellen. Ich möchte lediglich einige Überlegungen über das Wissen und die indigenen Völker anstellen.

- In den Versammlungen, die dem Kontinentalen Treffen der Indigenen Völker von Amerika vorangingen, haben die verschiedenen Kulturen der indigenen Häuptlinge, die dort aufeinander trafen, weder um Vorherrschaft noch um Hierarchie gestritten. Ohne scheinbare Schwierigkeit haben sie ihre Verschiedenheit anerkannt und es wurde eine Art Abmachung oder Vereinbarung festgelegt, innerhalb derer sie sich gegenseitig respektierten.
Wenn hingegen in den modernen Gesellschaften zwei verschiedene Weltauffassungen, also zwei Kulturen aufeinander treffen, erhebt sich sofort die Frage, welche von ihnen der anderen überlegen ist, eine Frage, die nicht selten mit Gewalt gelöst wird.
Aber es heißt, dass wir indigene Völker, die Wilden sind.

- Wenn die Welt der Ladinos oder Mestizen auf die indigene Welt auf dem Gebiet der letzteren zusammentrifft, macht sich in erster Linie das bemerkbar, was die Zapatisten als "Predigersyndrom" bezeichnen. Ich weiß nicht, ob es sich um eine Erbschaft von den ersten Konquistadoren und spanischen Missionaren handelt, aber der Mestize oder Ladino neigt dazu, spontan die Position eines Lehrers und Helfers einzunehmen. Aufgrund einer seltsamen Logik, die wir nicht nachvollziehen können, wird es als selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Ladino- oder Mestizenkultur der indigenen Kultur durch den Umfang und die Tiefe ihres Wissens und ihrer Kenntnisse überlegen ist. Wenn hingegen dieser zwischenkulturelle Kontakt auf urbanem Gebiet erfolgt, nimmt der Ladino oder Mestize dem Indígena gegenüber eine verteidigende und argwöhnische Position ein oder zeigt Verachtung und Abneigung. Der Indígena gilt als der Rückständige oder als die Kuriosität.

Wenn hingegen der Indígena auf eine andere Kultur außerhalb seines Gebietes stößt oder sie trifft, neigt er dazu, spontan zu versuchen, sie zu verstehen, ohne eine Beziehung des Überlegenen/Unterlegenen festzulegen. Und wenn dies auf seinem eigenen Gebiet stattfindet, nimmt der Indígena die Position einer argwöhnischen Neugier und einer wachsamen Verteidigung seiner Unabhängigkeit an.

"Ich komme um zu sehen, wie ich helfen kann", pflegt der Mestize zu sagen, wenn er in eine indigene Gemeinde kommt. Und dann mag er überrascht sein, wenn - anstatt ihn zu bitten Anweisungen zu erteilen, zu leiten oder zu befehlen - er losgeschickt wird, um Holz zu holen oder Wasser zu tragen oder die Weide sauberzumachen. Und manchmal antwortet man ihm auch: "Und wer hat gesagt, dass wir deine Hilfe brauchen?"
Vielleicht gibt es Fälle, aber bis heute haben wir nichts davon gehört, dass jemand mal zu einer indigenen Gemeinde gegangen ist und gesagt hat: "Ich komme, damit ihr mir helft".

- Nicht selten haben wir unter den Kollektiven, die die indigenen Gemeinden unterstützen, eine Art eifersüchtiges Hüten ihre Kenntnisse vorgefunden, eine ständige Bestätigung dessen, dass ihr Wissen ihnen gehört, ihr Privateigentum ist.
Die autonomen Autoritäten wissen, wie wenig die Gruppen, die Technik und Technologie bedienen, geneigt sind, anderen ihr Wissen zu zeigen, das heißt, ihr Wissen zu teilen. Zum Beispiel das Internet. Jedesmal, wenn die Geräte in den Caracoles dekonfiguriert werden, muss man erst warten, um jemanden zu kontaktieren, der sich damit auskennt, warten, dass er ankommt. Und wenn er gebeten wird, jemandem zu zeigen, was er tut, um nicht mehr von ihm abhängig zu sein, heißt es, er habe keine Zeit oder dass so was für "Spezialisten" sei. Und von den Anlagen der Gemeinderadios will ich gar nicht erst reden.

Manchmal geschieht auch etwas anderes.

Es gibt da eine Anekdote, die mir die Compañeros Kommandanten der Tojolabal-Zone oder "Selva-Grenzzone" erzählt haben: "Einmal kam mit all den Freiwilligen, die in die zapatistischen Gemeinden gekommen waren, um zu helfen, ein landwirtschaftlicher Ingenieur an, um Kurse für die Verbesserung des Kaffeeanbaus zu erteilen. Nach seiner Ansprache begab sich der Ingenieur mit den Compas auf ein Kaffeefeld, um ihnen zu demonstrieren, wie man ein Kaffeestrauch beschneidet. Der Ingenieur bat um Raum, jetzt aber mal "alle hinter die Linie treten, damit ich arbeiten kann", holte seine ganze wissenschaftliche Ausrüstung heraus und fing an, Messungen vorzunehmen, um den exakten Winkel für den Schnitt des Kaffeestrauches zu bestimmen. Nach vielen komplizierten Kalkulationen hatte er den Winkel des Schnitts bestimmt, und der Ingenieur holte eine hübsche kleine Säge heraus und fing an, mit großer Sorgfalt herumzusägen.
Er brauchte so lange, so haben sie mir erzählt, bis die Compas, der vermeintlich angeborenen indigenen Geduld zum Trotz, ihn beiseite nahmen und fragten: "Also, wo genau wollen sie den Schnitt denn haben?". "Hier", antwortete der glänzende landwirtschaftliche Ingenieur, und deutete mit seinem Finger auf die Stelle. Der Compa zog seine Machete Marke Acapulco Collins mit Doppelblatt heraus und zack!, brachte einen tadellosen Schnitt am Strauch an. "Jetzt messen Sie doch mal", bat der Compa fast fordernd. Der landwirtschaftliche Ingenieur, mit einem Spezialgebiet auf der Universität, holte sein Winkelmesser heraus. Er maß immer wieder nach, und jedes Mal kratzte er sich verblüfft am Kopf. "Was ist denn?" fragten sie ihn. "Na ja", antwortete er verlegen "das ist exakt der richtige Schnitt, an der richtigen Stelle, im richtigen Winkel". "Und da schau an, Sup, dann fing der Ingenieur an uns immer mehr Sachen zu fragen, und schrieb und schrieb und füllte unzählige Blätter in seinem Notizblock, den er bei sich trug".
Eine Ermahnung also an alle, die Wissen und Kenntnisse für sich behalten und Compañeros und Compañeras sind: Sagt Nein zum Privatbesitz des Wissens, sagt ja zur Piraterie unter Compañeros, die wir sind.

Andere Punkte:
- Bei beiden, Indígenas und Stadtbewohnern von unten und links, finden wir einen menschlichen Anstand, der denen von oben völlig abgeht. Beide geben, wenn jemand in Not ist, das beste das sie haben. Die von oben geben nichts, oder wenn doch, dann nur das, was sie übrig haben.
Der Gemeinschaftssinn, der in den indigenen Gemeinden spürbar ist, gehört nicht mehr ausschließlich ihnen. Er tritt auch in anderen Sektoren von unten zutage und ist am meisten in jenen ausgeprägt, die kämpfen und Widerstand leisten.

- Der brutale und zügellose Vormarsch des neoliberalen Krieges der Landeroberung, bewerkstelligt etwas, von dem ich nicht weiß, ob es in den Plänen der großen internationalen Finanzzentren steht: Verschiedene Arten von Wut werden einander gleichgestellt, in der Tiefe, im Ausmaß, in der gemeinsamen Geschichte.

- Diese Gleichstellung der Gefühle in dem, was El Ruso einmal "den Bauch" nannte, geht nicht immer mit einer Gleichstellung des Wissens und der Kenntnisse einher. Es mag schon Fälle geben, aber glaubt mir, ich habe unter indigenen Völkern nirgendwo diesen Geiz mit dem eigenen Wissen vorgefunden.
Idealisieren wir uns jedoch nicht als indigene Völker. Wir sind nicht perfekt, und natürlich wollen wir nicht, dass alle zu Indígenas werden. Wir haben sowohl Kenntnisse als auch Unzulänglichkeiten. Ich glaube, dass wir die ersteren teilen können, um die letzteren zu beseitigen, ohne dass einem von euch die Gelegenheit entgeht, reich zu werden, weil einer von uns euch das Patent für euer Wissen vor der Nase wegschnappt.

Und jetzt, wie versprochen, werden wir von Lupita und Toñita einige Geschichten hören, und danach werde ich eine weitere erzählen. Zuerst kommt Lupita, dann ist Toñita an der Reihe.

Vielen Dank,
Subcomandante Insurgente Marcos


PS: Sieben Geschichten für Niemanden
Dritte Geschichte: Die Pädagogik der Machete

Eines Tages, um der Abwechslung willen, schlich sich Toñita unerlaubt in die Generalkommandantur der EZLN ein, eine angeblich uneinnehmbare Festung (die in Wirklichkeit eine kleine Holzhütte ist).
Ich war gerade dabei, zu überlegen welche Themen sich für diese vermeintlich runden Tische des Festivals der Würdigen Wut am besten eignen würden, als ich merkte, dass Toñita bereits neben mir stand und zu mir sagte: "Hey, Sup, das bringt aber nicht viel, was du da machst", während sie auf das Foto einer leicht bekleideten Angelina Jolie in Lebensgröße zeigte.
"Was bringt nicht viel?", fragte ich sie, während ich die Anti-Toñita Barrieren überprüfte, die ich angebracht hatte, um eben das zu vermeiden, was gerade eingetreten war.
"Na, das was du da machst, natürlich", sagte die Toñita, und fügte hinzu: "Wozu hast du denn die nackte Dame bei dir?"
Ich zündete meine Pfeife an und antwortete ihr: "Erstens mal ist sie nicht nackt, so sehr ich das auch wünschte. Und zweitens, habe ich sie nicht bei mir, so sehr ich das auch wünschte".
Die Toñita blieb, wie es ihre Art war, in der Rolle, weil sie mich fragte: "Und drittens?"
"Was, drittens?" fragte ich sie.
"Na, wenn es ein Erstens und ein Zweitens gibt, dann gibt es auch ein Drittens. Ich bin in der Schule Dritte geworden." Die Toñita ließ dabei das kleine Detail aus, dass diese Klasse nur 3 Schüler hatte.
Da ich mich auf keine Polemik einlassen wollte, schlug ich ihr vor, ihr eine Geschichte zu erzählen, wenn sie dann weggehen würde, um sie den anderen zu erzählen.
"Abgemacht", sagte Toñita und setzte sich auf den Boden.
Ich räusperte mich und fing an mit: "Es war einmal."
Toñita fiel mir ins Wort: "Gibt's dabei auch Popcorn?"
"Wie, Popcorn?" fragte ich ratlos.
"Na, Popcorn eben, wie im Kino", sagte die Toñita.
"Nein", sagte ich ihr, "das ist eine Geschichte, kein Film, und es gibt hier kein Popcorn".
"Schön" sagte die Toñita.
Ich fuhr fort: "Es gab einmal einen Subcomandante, der seeeeeehr böse war und auf kleine Mädchen, die sich unerlaubt in die Kommandantur schlichen, sehr sauer wurde".
Die Toñita wurde aufmerksam. Ich ergriff die Gelegenheit, um der Geschichte eine pädagogische Wendung zu geben, mit einem Stil und einer Methode, die Paulo Freire und Antón Makarenko weit in den Schatten stellte.
"Einmal, als sich ein kleines Mädchen unerlaubt in die Kommandantur eingeschlichen hatte, zog der Subcomandante seine Machete und zack! schlug er dem Mädchen den Kopf ab".
Die Toñita riss erschrocken die Augen auf.
Als ich bemerkte, dass das wesentliche erzieherische Konzept angekommen war, entschied ich mich, die Geschichte mit dieser Marconianischen pädagogischen Technik zu verstärken, die mir in den psychologischen Kolloquien einen so guten Ruf eingebracht hatte, mit all den Freuds, Froms, Lurias und allen anderen.
"Die Machete war jedoch nicht scharf genug, um mehr zu tun als nur zu schneiden. Aber sie war sehr rostig, um die Wunde zu infizieren".
Toñita hoffte entsetzt auf ein Happy End.
"Und dann?"
"Und dann was?"
"Na, wie geht die Geschichte dann weiter?"
"Ah, nun, also das kleine Mädchen musste dann viele Injektionen bekommen, um sich nicht zu infizieren".
Und fertig.
"Fertig? Äh, Sup, deine Geschichten sind auf einmal zu gar nichts gut".
"Klar sind die zu was gut", sagte ich ihr, während ich sie aus der Hütte scheuchte.
"Die nackte Dame bringt dir gar nichts, wenn's kein Popcorn gibt", sagte Toñita während sie den Rückzug antrat.

Die Angelegenheit endete da noch nicht. Sie endete erst nach meinem Treffen mit den Compañeros vom Komitee. Auf dem Rückweg, als ich meinen Rucksack vorbereitete, um in die Kaserne zu ziehen, merkte ich, dass meine Machete fehlte.
"Toña", dachte ich und schickte jemanden aus, um sie zu rufen.
"Hey, Toñita, ich kann meine Machete nicht finden, hast du sie nicht irgendwo gesehen?"
"Nein, aber ich werde dir eine Geschichte erzählen", antwortete Toñita.
"Es gab einmal ein sehr hübsches Mädchen, so wie ich, und sie hieß Toñita, so wie ich. Und es gab da auch einen seeeehr bösen Subcomandante, der ihr mit der Machete den Kopf abschlagen wollte."
"Und wieso wollte er ihr den Kopf abschlagen?" unterbrach ich sie in einem nutzlosen Versuch, die Kontrolle über die Lage zurück zu gewinnen.
"Weißt du", antwortete die Toñita, "das war ihm wohl so eingefallen. Also schlich sich das Mädchen heimlich in das Häuschen dieses Subcomandante. Und dann schnappte sie sich die Machete des Subcomandante und warf sie in die Latrine. Und fertig."
Beim "und fertig" befand sich die Toñita schon weit außerhalb meiner Reichweite.
Ich glaube also zu wissen, wo meine Machete ist. Fehlt nur noch, sie zurück zu bekommen. Bietet sich jemand als Freiwilliger oder Freiwillige an?

Und fertig.
Subcomandante Insurgente Marcos



Der Vierte Wind - Eine würdige organisierte Wut

Guten Abend,
Bei uns sitzt Don Luis Villoro. Wenn ich vorstellen darf, Compañero Luis Villoro.
Seine Nähe zu den indigenen Völkern dieses Dorfes reicht nicht nur bis 1994 zurück, sondern geht dem in vielen Kalendern lange voraus.
In unserem Fall, für die Zapatisten, ist seine Hilfe lebenswichtig gewesen. Um es ganz schlicht zu sagen, mehr als nur einer oder eine in den indigenen Gemeinden ist heute am Leben und kämpft dank der Hilfe dieses Mannes. Und niemals, kein einziges Mal, hat er angedeutet, für seine Hilfe irgendetwas zurückzuerwarten, so wie es andere getan haben.
In ihm haben wir ein großzügiges Ohr gefunden, und seitdem wir in die Öffentlichkeit getreten sind, hat er stets versucht, uns zu verstehen, und seine Gedanken haben nicht selten den Antrieb für unsere Schritte geliefert. Ihr könnt es euch nicht vorstellen, wie schwierig es gewesen ist, in diesen 15 Jahren jemanden zu finden, der versuchte, uns zu verstehen anstatt uns zu richten.
Mit ihm wie auch mit anderen hatten und haben wir unsere Differenzen, und unsere Diskussionen sind oft scharf ausgefallen, wie bezüglich der Studentenbewegung der UNAM vor 10 Jahren, die uns Zapatisten ins Staunen versetzte und lehrte.
Trotz all diesen Differenzen hat es in unserem Herzen nie auch nur den leisesten Zweifel an seinen Überzeugungen und an seinem Engagement für unten und links gegeben.
Jemanden, der anders denkt als wir, als "rechts" zu katalogisieren, so wie ein plumpes und schäbiges Plakat das gestern verkündete, ist Zeichen einer wachsenden Tendenz einiger, die paradoxerweise von sich behaupten, den Liberatismus zu verfechten. Ich mag vielleicht nicht allzu viel davon verstehen, aber soweit ich weiß, befreit der libertäre Anarchismus einen nicht davor, etwas zu kennen. Und man muss etwas kennen, bevor man es richtet und verurteilt.
Es ist eine Ehre, Don Luis, Sie hier an unserer Seite zu haben, so wie die letzten 15 Jahre.
Die Welt, von der wir träumen, wird nicht von einer einhelligen Denkweise beherrscht, auch wenn sie unsere zapatistische sein mag, noch von der aufgezwungenen Hegemonie, die dies mit sich bringt.
Wir grüßen Sie, Don Luis. Wir wollten Ihnen lediglich sagen, dass Sie seit langen Kalendern einen Platz in dem braunen Herz haben, das uns beflügelt.
Nach der Rede von Moy, dem Aufständischen Oberstleutnants Moisés, war vorgesehen, dass ich Ihnen eine Geschichte erzähle. Das folgt später, jetzt möchten wir Ihnen etwas anderes sagen. Los geht's:


Vom Säen und Ernten

Das was ich sagen werde, gehört vielleicht nicht zum zentralen Thema dieses Tisches, oder vielleicht auch doch.
Vor zwei Tagen, am gleichen Tag, an dem wir auf die Gewalt zu sprechen kamen, erklärte die unsägliche Condoleezza Rice, Staatsbeamtin der nordamerikanischen Regierung, dass die Vorgänge im Gazastreifen die eigene Schuld der Palästinenser sei, aufgrund ihrer gewaltbereiten Natur.
Die unterirdischen Flüsse, die die Welt durchziehen, können vielleicht die Geografie wechseln, aber sie spielen das gleiche Lied.
Und das Lied, das wir jetzt hören, spricht von Krieg und Schmerz.
Nicht sehr weit von hier, an einem Ort, der Gaza genannt wird, in Palästina, Mittlerer Osten, hier seitlich, setzt eine stark bewaffnete und ausgebildete Armee, die der Regierung von Israel, ihren Vormarsch des Todes und der Zerstörung fort.
Die Schritte, die bis jetzt erfolgten, sind die eines klassischen militärischen Eroberungskrieges: Zuerst eine intensive und massive Bombardierung, um die "neuralgischen" Militärpunkte (so steht es in den Kriegshandbüchern) zu zerstören und die befestigten Widerstandsstellungen "weich zu klopfen"; daraufhin die eiserne Informationskontrolle: Alles, was "in der Außenwelt" zu hören und zu sehen ist, das heißt, außerhalb des Einsatzgebietes, muss nach militärischen Kriterien selektiert werden; nun intensives Artilleriefeuer über die feindliche Infanterie, um das Vorrücken der Truppen auf neue Positionen zu schützen, danach wird die Umzingelung und Belagerung folgen, um die feindliche Garnison zu schwächen; dann der Sturmangriff, mit dem die vernichtete Feindesstellung eingenommen wird, danach, das "Säubern" möglicher "Nester des Widerstands".
Das militärische Handbuch für moderne Kriegsführung ist mit einigen Variationen und Zusätzen von den militärischen Invasionstruppen Schritt für Schritt befolgt worden.
Wir wissen nicht viel darüber, und es gibt sicher "Spezialisten" für den so genannten "Konflikt im Mittleren Osten", aber aus dieser Ecke hier haben wir etwas zu sagen:
Wie auf den Fotos der Nachrichtenagenturen zu sehen ist, sind die "neuralgischen" Punkte, die von der israelischen Luftwaffe zerstört wurden, Häuser, Wohnungen, Hütten, zivile Gebäude. Wir haben unter der Zerstörung keinen einzigen Bunker, Kaserne, militärischen Flughafen oder Luftgeschütze gesehen. Daher denken wir, wir entschuldigen uns für unsere Unkenntnis, dass entweder die Zielgenauigkeit der Schützen in den Flugzeugen sehr schlecht ist, oder dass es im Gazastreifen keine militärischen "neuralgischen" Punkte gibt.
Wir haben nicht die Ehre, Palästina zu kennen, aber wir nehmen an, dass in diesen Häusern, Hütten und Gebäuden Menschen wohnen, Männer, Frauen, Kinder und Alte, und keine Soldaten.
Wir haben auch keine befestigten Widerstandsstellungen gesehen, nur Trümmer.
Was wir schon gesehen haben, ist die bisher vergebliche Informationssperre und die verschiedenen Regierungen der Welt, die nicht sicher sind, ob sie den Kopf ins Wasser stecken oder der Invasion applaudieren sollen, sowie eine seit langem nutzlose UN, die halbherzige Pressebulletins veröffentlicht.
Aber warten Sie mal. Uns ist eingefallen, dass für die israelische Regierung diese Männer, Frauen, Kinder und Alte vielleicht feindliche Soldaten sind, und die Hütten, Häuser und Gebäude, in denen sie wohnen, Kasernen, die zerstört werden müssen.
Dann war das Artilleriefeuer, das heute Morgen über den Gazastreifen gefallen ist, sicher dazu da, um den Vormarsch der israelischen Armee vor diesen Männern, Frauen, Kindern und Alten zu schützen.
Und die feindliche Garnison, die sie mit der Belagerung schwächen wollen, die rund um Gaza aufrechterhalten wird, ist nichts anderes als die palästinensische Bevölkerung selbst, die dort lebt. Und dass der Zweck dieses Angriffes darin besteht, diese Bevölkerung zu vernichten. Und dass jeder Mann, jede Frau, jedes Kind und jeder Alte, die es schaffen werden, dem voraussichtlich blutigen Sturmangriff zu entkommen und sich zu verstecken, danach "gejagt" werden, damit die Säuberung vollständig ist und der militärische Befehlshaber der Operation seinen Vorgesetzten "Mission erfüllt" melden kann.
Entschuldigt noch einmal unsere Unwissenheit, vielleicht gehört das, was wir sagen, wirklich nicht hierher. Und anstatt dieses stattfindende Verbrechen zurückzuweisen und zu verurteilen, als Indígenas und Krieger, die wir sind, sollten wir vielleicht vielmehr über "Zionismus" oder "Antisemitismus" diskutieren und dazu Stellung beziehen, oder dass die Bomben der Hamas zuerst geflogen sind.
Vielleicht denken wir ja sehr einfach und haben nicht die nötigen Nuancierungen und Randbemerkungen, die in Analysen verwendet werden, aber für uns Zapatisten wird im Gazastreifen eine schutzlose Bevölkerung von einer professionellen Armee ermordet.
Wer, der unten und links ist, kann angesichts dessen schweigen?
Hilft es, irgendetwas zu sagen? Können unsere Rufe auch nur eine Bombe aufhalten? Kann unser Wort das Leben irgendeines palästinensischen Kindes retten?
Wir denken, dass es schon hilft, dass wir vielleicht weder eine Bombe aufhalten noch unser Wort in einen Schutzschild verwandeln können, um zu verhindern, dass ein Geschoss Kaliber 5.56 mm oder 9 mm, das die Initialen "IMI - Israelische Militärindustrie" auf der Patronenhülse eingraviert trägt, die Brust eines kleinen Mädchens oder Jungen erreicht. Aber dass vielleicht unser Wort sich mit anderen in Mexiko und auf der Welt vereinen kann, und so vielleicht erst zu einem Murmeln, dann zu einer lauten Stimme, und dann zu einem Aufschrei werden kann, der im Gazastreifen gehört wird.
Ihr wisst es zwar nicht, aber wir, die Zapatisten der EZLN, wissen, wie viel es bedeutet, inmitten von Tod und Zerstörung ein Wort des Trostes zu hören.
Ich weiß nicht, wie ich es euch erklären kann, aber es ist wirklich so, dass Worte aus der Ferne vielleicht keine Bombe aufhalten können, aber sie sind als ob in der dunklen Wohnung des Todes ein Riss entstehen würde, durch den ein Lichtschein dringt.
Ansonsten wird geschehen, was immer geschieht. Die Regierung von Israel wird erklären, einen starken Schlag gegen den Terrorismus geführt zu haben, sie wird vor ihrer Bevölkerung das Ausmaß des Massakers verbergen, die großen Waffenhersteller werden ein wirtschaftliches Aufatmen erhalten haben, um der Krise standzuhalten, und die "Weltöffentlichkeit", dieses formbare und stets launische Wesen, wird in die andere Richtung blicken.
Aber das ist nicht alles. Das palästinensische Volk wird auch Widerstand leisten und überleben und weiterkämpfen, und weiterhin die Sympathie von unten für ihre Sache haben.
Und vielleicht wird auch ein kleiner Junge oder ein Mädchen aus dem Gazastreifen überleben. Vielleicht werden sie wachsen, und mit ihnen der Zorn, die Empörung und die Wut. Vielleicht werden sie deswegen zu Soldaten oder Milizionären irgendeiner der Gruppen, die in Palästina kämpfen. Vielleicht werden sie dann einen Kampf gegen Israel führen. Vielleicht werden sie dann ein Gewehr abschießen. Vielleicht werden sie sich einen Sprengstoffgürtel umbinden und sich selbst in die Luft sprengen.
Und dann werden sie da oben über die gewaltbereite Natur der Palästinenser schreiben und Erklärungen abgeben, die diese Gewalt verurteilen und dann dazu übergehen, über Zionismus und Antisemitismus zu diskutieren.
Und dann wird niemand fragen, wer gesät hat, was geerntet wurde.

für die Männer, Frauen, Kinder und Alten der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung,
Subcomandante Insurgente Marcos



Der Sechste Wind: Eine Andere Würdige Wut

Guten Abend,

Vielen Dank an Don Eduardo Almeida für seine Hilfe bei der Moderation. Es ist eine Ehre, ihn bei uns zu haben.

Seit dem Beginn unseres Aufstandes haben die Sympathie und die Unterstützung, die wir von 4 Sektoren der Bevölkerung erhalten haben und glücklicherweise weiterhin erhalten, unsere Aufmerksamkeit geweckt: die der Indígenas, der Frauen, der Jugendlichen, und der Homosexuellen, Lesben, Transgeschlechtlichen und Transsexuellen, in erster Linie, aber nicht ausschließlich, der Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen.

Und seitdem haben wir uns bemüht, die Gründe oder Motive zu finden, die uns dieses Privileg gewährten.

Nach und nach - ich weiß aber nicht, ob das auch stimmt - haben wir verstanden, dass es daran liegt, dass wir die Gemeinsamkeit haben, "anders" zu sein, "anders", ausgeschlossen, verfolgt, diskriminiert, gefürchtet.

Als ob eine Normalität oder ein Standard mit Klassifizierungen und Schubfächern eingeführt worden wäre und alles, was nicht in diese Klassifizierungen passt, wird in einen immer dicker werdenden Ordner gestellt und mit der Aufschrift "Anderes" versehen.

Natürlich sind diese Klassifizierungen auch Qualifizierungen, und mit ihnen geht eine Reihe kultureller Kodexe und Verhaltensregeln einher, die erfüllt werden müssen.

Eine Art Überlebenshandbuch, die der Mensch nicht in einem Stück ausgehändigt bekommt, sondern in der langen oder kurzen Spanne seines Erwachsenwerdens, das heißt seiner Domestizierung, in kleinen, oftmals brutalen Dosen assimiliert.

Man könnte sie sich vorstellen, wie so eine dieser "Was tun im Falle...?" Broschüren.

Und so, nicht schriftlich festgesetzt, aber klar sichtbar und allgegenwärtig, gibt es Broschüren für "Was tun im Falle eines Indígenas?" oder " Was tun im Falle einer Frau?", oder " Was tun im Falle einer oder eines Jugendlichen?", oder " Was tun im Falle eines Homosexuellen, einer Lesbe, eines Transgeschlechtlichen, oder eines Transsexuellen?"

Natürlich werden sie nirgendwo verlegt, aber sie sind so verbreitet, dass ihre Veröffentlichung jeden zum Millionär machen würde. Die Gesamtkollektion könnte "Leben als normale Person" heißen und als Sammelheft herausgegeben werden.

Man könnte denken, dass jedes dieser Handbücher für "Erziehung" oder "Überleben in der Normalität" seine eigenen Spezifikationen hat, und das stimmt. Aber sie haben auch einige Dinge gemeinsam.

"Misstraue!", "Verachte!", "Diskriminiere", "Attackiere!", "Verspotte!", sind einige davon.

Und unter ihren Spezifikationen finden sich:

Die Broschüre "Was tun im Falle eines Indígenas?" könnte zum Beispiel im Detail sagen: "Blicken Sie stets von oben nach unten, damit das Objekt vor Ihnen weiß, wer das Sagen hat und dass wir nicht alle gleich sind, lächeln Sie spöttisch, machen Sie sich über seine Art zu sprechen oder sich zu kleiden lustig. Sachwert: weniger als ein Hühnchen".

Die Broschüre zu "Was tun im Falle einer Frau?" würde lauten: "Wenn Sie ein Mann sind, betrachten Sie sie wie ein Objekt, wie eine Hure mit oder noch ohne Zuhälter. Wenn Sie eine Frau sind, tun sie das gleiche. Schätzen Sie sie nach den Möglichkeiten ein, die sie für den sexuellen Gebrauch bietet, als Arbeitskraft oder dekoratives Element. Greifen Sie sie an. Wenn sie gut ist, befummeln Sie sie, nehmen Sie sie, machen Sie sie sich zueigen, oder versuchen Sie es zumindest, wenn nötig wenden Sie ruhig Gewalt an. Das Objekt soll wissen, wer das Sagen hat und dass wir nicht alle gleich sind."
Man kann es ohne Scheu sagen: Dieses Handbuch ist äußerst weit verbreitet und findet begeisterte Anwendung im Sektor der Kerle oder Machos, wie wir sie unten und links bezeichnen. Es zu verschweigen oder zu verbergen entbindet uns weder der Mitschuld, noch exorziert es das Phantom, dass wir denen, die wir zu bekämpfen meinen, zuweilen nur allzu ähnlich erscheinen.

Und die Broschüre "Was tun im Falle eines oder einer Jugendlichen?" würde lauten: "Setzen Sie zuallererst voraus, einem aktiven oder potentiellen Delinquenten gegenüberzustehen. Außer Pickel und Mitesser hat das Objekt natürliche Neigungen zu Vandalismus und Gewalt. Setzen Sie ebenfalls die Überlegenheit voraus, die Sie ihm in den Kalendern voraushaben, etwas, dass das Objekt begreifen muss. Achten Sie nicht auf seine Rebellion, sie wird vorübergehen, sobald der Kalender mit Hilfe der Polizei seine Arbeit verrichtet."

Und in der Broschüre "Was tun im Falle eines Homosexuellen, einer Lesbe, eines Transgeschlechtlichen oder Transsexuellen?" wäre zu lesen: "Setzen Sie voraus, einem krankhaften Kriminellen gegenüberzustehen und halten Sie sich fern (die Scheiße könnte ansteckend sein), wenn sie Kinder haben, halten Sie sie fern. In extremen Fällen suchen Sie Ihren Beichtvater auf (Anmerkung: falls Sie keinen haben, kann auch ein Mitglied der PAN oder irgendeiner anderen rechten Partei behilflich sein)".

Sprechen wir es ruhig aus: Nicht nur gegenüber Frauen, sondern auch den diversen sexuellen Präferenzen gegenüber ist die Linke zutiefst machistisch eingestellt.

Und die Zapatisten, die Zapatistinnen?

Vielleicht sind wir genauso oder noch schlimmer. Im besten Fall haben wir noch viel zu erreichen.

Aber wir haben den Willen zu lernen, die Aufgeschlossenheit, um dieses Lernen zu ermöglichen, und die Lehrer, Lehrerinnen und LehrerInnen dafür: euch.

In den Geschichten, die wir im Lauf dieser Jahre erzählt haben, haben wir versucht, unsere Realität zu zeigen, unsere Fehler und Unzulänglichkeiten, aber auch unsere "Arten" zu versuchen, sowohl die einen als auch die anderen zu überwinden.

Den sexuellen Differenzen gegenüber ist das leichter gewesen. Vielleicht, weil sie weniger domestiziert sind.

Auf einer der Rundreisen der Anderen Kampagne sind wir den Compañeros und Compañeras der Straßen-Brigade begegnet (die uns schon seit langem, ohne es zu wissen, unterwiesen haben). Wir haben sie damals über das Problem des @-Zeichens gefragt. Dieses ist zwar politisch korrekt, schließt aber nur das Maskuline und Feminine ein, als ob das die einzigen Geschlechtsoptionen wären, etwas anderes gibt es nicht. Die Compañeros und Compañeras von der Straßen-Brigade sagten uns, sie würden dafür das Wort "Compañeric" oder "Compañerotic" benutzen, ich bin nicht ganz sicher.

Wir haben nach unserer Art gesucht und sind auf das "Compañeroa" gekommen.

Gut, die erste Geschichte erzählt die Begegnung von Elías Contreras und der Magdalena. Die Magdalena war eine "Compañeroa". Wer sie für eine fiktive Persönlichkeit hält, irrt sich. Die Magdalena existierte wirklich, sie ist in den zapatistischen Kalendern und Geografien zu finden, genau wie die Begebenheit, bei der sie das Leben von Elías Contreras gerettet hat, einem zapatistischer Indígena, der die Stadt mit einer Fähigkeit zu staunen und einem Eifer zu verstehen betrachtete, die nur wenige Menschen besitzen.

Was die Frauen angeht, liegen wir heute noch sehr weit zurück. Vor einer kurzen Weile, heute Nachmittag, haben wir durch die Stimme der Comandanta Hortensia über die Fortschritte gehört, die sie als Frauen im Kampf erzielt haben.

Was sie nicht gesagt hat, ist, dass sie diese Fortschritte unserer festen Opposition zum Trotz erzielen mussten. Wenn die Männer nicht viel davon sprechen, dann deshalb, weil es sich für sie um eine lange und leidvolle Geschichte der Niederlagen handeln würde.

Wir haben viele Probleme. Zum Beispiel sind die hygienischen Bedingungen in unseren Quartieren nicht optimal, und unter den aufständischen Frauen sind Krankheiten wie Infektionen der Harnwege weit verbreitet. Sanitäts-Hauptfrau Elena wird mir nicht erlauben zu lügen: Es war ein langer Kampf nötig um ihre männlichen Gefährten dazu zu bringen, sich ebenfalls behandeln zu lassen, um sie nicht immer wieder zu infizieren.

Und das ist nicht alles. Auch für den Gebrauch von Kondomen müssen wir kämpfen. Unsere aufständischen Compañeras sind meistens sehr jung und Verhütungsmitteln verursachen ihnen gesundheitliche Probleme. Die Pille, Hormonalpflaster oder Diaphragmas schaden ihnen, und die Spirale auch. Da sie sehr jung sind, bestehen sie darauf, dass ihre Freunde Kondome benutzen. Aber es ist natürlich sehr schwer zu kontrollieren, ob das auch befolgt wird, da wir nicht unter jeder Decke nachsehen können, ob sie benutzt werden oder nicht. Ich habe ihnen meine "Pädagogik der Machete" angeboten und gedroht, mit meinem chirurgischen Geschick Vasektomien vorzunehmen.

Auch bei den Frauen selbst müssen wir viel nachholen. Es gibt da eine Anekdote, die ich euch erzählen möchte:

Vor einigen Tagen haben wir in einer Versammlung darüber gesprochen, dass die sandinistische Kommandantin Mónica Baltodano kommen würde. Eine der Kommandantinnen brachte dabei diesen Spruch der sandinistischen Frauen, der lautet: "Es kann keine Revolution geben ohne Beteiligung der Frauen".
Darauf sagte ich im Scherz, dass ich den Spruch bringen würde, der lautet: "Es kann eine Revolution geben trotz der Frauen". Die Kommandantin sah mich von oben bis unten an und sagte zu mir: "Ähhh, Sup, wir führen hier einen Befreiungskrieg. Wenn wir zu lange dafür brauchen, liegt das an den verdammten Männern".

Hier folgen nun die versprochenen Geschichten:


Sieben Geschichten für Niemanden
Vierte Geschichte: Die Begegnung von Elías Contreras und Magdalena

Es spricht Elías Contreras, Ermittlungskommission des EZLN:
[* die Übersetzung der vierten Geschichte stammt aus dem Buch "Unbequeme Tote" von Subcomandante Marcos und Pablo Ignacio Taibo II, ins deutsche übertragen von Miriam Lang *]

"Manchmal vertut sich auch der liebe Gott. Neulich drehte ich so meine Runden beim Revolutionsdenkmal, das heißt, ich war auf Erkundungtour. Also um zu wissen, wohin man weglaufen könnte, falls die Sache oder der Fall, je nachdem, zu heiß werden sollte. Gut, ich lief also da in der Gegend rum, und war so eine ganze Weile in einem kleinen Park, der San Fernando heißt, der gleich neben einem Friedhof ist. Und vor der Statue meines Generals Vicente Guerrero bin ich auch länger gestanden, der Statue, wo das Motto der EZLN in Stein geschrieben draufsteht: "Fürs Vaterland leben oder für die Freiheit sterben".

So ist es spät geworden und es war schon dunkel. Und dann bin ich durch diese Straße gelaufen, die Puente de Alvarado heißt, und gleich da hat mich die Justiz aufgehalten, also die Bundespolizei. Und die sagen zu mir, wer ich denn bin und was ich denn hier mache, dass ich alles rausrücken soll, was ich bei mir hab, und andere Sachen, die ich nicht besonders verstanden hab, weil diese Bundespolizisten sehr anders reden. Und dann wollten sie mich schon in ihren Streifenwagen bringen, aber in dem Moment kommt ein Mädchen mit einem sehr kurzen Rock und einem Blüschen daher, das heißt, sie war ganz schön nackig, dafür dass es so kalt war. Und das Mädchen spricht also die Bundespolizisten an, und die haben mich gleich gehen lassen. Und dann kommt das Mädchen zu mir und fängt an, mit mir zu plaudern, und sagt mir, dass sie Magdalena heißt. Sie fragt mich, woher ich komme und warum ich so sehr anders spreche. Und ich - weil ich gesehen hatte, dass sie eine Gute ist, weil sie für mich die Bundespolizisten verscheucht hatte - hab ihr gesagt, aus Chiapas. Und dann fragte sie mich, ob ich Zapatist sei. Und dann sagte ich ihr, dass ich nicht weiß, was Zapatist bedeutet. Darauf sie, dass man deutlich sehen kann, dass ich Zapatist bin, weil die Zapatisten nämlich nicht sagen, dass sie Zapatisten sind. Und dann sagte sie mir, dass sie keine Sie ist, sondern ein Er. Und dann, weil ich das nicht besonders verstand, hat sie ihren Rock hochgehoben und da konnte man ihr Ihr-wisst-schon-Was sehen, wie es die Unterhose ausbeulte. Und da habe ich sie gefragt, wie das denn sein kann, dass sie ein Er ist und sich wie eine Sie anzieht. Und dann hat sie oder er mir erzählt, dass sie eine Frau ist, aber in einem Männerkörper steckt. Und dann hat sie mich auf ihr Zimmerchen eingeladen - weil sie gerade keine Kunden hat, hat sie gesagt. In ihrem Zimmerchen hat sie mir dann alles erzählt, dass sie oder eben er ihr Geld sparen will, um sich den Männerkörper operieren zu lassen und ihn zu einem Frauenkörper machen zu lassen, und dass sie deswegen auf den Strich geht. Und dann hab ich nicht besonders verstanden, was "auf den Strich gehen" heißt, und sie hat es mir erklärt. Und dann ist sie eingeschlafen. Und ich hab es mir mit meiner Jacke und einer Decke, die die Magdalena mir geliehen hatte, bequem gemacht. Ich hab nicht geschlafen, weil ich darüber nachgedacht hab, dass sogar der liebe Gott sich manchmal vertut, weil er die Magdalena, die eine Frau ist, in einen Männerkörper gesteckt hat.

Und am nächsten Tag haben wir spät am Morgen Kaffee getrunken, weil die Magdalena nicht gleich aufgestanden ist. Und dann hab ich ihr vom zapatistischen Kampf erzählt und davon, wie wir in den widerständigen Dörfern organisiert sind, und sie war beim Zuhören sehr froh. Und dann hab ich ihr nicht erzählt, dass ich als Ermittlungskommission unterwegs bin, und sie hat auch nicht gefragt, was ich denn im Monstrum mache, das heißt in Mexiko-Stadt. Und dann konnte ich sehen, dass sie eine gute Genossin ist, weil sie diskret ist und nicht danach fragt, was ich mache. Und dann hat sie mir angeboten, dass, wenn ich es brauche, ich in ihrem Zimmerchen schlafen kann, solange ich will. Da hab ich mich bedankt, und nachher bin ich rausgegangen und hab ihr einen ihren Strauß rote Rosen gekauft und hab ihn ihr geschenkt und hab ihr gesagt, dass wenn wir den Krieg gewinnen, dass wir dann ein Krankenhaus aufmachen werden, um all das gerade zu rücken, was dem lieben Gott daneben gegangen ist. Und dann hat sie angefangen zu heulen, also weil ihr noch nie jemand Blumen geschenkt hatte, glaub ich. Und dann hat sie eine ganze Weile geheult. Und nachher ist sie auf den Strich gegangen. Und dann bin ich los, um das Böse und den Bösen zu suchen.

Und fertig.


Fünfte Geschichte:
Der Film der Frauen.

Ich war gerade dabei, eine Gemüsesuppe mit lecker Kürbis zu essen (igitt!), und das mit viel Genuss, großer Freude und überschwänglichem Enthusiasmus, als ich von draußen vor der Hütte des Generalkommandantur der EZLN die Stimme der Insurgentin Erika hörte, die um Erlaubnis ersuchte eintreten zu dürfen (hörst du zu, Toñita?). Von der Türschwelle der Hütte aus sagte die Insurgentin Erika: "Die Compañeros fragen, ob sie einen Film sehen können".

"Und welchen werden sie sehen?" fragte ich sie.

Die Insurgentin Erika antwortete erst zögerlich. "Gut also, ich sag dir ganz klar, Compañero Subcomandante Insurgente Marcos, dass ich nicht weiß, wie ich dir das sagen soll", antwortete sie endlich, während ihr braunes Gesicht rot anlief.

"Hmm, ... gut, aber dann müssen sie auch Popcorn machen", sagte ich ihr, um sie aus der Verlegenheit aus unbekanntem Grunde zu retten und um jeder schädlichen Wirkung entgegenzuwirken, die der Kürbis meinem zarten Organismus zufügen könnte. Sie müssen nämlich wissen, dass wir Subcomandantes auf Gemüse allergisch sind, vor allem auf Kürbis. Ich glaube, das ist irgendwas Genetisches.

"Also gut", sagte die Insurgentin Erika und lief davon.

Mit dem vollen Bauch nach oben, in der Boaposition aus dem Kleinen Prinzen von Saint Exupery, bedauerte ich sehr, so viel Grünzeug gegessen zu haben, und überlegte und dachte darüber nach, ob es keine gute Idee wäre, die Kürbissuppe auf zapatistischem Gebiet verbieten zu lassen.

Die Insurgentin Erika kehrte mit der Medizin zurück, das heißt, mit dem Popcorn, und lief wieder davon. Ich wartete, bis sie außer Sichtweite war, um mit der Eleganz und den guten Manieren essen zu können, die mich charakterisieren, das heißt, ich schaufelte das Popcorn mit vollen Hände in mich hinein.

Kurze Zeit später, wieder in der Boaposition aus dem Kleinen Prinzen, bedauerte ich erneut, so viel gegessen zu haben und versuchte, die Überdosis Popcorn zu verdauen. Da fiel es mir blitzartig ein: "Moment mal! Wieso konnte mir Erika nicht sagen, welchen Film sie sehen wollten? Es muss eins mit nackten Mädchen sein, und sie hat sich geschämt, es mir zu sagen".

Nicht ohne Mühe setzte ich mich auf und lenkte meine Schritte in Richtung Quartier, das etwas hinter meiner Hütte liegt.

Ein bläuliches Licht strömte aus der Hütte, die als Kantine, Zeughaus und Versammlungsort für die Zelle für politische Studien und kulturelle Aktivitäten diente. Nicht eine Insurgentenstimme war zu hören, nur das Summen des kleinen Generators und unterdrücktes Stöhnen.

"Aha!", dachte ich "so ist das also, sie sehen sich Filme mit nackten Mädchen an und mich laden sie nicht ein! Jetzt nehme ich sie alle fest und sehe mir den Film dann alleine an".

Ich schlich mich leise an sie heran, um sie, wie es heißt, auf frischer Tat zu ertappen, und trat unbemerkt ein.

Welche Enttäuschung! Der Film, den sie sich ansahen, war einer mit Jean-Claude Van Damme, und das Stöhnen, das zu hören war, stammte von einem armen Typen, der wie ein Anhänger der Anderen Kampagne aus der Großstadt aussah und vom Hauptdarsteller gerade mit Unmengen von Karatekicks eingedeckt wurde.

"Ach du Schande", sagte ich laut, "Das ist der Film, den sie sich ansehen wollten?"

Sofort als sie mich hörten, warfen sich die Insurgenten und Insurgentinnen in Habachtstellung, stellten den Projektor ab und machten das Licht an.

Ich wendete mich an die Insurgentin Erika und fragte sie: "Warum konntest du mir nicht sagen, dass sie sich einen Karatefilm ansehen würden?"

"Das war gar nicht dieser Film, Sup", antwortete die Insurgentin Erika und blickte sich hilfesuchend nach ihren Compañeras um.

Die Insurgentin für Sanitätswesen trat dazwischen und erklärte: "Nein, Compañero Subcomandante Marcos, der Film, den wir dabei waren zu sehen, ist über sexuelle Gesundheit, über die Krankheiten und die Hygiene und all diese Sachen".

"Ja, über AIDS", sagte Erika, die sich jetzt von den anderen Frauen unterstützt fühlte, aber immer noch rot angelaufen war.

Es war nicht das erste Mal, dass ich kein Wort davon verstand, was meine Truppe machte, also zündete ich meine Pfeife an und wartete auf die Erklärung, die folgendermaßen lautete:

Die Insurgentinnen wollten den Film über AIDS sehen, wie Erika das ausgedrückt hatte, und die Männer wollten sich "Leon" ansehen, den sie nebenbei bemerkt schon 365 Mal gesehen haben. Sie konnten sich nicht einigen und diskutierten es aus, und wie nicht anders zu erwarten war, gewannen die Frauen und sahen sich den Film über AIDS an. Die Männer gewannen auch, weil die Frauen ihnen versprachen, dass wenn sie sich den Film über AIDS ansehen würden, sie hinterher auch Van Damme schauen durften. Und sie hielten ihr Wort.

Und fertig.


Sechste Geschichte:
Vier Notizen eines Käfers. Aus dem Notizheft von Don Durito de La Lacandona.

Eins. - Eines der Gründe, wieso die Frauen den Männern überlegen sind ist, dass das kurze Fest des Mannes mit dem Orgasmus endet. Und die Frau kann noch eine ganze Weile weiterfeiern.

Zwei. - Wenn Frauen rebellieren, tun sie es gleich mehrere Male. Die Männer hingegen nur einmal und das unter Drängen. Aber ihnen werden die Statuen zuteil. Und den Frauen? Nur der Schatten, den sie selbst werfen.

Drei. - Nicht selten hat ein Feminismus der Modezeitschriften oder des internationalen Kolloquiums als Alibi für Verbrechen und Missbräuche gedient. Und die Gleichstellung der Geschlechter wird durch die Alchemie der Sozialklasse erreicht. "Sie kritisieren mich, weil ich eine Frau bin", sagt die Dame von oben, wenn sie den Befehl erteilt zu betrügen, einzusperren oder zu töten - mit dem gleichen Zynismus wie der Mann von oben.

Vier. - Oft folgt die Liebe dem alten Weg der Fortpflanzung der Spezies. Das hat viel von Routine und gut gelernten und oft wiederholten Lektionen. Doch manchmal, ganz selten, fast nie, ist die Liebe auch ein Aufblitzen aus Licht und Schatten, das den Kalendern, Geografien und Handbüchern für Sexualkunde trotzt. Und dann erteilt sie einem begrenzten Publikum aus nackter Haut und Herzen, eine schreckliche, einzigartige und wunderbare Lektion. Und die Studenten lernen nie aus.

Und fertig.

Vielen Dank,
Subcomandante Insurgente Marcos


Der Siebte Wind: Einige würdige und wütende Tote.

Guten Abend.

Bei uns haben wir heute, wie schon sein 15 Jahren, den Compañero Don Pablo González Casanova. Seine intellektuellen Fähigkeiten, die Brillanz seiner Analyse, seine Position an der Seite derer die kämpfen, müssen heute nicht erwähnt werden. Jeder, der sich nur ein wenig erinnert oder in der Vergangenheit sucht, kennt sie. Wir kennen sie.

Wir Zapatisten und Zapatistinnen haben nie aufgehört, über seine Einfachheit und Bescheidenheit im Umgang mit uns zu staunen. Ich hoffe, er fühlt sich jetzt nicht beleidigt, aber er kommt uns nicht vor wie ein Intellektueller.

Dieser Compañero hat uns stets zur Seite gestanden, im Guten, im Schlechten und im Schlechteren. Er gehörte der Nationalen Vermittlungskommission (CONAI) an, die damals von Don Samuel Ruiz García geleitet wurde, und konnte sich dort unmittelbar und direkt von der Verachtung und dem Rassismus überzeugen, die von der Regierungsdelegation in den so genannten Dialogen von San Andrés zur Schau getragen wurden. Er konnte sich, so glaube ich, ebenfalls von der Beharrlichkeit und Würde meiner Compañeros und Compañeras Befehlshaber überzeugen, die unsere Delegation bildeten, bei diesen Dialogen, die von der Regierung zum Scheitern gebracht wurden.

Wir sagen ganz deutlich: Für uns ist dieser Mann ein Weiser. Und als solcher hat er, zumindest uns gegenüber, stets eine Bescheidenheit und Einfachheit an den Tag gelegt, die ihn mehr mit den Weisen der indigenen Völker identifizieren als mit den überheblichen "Spezialisten", die aus der Bequemlichkeit und Privilegiertheit der akademischen Welt heraus eine Realität richten und verurteilen, der sie stets fremd geblieben sind.

Im Unterschied zu vielen "großen Köpfen", wie unser Comandante Tacho die Menschen mit großen Ideen nennt, hat Pablo González Casanova, Don Pablo, wie wir ihn nennen, niemals versucht, uns zu sagen, was wir zu tun hätten, uns eine "Linie zu ziehen", oder uns Befehle zu erteilen oder uns zu führen.

Er hat uns gesagt, zuweilen persönlich, zuweilen in schriftlicher Form, was er über die eine oder andere Sache dachte. In vielen davon waren wir einer Meinung, und sein Wort hat unser Herz bereichert. Wir hoffen, ihm in seiner Weisheit auch unsererseits ein wenig dienlich gewesen zu sein.

In anderen Sachen sind unsere Meinungen abgewichen und wir haben diskutiert. Und auch da waren wir erstaunt über seine Einfachheit und seinen Sinn für Humor, der manchmal so beißend sein konnte wie der unsere, mit dem er Kritiken und Hinweise aufnehmen konnte, von uns und von anderen.

Vielleicht deshalb, weil eine der Sachen, in denen wir übereinstimmen, darin besteht, dass es kein einziges, einzelnes, ausschließliches und einmütiges Denken geben darf, und dass Kritik, Andersdenken und Diskussion nicht bedeuten, wie so oft, dass man sich zur gegnerischen Seite geschlagen hat.

Ich habe vorher gesagt, dass Don Pablo ein weiser Mann ist. Wie ich vor einigen Tagen erklärte, besteht die Weisheit, nach Meinung der Zapatisten, nicht aus einer Spezialisierung des Denkens, nicht darin, sehr viel über einen sehr kleinen Teil der Realität zu wissen. Genauso wenig übrigens wie es bedeutet, ein wenig über alles zu wissen. Unserer Meinung nach besteht die Weisheit darin, das Geschehen richtig zu lesen und seine Hintergründe zu interpretieren, um zu verstehen, was vor sich geht. Und so die Welten, die es auf der Welt gibt, zu kennen und zu respektieren.

Das, was eines dieser typischen zapatistischen Wortspiele zu sein scheint, ist, wie der Alte Antonio das in der siebten Geschichte erzählen wird, das was uns unsere Toten uns gelehrt haben. So haben sie uns gebildet.

Wir versuchen nicht zu sagen, dass diese Art, die Welt zu sehen und in ihr und mit ihr zu handeln die beste ist. Wahrscheinlich ist sie das nicht. Das, was wir jedoch wissen ist, dass sie nicht die einzige ist. Und so wie wir unsere Schritte und Fehltritte mit dieser Denkweise normiert haben, haben Andere andere Denkweisen und folglich andere Schritte und andere Fehltritte.

Wir grüßen Sie, Don Pablo. Glauben Sie uns, wir haben Ihnen nur deshalb noch keine Skimaske gegeben, weil wir besser als jeder andere wissen, wie unbequem sie waren und sind und sein werden. Und wir möchten Ihnen sagen, dass Ihre Worte und Gedanken nicht selten zum Wort auf unseren Lippen geworden sind, und dass ihr Herz das stets gewesen ist.

Wir grüßen Sie, neozapatistischer Compañero Don Pablo González Casanova.

In den letzten Tagen haben wir drei Denker aus der Mitte derer, die gekommen sind, um hier und in Mexiko-Stadt ihr Hören und ihre Worte mit uns zu teilen, respektvoll darum gebeten, sich zu uns zu setzen, um hervorzuheben, dass wir sie "Compañeros" nennen. Wir möchten sagen, dass sie nicht die einzigen sind. Es gibt noch andere. Zuweilen schüchtern, wie um Erlaubnis heischend, zuweilen mit der Ungezwungenheit und der Impertinenz, die zwischen Kampfkameraden herrscht, kennen und anerkennen wir Denker und Denkerinnen, und nennen sie "Compañero, Compañera".

Sie sind auch nicht die einzigen, mit denen wir Differenzen oder offene Diskrepanzen hatten oder haben. Wir haben sie gebeten, und sie haben es akzeptiert, uns dabei zu helfen, die Botschaft zu vermitteln, dass die Welt, für die wir Zapatisten, Zapatistinnen und ZapatistenInnen kämpfen, nicht einzig, ausschließlich oder unteilbar ist. Dass es nicht eine einzige Wahrheit gibt, sondern viele. Und dass wir trotz allem nie die Möglichkeit ausgeschlossen haben, dass wir uns in einem, oder in mehreren oder allen Dingen irren.

Wir befinden uns hier nicht auf EZLN-Gebiet. Ich wollte sagen, dass wir uns nicht auf zapatistischem Gebiet befinden, aber nachdem wir alle diese neue und großartige Leistung der Compañeras und Compañeros von CIDECI bestätigen durften, bin ich mir nicht mehr sicher, ob wir uns nicht doch auf zapatistischem Gebiet befinden. Wir danken all diesen Compañeros und Compañeras. Wir hoffen Doctor Raymundo wird allen, die hier arbeiten, unsere Gedanken übermitteln können.

Wir befinden uns hier nicht auf EZLN-Gebiet. CIDECI hat uns großzügig und bedingungslos einen Raum für die Aktivitäten angeboten, genauso wie die Compañeros und Compañeras von der Unabhängigen Volksfront Francisco Villa - UNOPII und die Compañeros und Compañeras vom Bauernverband Los Reyes de Iztapalapa -- die wir "die Anderen Bauern" nennen, um sie von den korrupten Anführern zu unterscheiden, die die Arbeiter- und Bauernbewegungen plagen --, uns die gleiche Großzügigkeit und Bedingungslosigkeit gewährt haben, und denen wir unsere Dankbarkeit und Anerkennung aussprechen möchten.

In dem Kalender, der uns zusammenruft, dürfen wir die Geografie nicht vergessen, in der unsere Wut aufeinander trifft: Vielen Dank Lienzo Charro von Iztapalapa, vielen Dank CIDECI.

Sie alle sind unsere Gäste, Gästinnen und GästInnen gewesen. Und bei diesem Festival sind wir unsererseits Gäste im Lienzo und CIDECI gewesen. Als solche, als Gäste, schulden wir jenen, die uns empfangen und aufgenommen haben, nicht nur unseren Dank und unsere Bewunderung, sondern und vor allem auch unseren Respekt. Und aus dem gleichen Grund können und dürfen wir nicht so tun, als ob wir uns auf unserem eigenen Grund und Boden stehen.

Einer der Geister, der die Sechste Erklärung und die Andere Kampagne beflügelt, ist der Respekt vor den "Eigenheiten" eines jeden Kampfes auf seinem Gebiet. Als wir auf unseren Reisen zu den Orten aufbrachen, die wir erreicht haben, taten wir das nicht, um jene zu kritisieren oder über sie zu richten, die uns nicht nur Obdach und Nahrung gewährt haben, sondern auch die Medizin ihres Kampfes. Wir haben ihnen Respekt angeboten und haben ihn eingehalten.

Und den gleichen Respekt haben auch wir von unseren Compañeros und Compañeras der Anderen Kampagne erhalten. Jene von euch, die an der Karawane beteiligt waren und uns in den unheilvollsten Tagen der Repression von Atenco begleitet haben, wissen, dass wir bei öffentlichen Veranstaltungen und Treffen, sogar bei den Bewegungen unserer Delegation in Mexiko-Stadt von der Lopez-Obrador-Bewegung angeschrieen und angegriffen worden sind. Und sie wissen, dass die "Art", wie uns ein Teil der Compañeros und Compañeras kritisiert und ermahnt hat, nicht immer höflich war, sondern nicht selten grob und verletzend und gelegentlich wie eine offene Provokation.

Gestern abend erzählte Comandante Zebedeo einem Compañero über die Aggressionen der Lopezobradoristen (er und Comandanta Miriam haben einige davon persönlich am eigenen Leibe erlebt) und stellte den Unterschied zu der "Art" dar, mit der die Compañeros und Compañeras der Anderen Kampagne kritisieren. Er sagte ihm, dass wir Zapatisten und Zapatistinnen eine zähe Haut haben. Nicht nur durch die 15 Jahre des Widerstandskrieges, sondern auch und vor allem durch die 500 Jahre des Krieges der Vergessenheit. Er sagte, dass wir alles hörten, was sie uns sagten, und davon behielten wir das Gute im Herzen, und das andere ließen wir zum anderen Ohr hinausgehen.

Es ist, als ob die Wunden, die wir in all der Zeit erhalten haben, vernarbt wären und unsere Haut dicker machten, zäh und widerstandsfähig. Und wenn wir 500 Jahre lang den Versuchen der Herrschaft und Vernichtung standhalten konnten, wenn wir 25 Jahre lang in den Bergen standhalten konnten, wenn wir 15 Jahre lang der Militärbelagerung standhalten konnten, sehen wir nicht, weshalb wir nicht auch dem hysterischen Geschrei, den Verleumdungen, Lügen, Disqualifizierungen und journalistischen Vetos des "Lopezobradorismus" standhalten können sollten.

Ganz anders sind die Erfahrungen, die wir mit unseren Compañeros und Compañeras der Anderen Kampagne in Mexiko und der ganzen Welt gemacht haben, machen, und machen werden.

Denn mit der Sechsten Erklärung haben wir sie nicht aufgerufen, uns zu folgen oder uns zu gehorchen oder wie wir zu sein, oder unsere "Arten" zu importieren, oder ihre Kämpfe, Projekte und Träume den unseren unterzuordnen.

Wir haben sie dazu aufgerufen, uns kennen zu lernen und sich untereinander kennen zu lernen, zu wissen, dass weder wir noch sie alleine sind, uns zu respektieren, sich gegenseitig zu unterstützen. Damit das Schweigen unseren Leiden gegenüber nicht einhellig sei, haben wir sie eingeladen anders zu sein.

Wir sind mit einigen von ihnen nicht einer Meinung, na gut, mit mehreren, na gut, mit vielen, na gut, eigentlich sind wir mit keinen von ihnen einer Meinung. Wenn wir es nämlich wären, würden wir aufhören, die EZLN zu sein und ein Teil von ihnen werden. Aber wir erkennen sie an als solche, die mit uns auf der gleichen Seite stehen, und glauben, dass auch sie uns anerkennen.

Und wir sind sehr stolz und sehr froh, dass sie unsere Compañeros, Compañeras und Compañeroas sind.

Und wir von der Sexta haben diesen einen Vorteil, oder Nachteil, je nachdem. Zu wissen, dass es einen Ort, eine Arbeit, einen Raum, einen Kampf gibt, wo festgestellt werden kann, ob das, was gesagt wird, auch getan wird.

In den letzten Tagen wie auch im Laufe dieser 15 Jahre, konnte das, was wir über uns selbst erzählt haben, bestätigt werden. Noch, wenn vielleicht auch nicht für viel länger, können die zapatistischen indigenen Gemeinden besucht werden (wenn ihr das tut, fragt erst bei den Räten der Guten Regierung um Erlaubnis, das ist unsere Art), um selbst zu sehen, ob es stimmt, dass es Frauen gibt, die Ämter ausüben, oder als Ausbilderinnen, Gesundheitspromotoren oder lokale und regionale Verantwortliche arbeiten. Es ist wohl nicht mehr nötig zu sehen, ob es Kommandantinnen gibt, denn falls es sich dabei nicht um einen virtuellen Effekt mit Laserstrahlen handelt, oder männliche Kommandanten, die die wunderbare Verwandlung nachgestellt haben, die Krishna uns gestern vorgeführt hat, sind einige der Kommandantinnen hier zugegen.

Man kann hingehen und nachsehen, ob es stimmt, dass es Schulen gibt, und Kliniken, ob die Räte der Guten Regierung tatsächlich versuchen, bei Konflikten und Disputen eine Einigung zwischen den Streitenden zu finden, ob es stimmt, dass die Lehrer und Lehrerinnen, die Lupita und Toñita unterrichten, zum autonomen Schulbildungssystem gehören. Kurzum, man kann sehen, ob wir das tun, was wir sagen.

Und das gleiche gilt für unsere Compañeros und Compañeras und Compañeroas von der Anderen Kampagne. Man kann in das Lokal der Straßenbrigade gehen und feststellen, ob sie das tun, was sie uns gestern erzählt haben, man kann in die kleinen Lokale gehen, wo jene unter heldenhaften Bedingungen arbeiten, die für die alternative Kommunikation tätig sind, oder wo sie sagen, dass sie Informationstische aufgestellt haben, oder Ghettobewohner organisieren, Campesinos, Stadtarbeiter, indigene Gemeinden, oder malen, oder singen, oder was auch immer sie sagen, dass sie tun.

Vor langer Zeit, bevor ich in diese Bergen des mexikanischen Südostens gekommen bin, um zu sterben und geboren zu werden, war ich in der Autonomen Nationalen Universität von Mexiko [*UNAM] und war oft im Auditorium der Fakultät für Philosophie und Literatur, das Auditorium, das als "El Che" bekannt ist. Damals war es das Rektorat und dessen Verwaltungsbehörden, die sich um den "El Che" kümmerten. Ich lüge euch nicht an, es war eine einzige Müllhalde. Eine vernachlässigte Müllhalde, weil es auch betreute Müllhalden gibt.

Lange Zeit später, als wir schon die waren, die wir sind, hatte ich Gelegenheit, im Rahmen unserer Rundreise der Anderen Kampagne, bei zwei Anlässen im El Che zugegen zu sein. Einmal ohne das Format des Disputs zu kennen. Das andere Mal war ich darüber informiert und bezog selbst Stellung. Ich lüge euch auch jetzt nicht an: Es war in makellosem Zustand, sauber, geordnet, funktionstüchtig. Es fehlten nur die Sessel, die, wie ich glaube, vom Rektorat selbst entwendet worden waren. Es wurden verschiedene Workshops angeboten, es gab eine Mensa, die zum Leidwesen aller hoffnungslosen Karnivoren leider nur vegetarisch war. Es herrschte Arbeit, Kampf, Leben. Das El Che war nicht mehr das triste Gebäude, das nur dem Kinoklub, Versammlungen und ganz selten, kulturellen Veranstaltung offen stand.

Vielleicht war es ja nur ein Schwindel, und die Compañeros und Compañeras von Okupache haben ihn nur für mich so geputzt und zurechtgemacht und eine Kulisse aufgebaut damit es so aussah, als ob sie wirklich das tun, was sie sagen. Das glaube ich nicht. Wir glauben, dass sie wirklich das tun, was sie sagen, aber wie auch immer, Ihr könnt euch auch selbst davon überzeugen, indem ihr das Lokal unserer Compañeros und Compañeras von Okupache aufsucht. Natürlich konnten wir feststellen, dass sie "Arten" und Positionen haben, die wir nicht miteinander teilen. Und natürlich gibt es einige, Compañeros oder nicht, die genau anders als wir denken, oder ein diametral entgegen gesetztes Bild haben von dem, was wir sehen. Das ist in Ordnung, dies ist die Autonome Nationale Universität von Mexiko. Und mit Recht heißt es, dass es die Aufgabe dieser universitären, das heißt universellen Kollektivität ist, zu diskutieren, zu analysieren, zu streiten, Stellung zu beziehen und zu entscheiden. Und wir glauben, dass das vielleicht auch ohne Schreien und Beleidigungen geht, aber auch ohne Androhung von Räumungen oder Konfrontationen. Kurzum, man wird sehen. Aber man sollte nie daran zweifeln, dass wir unseren Compañeros und Compañeras zur Seite stehen werden, auf der Seite des Angegriffenen, so wie wir es hier vor einigen Tagen getan haben.

Die politischen Parteien von oben können eine Sache sagen und das Gegenteil davon machen. Das lässt sich überall dort feststellen, wo sie die Macht ausüben. Das liegt daran, dass sie ein anderes Kriterium der Kongruenz haben. Für sie ist die Menge, die sie bei einer Abstimmung oder einer Mobilisierung auf die Beine stellen können, das Thermometer, das ihnen sagt, ob es für sie gut läuft oder schlecht oder wie immer.

Wir haben ein anderes Kriterium: Es läuft für uns gut, wenn das, was wir sagen, mit dem übereinstimmt, was wir tun, ob das für die anderen nun gut oder schlecht ist.

Zwei Personen, die wir mögen und respektieren, vielleicht zu ihrem eigenen Bedauern, haben uns gefragt, was es der zapatistischen Bewegung denn bringt, dass Marcos die lopezobradoristische Bewegung disqualifiziert, und weshalb ich, als ich früher noch in den Medien auftrat, dies immer wieder nutzte, um AMLO zu beschimpfen.

Gut, ich trete nicht mehr in den Medien auf, diese Zeiten sind schon lange vorbei. Wir haben mit unseren Compañeros und Compañeras und Compañeroas der Anderen Kampagne in Mexiko und der Welt gesprochen und ihnen zugehört, und das Wort der Personen gehört, die in verschiedenen Winkeln des Planeten kämpfen und denken.

Ich möchte euch bitten, mir etwas Zeit zu gewähren, um zu erklären, wie wir bei unserer Arbeit des CCRI-CG der EZLN organisiert sind. Seht, hier in der EZLN sind verschiedene indigene Völker vertreten: Tzeltales, Tzotziles, Tojolabales, Choles, Zoques, Mames und Mestizen. Diese Völker haben indigene Gemeinden, die Zonen bilden. Jede Zone hat eine organisatorische Struktur, parallel zur autonomen Autorität. Und die Struktur jeder Zone hat ein organisatorisches Führungskollektiv. Wenn ich "organisatorisches Führungskollektiv" sage, meine ich nicht nur, dass es ein Kollektiv ist, sondern auch, dass es nicht militärisch ist. Das Führungskollektiv einer Zone ist das, was wir das CCRI einer Zone nennen. Und jede Zone hat ihre eigenen "Arten". Die Tzotziles, die Tzeltales, die Tojolabales, die Choles, die Zoques, die Mames und die Mestizen, sie alle haben ihre eigenen Probleme und ihre eigenen "Arten" ihnen zu begegnen oder sie zu lösen. Die EZLN hat dann die Aufgabe, so etwas wie eine Verbindungsbrücke zwischen den Zonen zu sein. Wenn die EZLN als solche etwas unternehmen soll, braucht sie die Zustimmung aller in diesen Zonen. Wenn eine Zone etwas tun will, muss sie die anderen Zonen, über die EZLN, darüber in Kenntnis setzen, damit sie Bescheid wissen und sehen, inwieweit sie es unterstützen können.

Außerdem hat die EZLN die Aufgabe, alle in der Zone vor der Außenwelt zu repräsentieren, das heißt vor den Nicht-Zapatisten. Obwohl sie eine Kommandantin in Los Altos ist, spricht Hortensia zu euch nicht über Los Altos, durch ihre Stimme spricht die Stimme der EZLN. Und das, was sie über die Frauen erzählt, ist nicht nur das, was in Los Altos geschieht, sondern der Trend, den sie in allen zapatistischen Gemeinden feststellen konnte. Das gleiche gilt auch, wenn ich spreche, oder Oberstleutnant Moisés, oder Comandante Zebedeo, oder Comandante David, oder jeder andere Angehörige der CCRI-Generalkommandantur.

Wenn also Marcos oder ein anderer von uns in der Öffentlichkeit spricht, so wie bei dieser Gelegenheit, tun sie das als EZLN, nicht als Einzelperson.

Wir denken, dass jeder für das, was er oder sie sagt und tut, die Verantwortung zu übernehmen hat, als Individuum und als Kollektiv. Ich glaube, dass die EZLN stets die Verantwortung für das übernommen hat, was sie sagt und tut, und ihr Leben darauf setzt. Das individuelle und das kollektive Leben.

Also, was bringt es, einer Bewegung zu sagen, was sie denkt und fühlt? Gut, wir haben den bewaffneten Aufstand auch aus diesem Grund geführt, um unser Wort zurückzugewinnen, um selbst sagen zu können, was wir denken und fühlen.

Sie fordern uns auf zu sagen, welche ihrer "Verbündeten" Indígenas verfolgt, diskriminiert und ermordet haben sollen. Wir haben ihnen schon gesagt, welche ihrer Anführer und "Vebündete" das sind. Jene, die unsere zapatistischen Compañeros von Zinacantán verfolgen, belästigen und ihnen das Wasser abgeschnitten haben, gehören zur lopezobradoristischen CND. Jene, die uns innerhalb und außerhalb unseres Territoriums angreifen, sind Sympathisanten von AMLO, sowie natürlich die Bundes-, Staats-, und Bezirksregierung, die Kommunikationsmedien (jetzt alle), die Armee, die Staatspolizei, die AFI, das CISEN, die CIA und Freunde, die sie begleiten.

Jene, die die zapatistischen Compañeros aus Montes Azules zwangsgeräumt und sie zuerst in ein verlassenes Bordell und dann in ein Warenlager gepfercht haben, waren Lopezobradoristen. Staatsbeamte der Regierung von DF und Mitglieder der AMLO Bewegung sind nach Chiapas gereist, um gemeinsam mit der Regierung, die AMLO unterstützte, um an die Macht zu kommen, die Zwangsräumung zu planen. Ich sagte, in einem Warenlager. Die Indígenas haben schon immer gesagt, dass die Herrschenden sie wie Tiere behandelten. Die hier gingen noch weiter, sie haben sie wie Dinge behandelt, wie Gepäckstücke. Nicht einmal Tiere werden in ein Warenlager gesteckt. Und es gibt noch viel mehr Beispiele, die wir immer wieder denunziert haben.

Ich weiß, dass man sich da reinflüchten oder sich damit trösten kann zu sagen, dass das nur Marcos' Sache sei, und dass die zapatistischen Basen selbst sich zu Tode sehnen würden, an irgendeiner Veranstaltung von AMLO mitmachen zu dürfen, oder vor Verlangen brennen, für die nächsten Wahlen Wahlkampf zu betreiben.

Aber nein. Dies ist das Festival der Würdigen Wut, und so wie ihr alle sind auch wir hergekommen um unsere Wut zum Ausdruck zu bringen. Nicht die Wut von Marcos oder Moisés oder Hortensia oder Zebedeo oder David. Nein, die Wut der zapatistischen Gemeinden, die jetzt nicht nur von den schlechten Regierungen angegriffen werden, sondern auch von jenen, die sich als Linke und Progressive bezeichnen.

Wenn wir sprechen, bringen wir nur unsere eigene Wut zum Ausdruck. Wenn ihr die Wut der anderen hören könntet, die nicht von der EZLN sind, die sie ebenfalls mit Aggressionen und Verfolgungen übersäen, dann würdet ihr vielleicht einiges verstehen.

Andererseits, warum wird AMLO nicht gefragt, weshalb er es vorzieht, sich mit Verfolgern und Mördern von Indígenas im Allgemeinen und von zapatistischen Indígenas im Besonderen zu verbünden? Wer von euch ist hergekommen, um uns zu sagen "Compañeros, wir werden euch fertigmachen, aber das ist für ein alternatives Nationalprojekt, nehmt das hin und führt euch nicht auf, weil es zum Wohle des Vaterlandes ist. Wartet ab, während wir die Nation erretten"?

Und was bringt es der lopezobradoristischen Bewegung, sich mit Leuten zu verbünden wie Nuñez, Montreal, Muñoz Ledo, Sabines, Albores, Kanter, Iruegas, die ehemaligen indigenen Staatsbeamten von Fox, die gegen die Verträge von San Andrés gestimmt haben, "um Fähigkeit zum Regieren zu demonstrieren", jene, die Straßenhändler verfolgen, Jugendliche, SexarbeiterInnen, Arbeiter, Campesinos, Indígenas, jene, die an den Orten, die sie regieren, zwangsräumen, rauben, unterdrücken, ausbeuten, diskriminieren, den Mächtigen hofieren und Naturschätze ins Ausland ausliefern.

Und was bringt es der lopezobradoristischen Bewegung, anstatt auf unsere Kritik mit Argumenten zu antworten, uns zu verleumden, zu entstellen, unverschämt zu lügen, uns bei unseren Veranstaltungen verbal anzugreifen, unsere Webseiten zu schließen, ihre Geschichte umzuschreiben? Was bringt es der lopezobradoristischen Bewegung, immer wieder zu sagen, sie sei die einzige, die in diesem Land kämpft, sie sei die einzige, die sich Calderón entgegenstellte, dass sie "die besten Autoren und Künstler" auf ihrer Seite hätten, und keine andere Organisation das gleiche von sich behaupten könnte? Was nützt ihnen diese Überheblichkeit gegenüber den Bescheidenen und jenen von unten?

Was bringt es der lopezobradoristischen Bewegung, uns weder zu sehen noch zu hören, noch die Toten zu sehen oder zu hören, die sie zu verantworten haben?

Ihr könnt sagen, dass dies nicht AMLO sei. Doch, das ist er. Das ist er immer gewesen, und das sehen nur die nicht, die es nicht sehen wollen. Ein Anführer hat die Verantwortung für das zu übernehmen, was er und seine Bewegung sagen und tun. Und die Mitglieder einer Bewegung auch.

So wie die zapatistischen Indígenas die Verantwortung dafür übernehmen, Indígenas zu sein und Zapatisten zu sein. Und weil sie dafür die Verantwortung übernehmen, werden sie vertrieben, schikaniert und angegriffen.

Vor einigen Monate traf eine internationale Karawane auf unserem Gebiet ein, um ihre Unterstützung für die zapatistischen Gemeinden angesichts der militärischen Einfälle zu demonstrieren. Wie man sich erinnert, kamen sie aus Griechenland, Italien, Frankreich, Spanien und anderen Ländern der Welt. Es ist uns aufgefallen, dass unter ihnen kein einziger Baske war. Wir dachten, wahrscheinlich haben sie sich nicht angemeldet oder stehen nicht auf der Liste. Der aufständische Oberstleutnant Moisés wurde von der Intergalaktischen Kommission beauftragt, dem nachzugehen, und es waren tatsächlich auch Basken mitgekommen, aber sie sagten mehr oder weniger, dass sie sich "gemeinsam mit den Spaniern angemeldet hätten, um keine Probleme zu machen". Wir sagten ihnen, dass wir uns nicht mit der halben Welt gestritten und das Recht der Basken auf ihre Unabhängigkeit öffentlich anerkannt hätten, damit sie sich dann unter den Spaniern verstecken müssten "um keine Probleme zu machen". Wir haben uns mit der halben Welt gestritten, um sagen zu können: Gora Euzkera! Gora Euzkal Herria!

Wenn wir für unseren Aufstand die Verantwortung übernehmen, wenn wir für unser Wort die Verantwortung übernehmen, wenn wir dafür der Gewalt der Regierung und ihrer Armeen und Polizei trotzen, wenn wir für unsere Toten die Verantwortung übernehmen, weiß ich nicht, weshalb wir nicht auch für unsere Wut die Verantwortung übernehmen sollten.

Compañeras und Compañeros,
Heute morgen mit einer kleinen Gruppe und heute Abend mit der ganzen Delegation haben wir uns mit den Compañeras und Compañeros versammelt, um zu entscheiden, was die Hauptbotschaft dieser Rede sein sollte.

Wir haben in den letzten Tagen, hier in San Cristóbal und davor in Mexiko-Stadt, viele und gute Worte gehört. Natürlich haben wir auch einigen Unsinn gehört.

Fast alle sind auf die Welt- und Nationalkrise eingegangen und auf die unheilvollen Tage, die sich nähern. Es gab aufrichtige Sorge. Aber es gab auch Freude. So, als ob jeder und jede einzelne, alleine oder im Kollektiv, wüsste, dass sie etwas haben, womit sie sich diesen Ängsten und Schrecken entgegenstellen könnten. Natürlich haben wir nicht aufgehört, uns zu fürchten und Angst zu haben, aber sie wurden anders. So als ob wir diese Furcht und diese Angst genommen und sie unter Kontrolle gebracht hätten, ihnen Ziel und Bestimmung verliehen hätten. So als ob wir das machen könnten, wovon uns Mariana, Italia und Norma erzählt haben. Als ob wir wüsten, dass kommen wird, was kommen mag.

Einige von denen, die zu diesem Festival beigetragen haben, haben in ihren Darstellungen oder Vorträgen ihre Sorge darüber geäußert, durch wen oder wie oder wodurch diese Bewegung geleitet werden soll. Es wurden Strukturen, Arten und Formen für diese große Bewegung vorgeschlagen, die sich sicher noch gegen das Dunkelste und Bösartigste erheben müssen wird. So wie sich die palästinensische Bevölkerung gegen das Verbrechen erheben wird, das heute auf ihrem Boden und gegen ihre Leute verübt wird.

Als Zapatisten, die wir sind, können wir euch ganz klar sagen, dass wir sehr froh darüber sind, dass die Zweifel und Fragen, die euch wach halten, nicht von der Art sind wie: "Was kann man denn nur machen?" oder "Was soll denn nur geschehen?"

Ihr und wir haben diese angesammelte Wut gesehen und gespürt.

Aber wir machen uns keine Sorgen darüber, durch wen oder wie oder wodurch diese Wut gelenkt werden wird. Auch nicht darüber, mit welchem Gang, Geschwindigkeit, Rhythmus und Begleitung. Wir sind nicht über die Geschwindigkeit des Traumes besorgt.

Wir haben gelernt, den Menschen zu vertrauen, der Bevölkerung, unserer Bevölkerung. Wir wissen, dass sie niemanden brauchen, der sie führt, dass sie sich ihre eigenen Strukturen verleihen, um zu kämpfen und zu triumphieren. Dass sie ihr Schicksal in ihre eigenen Hände nehmen, und das besser als die Regierungen, die sich von außen aufzwingen.

Nein, wir sind nicht über die Richtung der Bewegung besorgt. Nachdem wir den Compañero Carlos González vom Nationalen Indigenen Kongress gehört haben, sehen wir, dass wir die gleiche Sorge haben.

Wir sind über den Kurs und die Bestimmung besorgt. Wir sind darüber besorgt, was uns definiert, die Art. Wir sind darüber besorgt, dass die Welt, die unsere Wut hervorbringen wird, derjenigen ähneln könnte, die wir heute erleiden.

Gestattet uns, euch etwas zu erzählen: Die EZLN ist von der Hegemonie und der Homogenität durchaus versucht gewesen. Nicht nur nach dem Aufstand, auch schon vorher. Es gab die Versuchung, Arten und Identitäten aufzuzwingen. Dass der Zapatismus die einzige Wahrheit sei. Und es war die Bevölkerung der Gemeinden, die das in erster Linie verhinderte und uns dann beigebracht hat, dass es nicht so war, dass das hier nicht geht. Dass wir nicht eine Herrschaft mit einer anderen Herrschaft austauschen können, und dass wir jene überzeugen, nicht besiegen mussten, die so wie wir waren und sind, aber nicht wir selbst sind. Sie haben uns beigebracht, dass es viele Welten gibt, und dass der gegenseitige Respekt möglich ist und notwendig.

Und damit meinen wir nicht den Respekt, der von uns für jene gefordert wird, die uns angreifen, sondern denen gegenüber, die zwar andere Arten haben, aber das gleiche Streben nach Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie.

Und was wir euch deshalb sagen wollen ist, dass diese Pluralität, die in der Wut so gleich ist und im Fühlen so verschieden, der Kurs und die Bestimmung ist, die wir uns wünschen und vorschlagen.

Denn einige können Erklärungen gegen die Parteien und Organisationen machen, die, wie sie sagen, die Andere Kampagne hegemonisieren und homogenisieren, aber sobald man ihr eigenes Handeln kritisiert oder nicht damit übereinstimmt, lassen sie Schreie und Disqualifikationen los.

Wir sind nicht alle Zapatisten (worüber wir in einigen Fällen ganz froh sein sollten). Genauso wenig sind wir alle Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, Libertäre, Punks, Skater, Darks oder wie auch immer man seine Andersartigkeit nennen mag.

Es muss ein Wort für das geben, was wir euch sagen wollen. Und es ist uns eingefallen, das sich dieses eine, das der Compañero Jean Robert gestern benutzt hat, ganz gut dafür eignet: "Proportionalität".

Die Zapatisten und Zapatistinnen haben sich nicht vorgenommen, mit der Sechsten Erklärung ganz Mexiko zu organisieren und zu leiten, und schon gar nicht die ganze Welt. Was wir darin sagen ist: Hier sind wir, das sind wir, das wollen wir und so denken wir, dass man das tun sollte. Und wir erkennen darin unsere Grenzen, unsere Möglichkeiten und unsere Proportionalität an.

Wir sagen in der Sexta nicht, dass alle indigenen Völker in die EZLN eintreten sollen, noch sagen wir, dass wir die Arbeiter, Studenten, Campesinos, Jugendliche, Frauen und Andere anführen werden. Wir sagen, dass alle ihren eigenen Platz haben, ihre Geschichte, ihren Kampf, ihren Traum, ihre Proportionalität. Und wir sagen, dass wir uns darauf einigen sollten, gemeinsam für alle und für jeden einzelnen zu kämpfen. Dass wir eine Einigung erzielen zwischen unseren respektiven Proportionalitäten, damit das Land, das sich daraus ergibt, und die Welt, die erreicht wird, aus den Träumen aller und eines jedes einzelnen der Enteigneten gebildet wird.

Damit diese Welt so vielfarbig ist, dass keine der Alpträume, die wir unten erleben, Platz darin finden.

Wir sind darüber besorgt, dass auf dieser Welt, die durch so viel Kampf und so viel Wut geboren wurde, die Frau weiterhin mit allen Varianten der Verachtung betrachtet werden wird, die von der patriarchalischen Gesellschaft aufgezwungen wurde; dass die verschiedenen sexuellen Vorlieben weiterhin als selten oder krankhaft angesehen werden; dass weiterhin vorausgesetzt wird, dass die Jugend domestiziert, das heißt, zur "Reife" gezwungen werden muss; dass die Indígenas weiterhin verachtet und erniedrigt oder bestenfalls als edle Wilden gesehen werden, die es zu zivilisieren gilt.

Wir sind darüber besorgt, dass diese neue Welt ein Klon oder ein genetischer Abklatsch oder eine Fotokopie derjenigen sein wird, die uns heute entsetzt und abstößt. Wir sind also darüber besorgt, dass es auf dieser Welt keine Demokratie, keine Gerechtigkeit und keine Freiheit geben wird.

Deshalb möchten wir euch sagen, euch bitten, dass wir aus unserer Stärke keine Schwäche machen sollten. Unsere vielen Andersartigkeiten werden uns dabei helfen, die Katastrophe, die sich nähert, zu überleben, und uns erlauben, etwas Neues zu errichten. Wir möchten euch sagen, sie bitten, dass dieses Neue ebenfalls anders sein sollte.

Dies ist die Botschaft, die wir an euch weitergeben wollten. Dies ist unser Wort.

Vielen Dank an alle, die zu uns gesprochen und uns zugehört haben, und uns und sich selbst so mit der würdigen Wut angesteckt haben.

Freiheit und Gerechtigkeit für Atenco!
Freiheit, Gerechtigkeit und die Präsentierung der politischen Gefangenen und Verschwundenen!

für die Männer, Frauen, Kinder und Alten der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung

Subcomandante Insurgente Marcos



PS: Sieben Geschichten für Niemand
Siebte Geschichte: "Der Alte Antonio erzählt..."

Ein kalter, vereister und stiller Morgen findet uns wach vor, wie vor 15 Jahren. Und wie vor 25 Jahren zeichnet der Alte Antonio ein kleines Licht unter den Schatten, der wir sind, um sich seine Zigarette anzuzünden. Wir schweigen. Keiner sagt etwas. Wir warten. Der Alte Antonio beruft dann die Behaglichkeit des Wortes ein, das lindert, tröstet, Hoffnung spendet.

"Unsere ältesten Alten, unsere ältesten Weisen sagen, dass die allerersten Götter, die die Welt geboren haben, diese ohne irgendeine Ordnung gemacht zu haben scheinen. Dass sie nichts weiter getan haben, als die Einzelteile durcheinander zu werfen. Dass die Welt, die so geschaffen wurde, nicht nur eine war sondern viele, und alle waren ganz verschieden. Oder wie sie das sagen würden, es gab viele Geographien. Und unsere Weisen erzählen, dass sich daraufhin die Zeiten trafen, das heißt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, um sich bei den Göttern zu beschweren: "So geht das nicht weiter. Wir können bei diesem Durcheinander der Welten, das hier herrscht, unsere Arbeit nicht machen. Es sollte nur eine einzige geben, damit wir Zeiten unseren Schritt auf einem einzigen Weg zurücklegen können."
So sprachen diese Zeiten. Die Götter hörten sich also an, was die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft ihnen zu sagen hatten und sagten: "Also gut, wir werden sehen".
Die allerersten Götter, die die Welt geboren haben, versammelten sich dann, und man weiß nicht was sie besprochen haben, aber sie haben lange gebraucht. Und danach riefen die allerersten Götter die Winde und sagten zu ihnen folgendes: "Wir haben über eure Worte nachgedacht und möchten euch sagen, dass euer Gedanke nicht gut ist".
Die Winde fingen an zu murmeln, so ein Mist, verfluchter, da sind wir nun angeschmiert, weil wir keine Götter sind, und so weiter. Die Götter sagten ihnen, dass sie warten sollten, dass sie ihnen noch nicht alles gesagt hatten.
"Also gut", sagten die Zeiten und warteten ab, was kommen würde. Daraufhin erklärten ihnen die allerersten Götter, dass eine Zeit kommen würde, in der der Herrscher die ganze Welt beherrschen und alles auf der Welt versklaven wird wollen, dass er zerstören und töten wird. Dass die Macht des Herrschers groß und schrecklich war, und dass es auf der ganzen Welt keine Macht gab, die ihr ebenbürtig war. Dass die einzige Art gegen den Herrscher Widerstand zu leisten und zu kämpfen darin lag, viel und verschieden zu sein, damit der Herrscher nicht die Art eines einzelnen ergreift und damit alle schlagen kann. Dass die Götter verstanden, dass das Viele- und Anderswerden den Zeiten viel Ärger bereitete bei ihrer Arbeit und bei ihrem Gang durch all die Welten, die es auf der Welt gab, aber dass es eben nicht anders ging, und dass so entschieden wurde.
Und sie sagten ihnen, dass es für all die Welten, die es auf der Welt dann eben gab, keine gleiche Zeit geben würde, sondern es würde viele Zeiten geben. Oder wie sie das sagen würden, viele Kalender. Und die allerersten Götter sagten den Zeiten: "Es wird in jeder dieser Welten, die die Welt bilden, welche geben, die sich darauf verstehen, die Landkarte und die Kalender zu lesen. Und es wird eine Zeit kommen, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins werden, und dann werden alle Welten den Herrscher bezwingen."

So sprachen die allerersten Götter. Und die Zeiten hörten auf rumzumaulen, weil sie die Antwort schon kannten, und fragten, ob, wenn der Herrscher bezwungen war, die Welten dann in einer einzigen Welt zusammenlaufen würden. Und die allerersten Götter sagten ihnen, dass das die Menschen und Frauen dieser Zeiten zu bestimmen haben werden, dass sie dann sehen werden, ob das Anderssein sie schwach macht oder stark um Widerstand zu leisten und die Herrscher, die noch kommen werden, zu bezwingen".

Der Alte Antonio geht. Es ist immer noch kalt, aber ein kleines Licht bleibt zurück, fast wie damit der Schatten nicht alleine ist.

Und fertig.

Vielen Dank Compañeros und Compañeras und Compañeroas!