Berichte
von der Anderen Kampagne

Hier findet ihr verschiedene Berichte von einzelnen Stationen der Kampagne, wobei es sich um eine Zusammenstellung der mir bekannten auf deutsch erschienenen Texte handelt. Exemplarisch möchten wir damit einen Eindruck vom Verlauf der Kampagne vermitteln, aber auch darauf aufmerksam machen, daß es sich nicht um eine lückenlose Beschreibung sämtlicher Stationen, Treffen und Begegnungen handelt - eine solche ist möglicherweise auf den Seiten der Kampagne, auf indymedia oder narconews, sowie in den Archiven der La Jornada zu finden.

Cuernavaca & Tlalnepantla
(18. Mai)

Atenco: Tausende marschieren gegen die Repression
(13. Mai)

Michoacán: "Dritte Welt" für Indígenas
(15. April)

La Otra in Guanajuato
(14. März)

Die fünfte Woche, Oaxaca
(16. Februar)

Oaxaca-Stadt, Oaxaca
(8. Februar)

San Blas, Oaxaca
(6. Februar)

Villahermosa, Tabasco
(25. Jänner)

Chablekal, Yucatán
(18. Jänner)

Chetumal, Quintana Roo
(17. Jänner)

Huixtla, Chiapas
(12. Jänner)

Ejido Nuevo Villaflores, La Trinitaria, Chiapas
(12. Jänner)

Tonalá, Chiapas
(9. Jänner)

San Cristóbal de las Casas
(4. Jänner)

 

 


San Cristóbal de las Casas
4. Jänner

Subcomandante Marcos rief die "einfachen und bescheidenen" Leute dazu auf, die Partei der institutionalisierten Revolution (PRI) zu verlassen, "die vom Blut, der Erniedrigung und dem Tod der indigenen Völker Mexikos gelebt hat".

Am vierten Tag der Anderen Kampagne traf sich Delegado Zero (Delegierter Null, d.h. Subcomandante Marcos) mit etwa 200 Evangelikalen des Indigenen Repräsentantenrates des Hochlands von Chiapas (CRIACH abgekürzt auf Spanisch).
Er versicherte, "die PRI besteht aus kompletten Mistkerlen, Mördern und Lügnern, von (Parteivorsitzendem) Roberto Madrazo bis zum niedrigsten Partei-Organisator" und machte die PRI-Führer von San Juan Chamula für die religiösen Vertreibungen verantwortlich, die im Hochland von Chiapas in den letzten 30 Jahren 40.000 Menschen zur Flucht zwangen.
"Wir müssen allen Mitstreitern, die einfache und bescheidene Leute sind, sagen, dass sie diese politische Partei verlassen sollen, damit sie ihre Hände nicht weiter mit Blut beflecken und andere bereichern", sagte Marcos.

"Regierungen kommen und gehen nach dem Willen der PRI und die Indigenen leben ohne jegliche Wertschätzung. Hier in La Hormiga, wo die PRI ihre Nase reinstecken und die Leute entzweien möchte, meine ich: Ein für alle mal sollten wir dieser Partei klar machen, dass sie sich verziehen soll, dass sie alle von hier verschwinden sollen."

Am Nachmittag nahm Marcos an einem Festival für die Verbreitung der Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald auf der Piazza der Kathedrale teil - zusammen mit tausenden von Menschen.
Er sprach davon, dass nicht die Regierung für die Veränderung dessen sorgen würde, was schlecht läuft in der Gesellschaft. "Wir müssen das hier unten selber machen, dort wo eine Art des Denkens geboren wird, die uns auf den Weg zur Veränderung dieser Gesellschaft führt, von unten und von links, wie wir sagen."
Deshalb, so erklärte er, hätten die Zapatisten die Nummer oder den Namen Null gewählt. "Wir wollen die absolute Null sein, die keinerlei Wert hat für die Welt dort oben. Wir haben uns untergeordnet, um eine Null von unten und von links zu sein."

Tonalá, Chiapas
9. Jänner

Nach der Wiederaufnahme der Anderen Kampagne, die am letzten Freitag aufgrund des Todes von Comandanta Ramona unterbrochen worden war, erklärte Delegado Zero vor ungefähr 200 Personen, die sich im Kinopalast in Tonalá versammelt hatten, dass "der zivilisierte, anständige und friedliche Weg" der Wahlen "dieses Land mit Verbrechen gefüllt hat".
Ironisch ermahnte er Präsidente Fox auch an die Nichterfüllung seines Wahlversprechens, den bewaffneten Konflikt in Chiapas innerhalb von 15 Minuten lösen zu können. Daraufhin merkte er an, dass das Problem von Chiapas das gleiche ist, das in allen Bundesstaaten Mexikos existiert: das kapitalistische System.

Nach zwei Stunden, und Redebeiträgen von ungefähr 30 Personen, die über verschiedene Probleme im Bezirk und in ganz Mexiko sprachen, ergriff der Sup für 45 Minuten das Wort, als es keine Wortmeldungen mehr gab und viele Anwesende ihn um eine Ansprache baten.
Zunächst erzählte er einen Teil der Geschichte des Aufstandes von 1994, wobei er auch den ehemaligen Präsidenten Carlos Salinas de Gortari erwähnte. "Wir warteten auf die Stunde um zu sagen, dass es uns reichte, als dieser Verbrecher namens Carlos Salinas de Gortari kam, der hier anspazierte und den Verfassungsartikel reformierte, der das Recht auf Land garantierte, was bedeutete, dass wir Campesinos und Indígenas von nun an weder Recht auf Land haben würden, noch darauf Protestmärsche, durchzuführen oder Forderungen zu stellen oder irgend etwas. Und da sagten wir "das ist der Augenblick", und wir mussten uns entscheiden entweder zu sterben und als Kultur und menschliche Wesen zu verschwinden, oder zu den Waffen zu greifen."

Beim Erzählen dieses Teils der Geschichte der zapatistischen Bewegung, erinnerte er sich erneut an Ramona und richtete den Blick auf die Wand zu seiner Rechten, wo auf einem Behang zu lesen war: "Jene die für das Leben sterben, können nicht tot genannt werden. Keine Minute des Schweigens, sondern ein Leben des Kampfes! Es lebe Comandanta Ramona!"
"Die Frau, die wir am 6. Jänner verloren haben, Comandanta Ramona, war eine bescheidene und einfache Frau", so wie es alle großen sozialen Kämpfer sind, betonte der zapatistische Anführer. "Sie kennen mich besser, weil ich die Aufgabe des Sprechers habe, nicht weil ich höhergestellt wäre als meine Compañeros. Besonders dieser Compañera komme ich nicht einmal nahe, weil sie immer barfuss lief, und obwohl sie so klein war, musste ich immer zu ihr hinaufschauen", erklärte er.
Die zapatistische Bewegung, so Delegado Zero, "ist weder jetzt, noch war es jemals, noch wird jemals Marcos sein, so wie die Andere Kampagne niemals einen Anführer haben wird".

Der kurz davor erfolgte Beitrag des PAN-Anhängers Andrés Marcial Corzo, gab Marcos die Gelegenheit die Nationale Aktionspartei zu kritisieren, und insbesondere die Ehefrau des mexikanischen Präsidenten. Der tonaltekische Professor sprach von der "Verwirrung" und "Überraschung", die die Andere Kampagne bei ihm hervorgerufen hätte, durch ihre Einstellung gegen die politische Parteien und ihre Präsidentschaftskandidaten. "Wenn wir uns nicht an den politischen Parteien beteiligen. Wie wollen wir dann an die Macht kommen?" fragte der PAN-Anhänger.
"Ich möchte mich gerne auf das beziehen, was ein Herr von der Nationalen Aktionspartei gesagt hat, darüber dass er sich Sorgen macht, weil uns immer beigebracht worden sei, dass der zivilisierte, friedliche und gesetzliche Weg der Wahlen, der einzige Vorschlag ist, der in Frage kommt, und dass die Andere Kampagne etwas anderes vorschlägt, und er darüber besorgt ist, was passieren wird", begann der Rebellenanführer.

Er ging zum Angriff über: "Dazu sagen wir, dass dieser zivilisierte, anständige und friedliche Weg dafür gesorgt hat, dieses Land mit Verbrechen zu füllen. Oder ist es etwa nicht kriminell, dass Señora Marta Sahagún de Fox, die Ehefrau von Señor Fox, der sagt er sei der Präsident von Mexiko, sich so zeigt, dass heißt, so verhält, als hielte sie ein öffentliches Amt inne, obwohl niemand sie gewählt hat? Und sie gehört genau der PAN an. Wie soll jemand aus der PAN Ihren Kindern beibringen für die Demokratie zu kämpfen, wenn sie gemeinsame Entscheidungsgewalt über die Schicksale eines Landes ausüben, obwohl niemand sie für diese Aufgabe gewählt hat?"
Marcial Corzo, so Marcos weiter, nachdem der Applaus verklungen war, "sprach hier, und wir haben ihm zugehört. Als eine Frau wie Ramona, eine Indígena namens Esther, den Bundeskongress betrat um in 2001 unsere Forderungen zu präsentieren, marschierten alle PAN-Mitglieder hinaus, weil sie es nicht tolerierten, eine Indígena zu sehen, die nicht zur Dienerschaft gehörte".
Dann fragte er: "Ist dies das Land oder die zivilisierte Weise, die wir unseren Kindern vererben wollen, wo die Hautfarbe eines jeden, oder die Art zu sprechen, Grund ist, verhöhnt zu werden?" Er erklärte, die politische Elite des Landes "empfindet für Sie, für uns, nur tiefste Verachtung. Wir sind nicht würdig von ihnen zur Kenntnis genommen zu werden, nicht einmal um uns zu sagen, dass wir schlecht sind. Für sie existieren wir nicht ".

Vor einem aufmerksamen Publikum von Jugendliche und Erwachsene, fuhr Delegado Zero fort: "Diese zivilisierte Welt, die uns jene anbieten, die über Demokratie und politische Parteien reden, ist in Wahrheit die schlimmstmöglichste Welt, voller Verbrecher, und die Demokratie, die sie uns anbieten, liegt darin zu wählen wer uns töten, einsperren, ausrauben und verhöhnen soll. Ist das die Demokratie für die wir gekämpft haben und kämpfen werden? Es ist die Freiheit mir meinen eigenen Henker auszusuchen, und wir sagen: 'Nein, die Henker sollen alle gehen, Politik soll nicht mehr betrieben werden um Macht auszuüben, Geld zu verdienen und die anderen zu unterdrücken, sondern sich in eine andere Politik verwandeln."

Ejido Nuevo Villaflores, La Trinitaria, Chiapas
12. Jänner

Subcomandante Marcos hob hervor, dass Regierende, die die mexikanische Gesellschaft ausbeuten, ins Gefängnis gehen oder das Land verlassen sollten, denn "es wäre gerecht, dass die Menschen die morden, demütigen und betrügen ins Gefängnis sitzen sollten, statt denjenigen die dafür kämpfen die Lage für alle zu verändern". Bei einem Akt, der von der erfolgreichen Zusammenführung zweier miteinander verfeindeten Organisationen im Rahmen der anderen Kampagne, und von einer Verschärfung seines Tonfalles charakterisiert war, erklärte Delegado Zero, die Zapatisten hätten beschlossen als Teil dieser Initiative mit verschiedenen Gruppen gemeinsam zu marschieren und ihre Kräfte zu vereinen, um ein Wandel des Landes zu bewirken.
"Wir wollen nicht nur Krach schlagen, sondern wir wollen dieses Land verändern, und der einzige Vorschlag um es in etwas Gerechtes, Demokratisches und Freies zu verwandeln, kommt von der Linken". Obwohl "es sicher viele linke Gedankenströmungen gibt, haben wir auch etwas gemeinsam, den Feind: der Kapitalismus".

Am Morgen reiste Marcos von Huixtla zu diesem Ejido nahe der Grenze zu Guatemala, wo er von etwa 800 Mitgliedern der Organisationen Campesina Emiliano Zapata Independiente y Democratica und der Proletaria Emiliano Zapata-Historica erwartet wurde, die ihm ihre Unzufriedenheit mit den hohen Strompreise, der Ausbeutung der Ressourcen durch Petróleos Mexicanos, dem Landmangel und der Einsperrung einiger ihrer Compañeros verdeutlichen wollten.
Hier sagte Marcos, um die Situation zu verändern, müssten alle Kräfte sich zusammenschließen und "ein stärkeres und lauteres Ya basta! aufbauen, als das des 1. Jänners 1994, das dieses Land aufbrechen und auf gleichberechtigtere, freiere und souveränere Weise wieder aufbauen wird".

Er kritisierte erneut den Vertrag von Chapultepec, weil es ein "Plan der Vernichtung, des Raubs und der Ausbeutung des Landes ist", um den sich die Klasse der Reichen vereint hat um die Wahlen "in einen Zirkus zu verwandeln und zu wählen wer uns ausbeuten soll", mit einer falschen Hoffnung der Veränderung. "Die Mächtigen, die Bourgeoise und die Politiker, die ihnen dienen, haben die ganze Zeit versucht uns zu spalten und uns gegeneinander aufzuhetzen, einfache Menschen, die auf dem Feld arbeiten, die Maschinen und die kleinen Läden betreiben, die dieses Land zum Laufen bringen", fügte er hinzu.

"Die Reichen des Landes vereinen sich mit dem sogenannten Vertrag von Chapultepec, um ihren Plan der Vernichtung, des Raubes, der Ausbeutung und der Verhöhnung aller zu entwerfen", betonte er, aber im Gegenzug dazu bilde sich die Andere Kampagne heran, "unsere Organisationen, die bereits beschlossen haben sich zu verbrüdern und gemeinsam voranschreiten".

Die Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald "bedeutet, dass wir unser Blut und unser Leben für alle einsetzen", und dieses Angebot gelte "nicht mehr nur für die indigenen zapatistischen Völker, sondern auch für die Arbeiter, Campesinos und Lehrer im ganzen Land" erklärte er.

Der Bitte folgend für die Freilassung der politischen Gefangenen zu sprechen, erklärte Delegado Zero, in diesem Land sei es "ein Verbrechen arm zu sein und dafür zu arbeiten das zu ändern". In Gegenzug "laufen die Großgrundbesitzer, die Rinderbarone, die großen Geschäftsleute, die großen Kommerzzentren, die großen Politiker, die Morde, Verhaftungen und Unterdrückung anordnen, und die Millionen von Pesos stehlen, und manchmal nicht einmal mit Pesos zufrieden sind, sondern Dollar wollen, frei herum", aber jene die kämpften um die Dinge zu ändern, würden eingesperrt. "Wir sagen allen Compañeros, die hier sind, und den gefangenen Compañeros, die zuhören, dass wir sie nicht aufgeben werden, dass unser Kampf sie nicht vergessen wird, und dass wir ihre Namen bei jeder Gelegenheit ins Spiel bringen und unsere Kräfte vereinen werden um Gerechtigkeit zu fordern."
"Gerecht wäre es, dass diese Compañeros und Compañeras aus dem Gefängnis frei wären, und diejenigen, die uns in den Bezirksrathäusern, den Staatsregierungen, den Abgeordnetenkammern, im Senat, im Präsidentenpalast der Republik und in den Staatsministerien regieren, eingesperrt würden oder das Land verlassen müssten."

Huixtla, Chiapas
12. Jänner

Die humanitäre Hilfe, die für die Opfer von Hurrikan Stan an der Küste und im Bergland von Chiapas bestimmt war, wird von der Regierung benutzt, "um Wahlpropaganda zu betreiben und um die Armen zu überzeugen, ihre Wahlstimmen im Tausch für ihre elementarsten Notwendigkeiten zu verkaufen", bestätigte Subcomandante Marcos, mit dem Vorschlag an die Betroffenen sich zu vereinigen und die nächsten Wahlen zu boykottieren, falls die Behörden ihre Forderungen nicht beantworten.
"Die Autorität soll wissen: wenn sie ihren Zirkus und ihre Wahlpropaganda betreiben wollen, müssen sie zuerst das erfüllen, was sie bereits versprochen haben", so Delegado Zero weiter, vor einigen hunderten Personen, viele von ihnen aus den Unterstützungsbasen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung des Berglandes und der Küste von Chiapas und Studenten der Autonomen Nationalen Universität von Mexiko (UNAM)

"Wenn sie so (an den Wahlen) interessiert sind, wenn sie ihre Wahlpropaganda betreiben wollen, müssen sie erst die Arbeiten für die Infrastruktur leisten, um zu verhindern, dass sich das, was mit Stan passiert ist, wiederholt, denn bald kommt die Regenzeit und die Flüsse werden überlaufen, die Strassen werden unpassierbar und die Hügel werden abgeschnitten sein", betonte er.

Nachdem etwa 20 Personen gesprochen hatten, ersuchten die Assistenten Delegado Zero um eine Ansprache. Marcos bat darum, jene sprechen zu lassen, die etwas sagen wollten, damit die "Schwierigkeiten, die von der Regierung verursacht werden, die die Unterstützung klaut" bekannt werden, denn nun da die Dringlichkeit von Stan vorbei ist, ginge es in der Presse und im Fernsehen "nur noch um die Wahlkampagne".
Er erzählte, auf seiner Reise von Tonala in diese Stadt sei ihm berichtet worden, dass die Regierung "Maschinen einsetzte, weil die Presse vorbeikam. Es steht gar nichts; es macht den Anschein, als ob sie die ganze Zeit gearbeitet hätten, aber alles ist zerstört."

"Das was wir als Zapatisten vorschlagen und unterstützen, ist dass sich diese gesamte Bewegung an der Küste und im Bergland von Chiapas zusammenschließt, und der Regierung klar sagt, dass es weder Wahlpropaganda noch Wahlen geben wird, wenn sie ihrem Versprechen, den Opfern zu helfen, nicht nachkommen, weil sie bereits angekündigt haben, das Geld zu haben, und jetzt sieht man, daß sie es klauen, weil es gar nichts gibt."
Wie er feststellte, "sparen sie das ganze Geld auf, um es in den Wahlen in kleinen Summen gegen Stimmen zu tauschen. Die Autorität soll wissen: wenn sie ihren Zirkus und ihr Wahlpropaganda veranstalten wollen, müssen sie zuerst erfüllen, was sie angekündigt haben".
Von der Hilfe, die für die Opfer bestimmt war "ist gar nichts angekommen", beharrte er. "Das haben wir nicht etwa erfunden, das wurde hier von den Menschen denunziert, die alles verloren haben".

Chetumal, Quintana Roo
17. Jänner 2006

"Auf den Friedhöfen und in den Gefängnissen sind die, die für soziale Gerechtigkeit kämpfen, während die Kriminellen an der Regierung sind" sagte der Delegierte Null Marcos auf einer Versammlung mit Sympathisanten in der Stadt Chetumal, der Hauptstadt von Quintana Roo am Sonntag. "Es sollte andersherum sein und eines Tages wird sich alles ändern. Bis das geschieht", beschwor Marcos die Versammlungsteilnehmer "nicht aufzugeben und eure Kämpfe weiterzukämpfen." Den ganzen Tag über traf er Sympathisanten und Teilnehmer der Anderen Kampagne, um ihren Geschichten über Kämpfe vor Ort zuzuhören.

In einer Rede später in der Nacht im Park La Alameda, der ersten öffentlichen Veranstaltung außerhalb von Chiapas, bezog er sich auf die Kämpfe, von denen er während der Versammlungen gehört hatte. Er erzählte einer Zuhörerschaft von rund 700 Personen, er sei nicht zu ihnen gekommen, um die Bewegungen anzuführen, die in der Gegend lang und hart gekämpft hätten, sondern um von ihnen zu lernen, denn die Zapatisten "brauchen eure Hilfe".
"Es gibt eine Menge Schmerz hier", sagte er, "Ich habe heute viele Geschichten über Schmerz gehört." Er ging speziell auf den Schmerz der Mayakleinbauern von Nicolás Bravo ein, die illegale Aneignung von hunderten acres ihres Ejidos (in etwa: Landreformgenossenschaft) und die gewaltsamen Übergriffe des Staates gegen die Gemeinschaft Mahahual, die gegen den Raub ihres Küstenlandes kämpft.

Zwei Kleinbauern aus Nicolás Bravo waren die Ersten, die mit dem Subcomandante sprachen in der ersten von zwei Versammlungen, die den Großteil des Tages dauerten. Es hätten gern mehr Leute aus ihrem Ejido an der Versammlung teilgenommen, aber pünktlich wie ein Uhrwerk trafen Lastwagen der PRI in ihrer Stadt ein, die Lebensmittel, Laken, Kleidung und Geld verteilten, um die Kleinbauern dazu zu bewegen, sich nicht von der Stelle zu rühren.
Der jüngere der beiden Bauern sagte: "Ich sorge mich besonders um den Artikel 27 der Verfassung, der die Agrarangelegenheiten reformiert hat. Und hier in Quintana Roo haben viele Ejidos Versammlungen abgehalten, um zu entscheiden, ob sie an PROCEDE (dem Regierungsprogramm zur Privatisierung von Gemeinschaftsland) teilnehmen wollen und viele indigene Gemeinschaften wollen das nicht. Und nicht alle Ejidos akzeptieren den Vorschlag der Regierung. Deswegen wollte ich fragen, was dieses Projekt für unsere Gemeinschaft bedeuten würde."

Marcos erklärte:"Seit der Reform durch (den früheren Präsidenten) Salinas und dann durch Zedillo und Fox hat der Staat dem Ejidoland und dem Gemeinschaftseigentum ein Ende gemacht .. indem er es in Land verwandelt hat, das gekauft und verkauft werden kann. Und damit beginnt die ökonomische Offensive, die die Bauern soweit in die Armut treibt, daß sie nichts mehr als ihr Land anzubieten haben. Und die Reform erlaubt ihnen es zu kaufen und zu verkaufen, aber die Bauern sind so arm, daß die einzige Möglichkeit darin besteht zu verkaufen. Also verkaufen sie."

Um einen kleinen Tisch herumhockend dauerte der Meinungsaustausch um PROCEDE ungefähr 20 Minuten: Sie unterhielten sich über mexikanische Geschichte, Landfragen, die Erfahrung der Zapatistas und Konflikte mit der Regierung. "Früher gehörte das Land nicht denen, die es bearbeiteten," sagte Marcos, "und jetzt ist die Situation die gleiche. Das Land gehört nicht mehr denen, die es bearbeiten. Damals organisierte General Emiliano Zapata den Aufstand, jetzt ist es an uns, den Kampf in unsere Hände zu nehmen."
Die beiden Bauern unterbrachen ihn von Zeit zu Zeit, um Fragen zu stellen und drückten ihr Einverständnis mit den Antworten des Delegierten durch Nicken aus. Die alten Männer erklärten, daß jedes Mal, wenn die Gemeinschaft versucht habe, sich zu organisieren, die Regierung eingriff, um sie zu unterdrücken oder mit Geschenken zum Schweigen zu bringen.

"Bist du Marquitos (Marcoslein)?", fragte ein anderer, sehr viel älterer Bauer. "Ja", antwortete der Zapatista. "Gut. Sieh mal, wir haben dreißig Jahre lang gekämpft und sind müde. Und es gibt keine Hilfe." Der alte Mann fing an zu erzählen wie, egal wer auch an der Regierung ist, es nie dauerhafte Veränderungen in seiner Gemeinschaft gegeben hat. Er wurde immer frustrierter, als er von den Politikern erzählte, die die Unterstützung der Gemeinschaft verlangt hatten. Schließlich schien es ihm zu viel zu werden und er fing an, visitenkartengroße Wahlkampfpropagandakarten aus seiner Tasche zu holen. Er warf eine nach der anderen vor dem Subcomandante auf den Tisch, während er die Namen der Politiker verfluchte.

Tatsächlich waren Landkonflikte und Mexikos im Niedergang befindliche Parteien ein immer wiederkehrendes Thema. Einer der heißesten Landkonflikte der Region ist die Kontroverse über den Ausbau des Internationalen Flughafens von Chetumal. Der Flughafen wurde in den vierziger Jahren gebaut, aber die vertriebenen Bauern, die auf dem Ejidoland gelebt hatten, auf dem der Flughafen gebaut wurde, erhielten nie eine Entschädigung für ihr Land. Unter dem Transparent "San Salvador Atenco marcó el camino" (in etwa: "San Salvador Atenco hat gezeigt, wie es geht"), in Anspielung auf den erfolgreichen Widerstand von Bauern gegen den Bau eines internationalen Flughafen außerhalb von Mexiko-Stadt verlangen die Bauern von Chetumal Entschädigung für die 229 Hektar, die ihnen auf illegale Weise weggenommen worden waren.

Nach einem Treffen mit den Bauern in 2001 sagte der damalige Gouverneur Joaquín Hendricks Díaz der Zeitung El Día, daß der Flughafen das Herzstück seines Planes, "(Quintana Roo) mit Belize, Guatemala und Zentralamerika zu integrieren" sei und daß "es den langgehegten Traum verwirklichen (würde), Chetumal zum strategischen Herzen der Mayawelt zu machen."

Die Umsetzung des Plans Puebla-Panamá (PPP) - einer von der Weltbank inanzierten Initiative für Zentralamerika und Südmexiko - sieht den Ausbau des Flughafens von Chetumal vor, damit die Stadt als regionaler Knotenpunkt für Tourismus und Handel dienen kann. Die Entscheidung, den Flughafen unter den Vorzeichen des PPP zu erweitern, hat die Forderungen der Bauern nur noch verschärft. "Der Plan Puebla Panamá ist nichts anderes als eine perfekte Definition der Interessen einiger weniger Ausländer in unserem Land", sagt Álvaro Marrufo, der als Vertreter des Ejido von Chetumal gekommen war, um mit Marcos zu sprechen.
Marrufo erzählte der Menschenmenge, daß die Regierung den Flughafen auszubauen und dann zu privatisieren beabsichtige und daß sie trotz des beträchtlichen Profits, den sie sicher beim Verkauf erzielen würde, die Gemeinschaft landlos zurücklassen würde. "Ich denke, es ist offensichtlich, daß es die Absicht der Bundes- und der Staatsregierung von Quintana Roo ist, uns von unserem Land zu vertreiben, um es zu kommerzialisieren und es später mit einem saftigen Profit an internationale Konzerne zu verkaufen."
Jüngst beschlagnahmte die Regierung 220 acres Land von den an den Flughafen anliegenden Wohngebieten. Wiederum, so Marrufo, wurden die rechtlichen Bestimmungen komplett ignoriert und die Anwohnern wurden gezwungen, eine lächerlich niedrige Summe anzunehmen. "In einem unverhohlenen Schritt, unser Land zu enteignen, wird dieses Land illegalerweise von der staatlichen Institution kommerzialisiert, die die Behörde ist, die laut dem Gesetz für unsere Rechte als Ejidatarios (Mitglieder einer Landreformgenossenschaft)kämpfen sollte", fügte er hinzu.

Fernando Cortés de Basdefer, ein Archäologe, der den Delegierten Null und die Versammlungen in seinem Haus beherbergte, kommentierte: "Die Bauern haben sich entschlossen, in dieser Sache nicht einen Schritt zurückzugehen, weil sie nicht bezahlt wurden und solange dies nicht geschehen ist, wird ihr Kampf weitergehen."

Die Küstenstadt Mahahual hat ein ähnliches Problem. 1979 schloß sich eine Gruppe von Familien in der Asociación Hermanos Flores Magón zusammen, um gegen den Landraub durch Tourismusunternehmen zu kämpfen, als der Touristenboom von Cancún südwärts nach Chetumal kroch. Ein Stück Land wurde gegen ihren Willen an Isaac Hamui Abadi verkauft, einen reichen Unternehmer mit guten Beziehungen zu Ex- Gouverneur Joaquín Hendricks Díaz. Abadi hat eine Mauer um seinen Besitz gebaut, m die Bewohner Mahahuals daran zu hindern, den Strand in der Nähe seines Landes zu betreten.
Einer der Führer der Asociación, Sergio Benjamín Carvajal Rejón, zeigte Ihren Korrespondenten einen Stapel Briefe, die er an staatliche Behörden geschickt hatte, in denen er sie aufforderte, einzugreifen, um den Konflikt zu lösen. Zu dem Stapel ehörte auch eine kleinere Zahl von Antwortbriefen. Eine Antwort der Staatsregierung besagte, es sei "technisch und rechtlich unmöglich" einzugreifen. Ein anderer Brief, dieser aus der Feder Carvajals, schildert die Gewalt- und Einschüchterungskampagne gegen die Mitglieder der Asociación.

Carvajal sprach zum Publikum der Versammlung: "Wenn ihr alle geht", sagte er, indem er in Richtung der Presse und des Tisches, an dem Marcos saß, nickte, "wenn die Presse gegangen ist, wenn all das vorbei ist und alle zurück nach Hause gehen, werden wir hier sein, um die Repression zu empfangen, die sicher durch die Regierung oder ihre Komplizen erfolgen wird."
Carvajal fügte hinzu, daß die Menschen in Chetumal sich fortlaufend der Repression durch die Regierung ausgesetzt sehen und daß sie Kommunikationsmöglichkeiten oder Medien brauchen, die den Rest des Landes und der Welt aufrütteln angesichts "der Repressalien, der Ungerechtigkeiten, die die Regierung uns antut." Eine seiner größten Beschwerden; abgesehen von der Gewalt gegen ihn und seine Kollegen, war, daß die Regierung sie im wahrsten Sinne des Wortes ausschließt: "Wenn sie mich kommen sehen, verriegeln sie die Tür der öffentlichen Behörden, als wenn sie geschlossen wären."

In Chetumal und dem Rest von Quintana Roo wird der Delegierte Null über diesen und andere Kämpfe informiert, die die Menschen dieses Staates ausgefochten haben. Hier ist kein Mangel an Geschichten für den Subcomandante, Geschichten von und über Menschen, die von unten aus kämpfen und nach links. Er kam in dieses Land der Maya, um die neuste Mission der Zapatistas voranzubringen, wie sie in der 6. Deklaration aus dem Lakandonischen Dschungel beschrieben wird:

"Was wir euch fragen werden, ist, wie eure Leben verlaufen, euer Kampf, eure Gedanken darüber, wie es um das land steht und was wir tun können, damit sie (die Neoliberalen)uns nicht besiegen, ... Und je nach dem, was wir hören und lernen, werden wir.. einen nationalen Kampfplan konstruieren, aber einen Plan, der klar ein linker sein wird, das heißt antikapitalistisch, oder antineoliberal, oder was auch gesagt werden muß, für Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit für das mexikanische Volk."

Auf der Tribüne im Park La Alameda sagte Marcos der Menschenmenge ruhig: "Wir müssen uns entscheiden, ob wir weiterhin mit dem gegenwärtigen Land leben wollen, das uns ausschließt, oder ob wir ein anderes aufbauen. Das ist die Alternative." Und er stellte klar: "Wir sind nicht hierhergekommen, um euch aufzufordern, zu sterben oder zu töten; stattdessen sind wir hierhergekommen, um euch einzuladen, kämpfend zu leben, aber nicht mehr allein, von einander getrennt, so daß es keinen anderen Jänner 1994 geben muß, so daß niemand sonst sein Gesicht verdecken muß, um gesehen zu werden."

Chablekal, Yucatán
18. Jänner

Am Mittwoch erreichte die Andere Kampagne (AK), begleitet von einer Sicherheitskarawane örtlicher Gruppen die kleine Gemeinde Chablekal in Yucatan. Der öffentliche Teil lief weitestgehend wie die früheren Stationen der AK ab, mit dem Delegierten Null als aufmerksamem Zuhörer, während die örtlichen Mayas und Mestizos über ihre sozialen Kämpfe und politischen Probleme berichteten. Aus einer Versammlung von ca. 200 Personen berichteten 39 Menschen über "Wut und Schmerzen", einschließlich Problemen mit Fischereirechten, Arbeitsrechtsverletzungen, Löhnen und der "Schandmauer", an die die Migranten an der US-Grenze stießen. Marcos äußerte wie üblich beißende Kritik an der offiziellen Politik, verbunden mit einem gewissen Maß an Optimismus, der ziemlich schnell zum zentralen Element der AK geworden ist. Marcos beschrieb die AK als den Beginn einer antikapitalistischen Bewegung, die die korrupten, traditionellen Machtstrukturen herausfordert. Er rief die Yucatecos auf, sich mit den kämpfenden Gemeinden in ganz Mexiko zu vereinigen und sich von unten links Kraft und Inspiration zu holen.
Während des kurzen Aufenthalts in Chablekal hatte Marcos ferner persönliche Treffen mit Gruppen von Fischern, Ejido-Eigentümern, Kunsthandwerkern und Anarchisten. Am Freitag besuchte Marcos Chichen Itza, eine kleine Gemeinde, die ursprünglich nicht auf dem Plan der Reise stand und wo Kunsthandwerker um Platz für Verkaufsstände in der Nähe historischer Ruinen kämpfen. Später am Tag sprach die AK mit etwa 1000 Menschen auf dem zentralen Platz von Merida. Präsident Fox und der Gouverneur Patricio Patron waren Ziel besonders harscher Kritik. Marcos warnte sie davor, Yucatan in eine gigantische Hacienda verwandeln zu wollen. Lokale Akteure berichteten, dass die AK viele tiefgehende Diskussionen mit der allgemeinen Bevölkerung ausgelöst hat, was sicher zu den Hauptzielen zählt.


Villahermosa, Tabasco
25. Jänner

"Der Glaube, Politiker könnten sich ändern, ist eine Mißdeutung der 6. Erklärung. Es ist notwendig, den Kapitalismus zu beenden und unsere Kräfte im Kampf gegen ihn zu vereinen".
Marcos erreichte Villahermosa 10 Minuten vor Roberto Madrazo, so dass drei Polizeiautos vor ihm herfuhren was die PRIistas, die die Straße säumten, zu wildem Applaus veranlasste, der schnell erstarb, als sie entdeckten, dass sie dem Falschen zujubelten. Die Karawane der Anderen Kampagne (AK) in Villahermosa hatte den bisher kürzesten Begleitkonvoi, bestehend aus drei oder vier Autos vorneweg, dem Transporter, in dem der "Delegierte Null" saß, gefolgt von einem weiteren Transporter, der mit roten Sternen und den Initialen "EZLN" bedeckt war, und ein paar weiteren Autos.
So kreuzten die "alte Politik" und "die neue Art, Politik zu machen" kurzzeitig ihre Wege. Marcos traf sich mit ein paar Dutzend Anhängern der "Sexta tabasqueña" in der kleinen Kunstgalerie "Mukul Ja" (was "Verborgenes Wasser" in der Mayasprache Chontal bedeutet). Trotz der abgrundtiefen numerischen Differenz der beiden politischen Ereignisse, war die Kunstgalerie ganztägig von der Presse und Dutzenden Spionen aller drei staatlichen Ebenen umringt.

Marcos hörte den Teilnehmern zu und machte sich, wie er es oft bezeichnete, "Notizen". Das Treffen, an dem Mitglieder der Unabhängigen Zapatistischen Bauernbewegung (MAIZ), des Komitees für Gewerkschaftsbewegung und -orientierung (CAOS) und der Ländlichen Indigenen und Volksgewerkschaftsfront teilnahmen, dauerte bis in die Nacht. An dem Treffen nahmen ferner Kulturschaffende wie der Schriftsteller-Workshop "Erwachender Jaguar" und ein Studenten teil.
Die Gewerkschaftsfront bringt u.a. Öl-, Telefon- und Sozialarbeiter zusammen, wenngleich in kleiner Zahl. Doch dies sei "ein Schritt vorwärts in Tabasco, wo die politische Kultur stets von der PRI und seit kurzem teilweise von der PRD bestimmt wurde. Aber jetzt sehen wir endlich andere Alternativen", so Alfredo, ein Ölarbeiter bei Pemex.
Ein anderes Mitglied von CAOS sagte, dass Pemex für soziale Zwecke enteignet werden müsse, sowohl materiell als auch symbolisch, so wie die Salinas-Regierung 1994 während der Verhandlungen in San Cristobal durch die EZLN von der mexikanische Flagge enteignet wurde. "Wir sind wenige, aber zuvor war da niemand", sagte ein anderer Ölarbeiter.
Zentraler Punkt für die Anhänger der Sexta in Tabasco ist die Schaffung eines gemeinsamen Raumes, um die Isolation zu überwinden. Moisés, Philosoph und Lehrer an der Indigenen Universität, forderte "kulturelle und ideologische Bildung, die Bewusstsein schafft."
Einwohner aus Chacalapa (ein Dorf im Landkreis Jalpa de Méndez) beklagten die Anwesenheit von Cisen-Agenten (Angehörigen des mexikanischen Geheimdienstes) und einer verstärkten Militärpräsenz unmittelbar vor dem Eintreffen der "Delegierten Null" in ihrem Ort. Ähnliches wurde aus dem Ort Francisco I. Madero berichtet.

Von den zapatistischen Inhaftierten Angel Concepción Pérez Guirierrez und Francisco Pérez Vásces aus dem Gefängnis in Tacotalpa, wohin sich Marcos am 26.01.06 begeben wird, wurde ein Brief veröffentlicht, in dem sie beschreiben, dass sie "9 Jahre und 6 Monate ungerechter Einkerkerung verbracht haben, wegen des Verbrechens für die Würde und Rechte ihrer indigenen Genossen gekämpft zu haben.


San Blas, Oaxaca
6. Februar

Nach zwölf Jahren Einparteienherrschaft unter der Führung von Agustina Acevedo Gutierrez hatte die Bevölkerung von San Blas Atempa genug. Am 1. Januar 2005 jagten sie die Bürgermeisterin mit Stöcken, Steinen, Benzin und Feuer aus dem Rathaus.
Dreizehn Monate später befindet sich das Rathaus immer noch unter der Kontrolle der Rebellen, während die offizielle Verwaltung, die weiterhin Mittel vom Staat und vom Bund erhält, mit einem anderen Gebäude als Exil vorlieb nehmen muss. Die Ex-Bürgermeisterin, die jetzt im Parlament des Bundesstaates sitzt, versucht nach wie vor, die Lage wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Auf Einladung der kämpferischen Bewohner von San Blas Atempa macht Subcomandante Marcos – zur Zeit als Delegado Zero (Delegierter Null) der Zapatisten auf einer sechsmonatigen Tour durch ganz Mexiko – hier Station, inmitten einer höchst unsicheren Lage.
Am Abend des Neujahrstages 2005 erhoben sich die die Einwohner von San Blas Atempa. Acevedos von ihr selbst ausgewählter Nachfolger sollte an jenem Tag in sein Amt eingeführt werden und deshalb hatte sie beschlossen, ihre letzte Nacht als Bürgermeisterin im Rathaus zu verbringen. Die Frau, die im Ort "La Tina aguada" (was in der Sprache der ortsansässigen Zapoteken "Tina, die nicht von hier ist" bedeutet, aber auf Spanisch klingt wie "die Wanne, die schon mit Wasser gefüllt ist") genannt wird, erschien am nächsten Morgen auf dem Balkon und demonstrierte auf arrogante Weise ihre Macht. Der bereits brodelnden Menge, die sich versammelt hatte, streckte sie nach Berichten der Einwohner die Zunge heraus. Um ihrem Lakaien den Posten des Bürgermeisters zu verschaffen, hatte sie das Wahlrecht des Bundesstaates umgangen. Legitimiert durch eine "öffentliche Versammlung" an der die von ihr kontrollierte Polizei nur ihre Anhänger teilnehmen ließ, vergab sie das Amt einfach per Erlass. Das konnten ihr die Leute nicht verzeihen.

Als Tina sie im Laufe des Tages auch noch offen vom Balkon des Rathauses verhöhnte, flogen die ersten Steine und Ziegel. Ihre persönlichen Sicherheitskräfte eröffneten daraufhin mit Kalaschnikows das Feuer auf die Menge. Vier der dabei Verwundete und der Mann, der sie ins Krankenhaus brachte, wurden später verhaftet und befinden sich noch heute als politische Gefangene in Haft.

Die Antwort der Leute ließ nicht lange auf sich warten: Zuerst steckten sie die Wagen der Beamten in Brand, die um das Rathaus herum parkten. Dann schütteten einige Benzin auf den Boden des Gebäudes und zündeten es an. Die Flammen bahnten sich ihren Weg die Treppen hinauf. (Eine Augenzeugin schilderte dem Anderen Journalismus die Situation so: "Sie entkam, ihr Haare und ihre Kleidung durchtränkt mit Benzin, aber erst nachdem sie um ihr Leben gefleht hatte. Die Bauern sagten ihr, dass sie bei lebendigem Leib verbrannt würde. Dann behaupteten sie, dass sie keine Streichhölzer dabei hätten und ließen sie laufen.")

An diesem gewalttätigen Abend wurde das Rathaus zum "Autonomen Gemeindezentrum". Wie die Zapatisten aus Chiapas bezeichnen nun die Bauern aus San Blas Atempa (17.000 Einwohner) ihre Regierung, die auch ohne finanzielle Mittel von oben agieren kann. "Wir haben auf den verschiedenen Ebenen um Anerkennung gekämpft, aber unsere Anträge werden nicht beachtet, sagt Dr. Francisco Salud Acevedo während des Besuchs des Anderen Journalismus am 4. Februar. Er ist einer von 72 Einwohnern von San Blas, gegen die Haftbefehl erlassen wurde aufgrund der stürmischen Ereignisse.

"Wir haben die regionalen und bundesstaatlichen Behörden um Hilfe ersucht", erklärt Dr. Salud – was übersetzt Dr. Gesundheit heißt, "aber niemand hat uns angehört."
Unterdessen wachen die Einwohner gegenseitig über sich und das Rathaus. "Jeder von uns gibt, soviel wie er kann, und wir kommen so oft hierher, wie wir können", erklärt einer der Bauern während seiner Schicht.

"Señora Agustina Acevedo Gutierrez zahlte uns für gewöhnlich 500 Pesos für den Fall, dass wir ihrer Partei beitraten und ihr unsere Stimme gaben. Aber nach so langer Zeit war es wirklich genug, und viele von uns begannen, andere Kandidaten zu wählen", erläutert eine Frau, die wir auf dem lokalen Markt interviewen.

Bis heute sitzen Alfredo Jimenez Henestrosa, Feliciano Jimenez Lopez, Jorge Reyes Ramirez und Roberto Ortiz Acevedo im Gefängnis. "Sie wurden ins Krankenhaus von Salina Cruz und von da ins Krankenhaus von Oaxaca Stadt gebracht. Der nächste Transport brachte sie dann ins Gefängnis von Tehuantepec. Jose Luis Sanchez, unser Mitstreiter, der mit ihnen ging, wurde ebenfalls eingesperrt", sagt eine Verwandte eines der politischen Häftlinge.

"Zum Glück haben wir sie nicht umgebracht", meint eine Einwohnerin in einem traditionellen zapotekischen huipil (eine Bluse), "denn das hätte uns zu Mördern gemacht. Wir sind keine Mörder, wir sind einfache Leute, die ihre Rechte einfordern."

In diesen Stunden vor der Ankunft des zapatistischen Subcomandante Marcos veröffentlicht der Andere Journalismus die Worte der aufständischen Kräfte von San Blas Atempa direkt und unzensiert: die Worte des Autonomen Volksrathauses, ihren Journalisten und der Öffentlichkeit bekannt gegeben am letzten Sonnabend.


Oaxaca-Stadt, Oaxaca
8. Februar

Gegen Mittag des 8. Februar begingen hunderte von Personen gemeinsam mit dem "Sub" einen politischen Akt vor dem Gefängnis Ixcotel, nahe der Stadt Oaxaca. Durch eine Überraschungsaktion gelang Delegado Zero der Zugang zum Gefängnis. Dort sprach er mit politischen Gefangenen unterschiedlicher Organisationen, unter anderem mit den 3 Inhaftierten Männern der lokalen Organisationen CODEDI-Xanica bzw. der Basisgruppe von OIDHO in Santiago Xanica (in der Sierra Sur, nahe Sta. Maria Huatulco). Abraham Ramírez Vásquez, Juventino García Cruz und Noel García Cruz, Gefangene der Allianz COMPA, sitzen seit über einem Jahr in Ixcotel als politisch Gefangene fest. Bisher wurde die Mord-Anklage gegen sie noch nicht fallengelassen bzw. der Prozess noch nicht eingestellt - was für die kommenden Wochen zu hoffen bleibt.
Im Anschluss an das Gespräch begab sich Marcos zum Gebäude der LehrerInnengewerkschaft im Stadtzentrum, wo er bei der ersten Versammlung von Mitgliedern der "Anderen Kampagne" im Bundesstaat Oaxaca zugegen war.
Am nächsten Tag nahm Delegado Zero an einem Treffen verschiedener indianischer und bäuerlicher VertreterInnen teil, das auf dem Gelände der indianischen Organisation OIDHO am Rande von Oaxaca-Stadt in Santa Maria Atzompa stattfand, besuchte eine studentische Versammlung sowie ein Treffen der Lehrergewerkschaft auf bundesstaatlicher Ebene.


La Otra in Guanajuato
14. März

Seit dem 11. März ist die Andere Kampagne in Guanajuato und Marcos besucht unter anderem indigene Völker wie die Otomí, die offiziell gar nicht mehr existieren. In Guanajuato, wie auch in den Bundesstaaten Aguascalientes, Querétaro und Tlaxcala gelten die indigenen Völker als ausgestorben.
In San Ildefonso Cieneguilla wehren sich die Otomí gegen eine weitere Antenne der Firma Telmex, welche auf ihrem heiligen Berg, dem Pinal de Zamorano, ohne Einwilligung der indigenen Gemeinden installiert werden soll.

In der Begrüssungszeremonie erhielt Marcos einen baston de mando von den traditionellen Autoritäten. In seiner folgenden Rede erklärte der Delegado Zero , was es mit dem Befehlsstock symbolisch auf sich hat: Der baston de mando sei von den Mestizen schon immer falsch verstanden worden. Sie wüssten nicht, was er wirklich bedeutet. "Sie denken, er verkörpere die Befehlsgewalt über eine Gemeinschaft. Das ist nicht so. Er ist die materielle Erinnerung daran, dass sein Träger eine Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft hat und einem Weg folgen muss." In Chiapas würden sie daher das Holz eines Bayalté, eines sehr geraden Baumes nehmen. Der Träger des cargos (einer bestimmten Aufgabe oder Funktion für die Gemeinschaft) erhält den Stock mit der Ermahnung, stark zu sein und sich niemals vor den Reichen und Mächtigen zu beugen.

In Salamanca, der grössten Industriestadt Guanajuatos, besuchte Marcos die Bewohner der Aussenbezirke, welche in der verseuchtesten Gegend, in unmittelbarer Nähe zum Chemiewerk Techem wohnen. Die Krebs- und Leukämierate ist hier extrem hoch, unter Erwachsenen wie auch unter Kindern und Neugeborenen.

In Celaya, eine Stunde von Salamanca entfernt, traf er sich mit verschiedenen politischen und zivilen Organisationen. Im Anschluss an die Gespräche liess der Sup verlauten, er habe hier in Guanajuato, der Heimat von Staatspräsident Fox und seiner Partei der PAN, die deutlichsten Auswirkungen der PANistischen Politik gesehen. In den Gegenden wo die PAN regiere, sei in den letzten Jahren die Anzahl der Bordelle rasant (in Celaya selber um 400%) gestiegen, es gebe hier deutliche Anzeichen für Menschen- und Kinderhandel zum Zwecke der Prostitution. Das Paradoxe an der Situation sei die Doppelbödigkeit der PAN, die sich offiziell einen Anstrich katholischer Moral zu geben versucht und die in der Realität aber die Kinderpornographie fördere.

In Puentecillas beschuldigte der Delegado Zero den Gouverneur von Guanajuato, Juan Carlos Romero Hicks und den Vizepräsidenten Méxicos, Ramón Muñoz (Anführer von El Yunque einer faschistischen bewaffneten Geheimorganisation), die Ultrarechte in México zu fördern. Obwohl im Vorfeld die Erlaubnis zum Besuch der beiden politischen Gefangenen der MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria) Adolfo und Miguel Andrade Ibarra eingetroffen war, wurde Marcos das Betreten des Gefängnisses mit Pasamontañas untersagt. Offenbar hatte es in letzter Minute einen Befehl von oben gegeben. Marcos rief daraufhin vor dem Gefängnis zu einem internationalen Boykott der Regierung Guanajuatos und zu zivilen Aktionen der Unterstützungskomitees und solidarischen Personen weltweit auf.

In León sagte ein Lehrer auf einer Versammlung: Wenn wir keine Überweisungen (von Familienmitgliedern in den USA) bekommen würden, wir würden alle hungern , was im krassen Gegensatz zur Wahlwerbung des Gouverneurs Hicks: Guanajuato geht es so gut wie noch nie steht. Verschiedene Betroffene sagten aus, dass die Polizei gezielt Leute die anders aussehen (z.B. Punks) verfolge, um sie zu verhaften und zu misshandeln.

Marcos rekapitulierte seine Reise durch Guanajuato folgendermassen: "Wir haben die gleiche Verachtung gegenüber den indigenen Gemeinden angetroffen, die schon die Spanier während der Conquista gezeigt haben. Nur hier in Guanajuato haben wir Indigene gesehen, die in Reservaten leben müssen wie in den USA, die Chichimeken von San Luis de la Paz. Was hier in den letzten Jahren gewachsen ist, ist nicht die Wirtschaft, sondern die Zahl der Ausgewanderten in die USA."

Michoacán: "Dritte Welt" für Indigen@s
15. April

OSTULA - Die Entwicklung des Tourismus in dieser Region hat die Indigen@s von ihren ursprünglichen Heimatorten wie Aquila, Coahuayana, Huizontla und Coalcomán de Vázquez Pallares am Pazifikende in die Trockenheit der Gebirge und die rauhen Gefilde von West- Michoacano verdrängt. Der "Kommandant derer von unten", wie der Represäntant Tacho aus Huizontla Marcos begrüsste, wurde von Hunderten Indigen@s empfangen. Der Delegierte Null wurde von Repräsentanten der Region Michoacano, Autoritäten der Nahuas von Ayotitlán (Jalisco) und verschiedenen Wixaritari-Gemeinschaften aus Jalisco und Durango begleitet. Einer ihrer Sprecher erklärte: "Alle Gemeinschaften der indigenen Völker haben dieselben Probleme. Wir müssen für die Gemeinden kämpfen. Deshalb werden wir "die Andere" begleiten."

"Marcos ist heute nicht das Wichtigste", sagte ein Mann aus Ostula, der das Mikrophon ergriffen hatte, um auf die Probleme mit dem Eisenhüttenwerk Hylsa aufmerksam zu machen, über dessen Zahlungen die Führer der Coordinadora Nacional Plan von Ayala (CNPA) und Aquila verhandeln, die aber als viel zu niedrig erachtet werden. Ein anderer Sprecher aus Pómaro, verlas ein Dokument und erbat von der "Anderen Kampagne" und Marcos, sich dem genannten Indigen@- und Campesi@-(Bauern-) Projekt in seinen 10 Punkten anzuschliessen: Die Erfüllung der Abkommen von San Andrés; Souveränität der Nation und ihrer (Volks-)Gemeinschaften; die Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens ( TLC/ALCA ); die Revision des Verfassungsartikels 27 und die Aussetzung der salinistischen Reform, zur Wiedererlangung sozialen Eigentums/ Eigenständigkeit. Weiter wurden integrale politische, kulturelle und soziale Rechte der Gemeinschaften eingeklagt; ein Budget, das den Notwendigkeiten der Bauern, nicht der Politiker, entspricht; eine Agenda der Biosicherheit, welche den Einklang mit der Natur garantiert; eine Agenda der Legislativen, welche die sozialen Rechte wiederherstellt; eine neue Verfassung und die Achtung der Strände als an den Pazifischen Ozean angrenzend ("damit es Frieden gibt" ).

Allein im Bezirk von Aquila gibt es 50 in den Bergen verstreute Gemeinden, wo der Analphabetismus gross und die Landwirtschaft prekär ist, wo die Kunsthandwerker keinen Ausweg bzw. Zugang haben und keine öffentliche Dienste existieren. Diese Gemeinschaften bleiben von der vom Drogenhandel und rassistischer Gewalt verheerten Hauptstadt des Staates, Morelia, abgeschnitten. Für sie ist es einfacher, nach Colima zu reisen, um der "Zivilisation" zu begegnen. Der Besuch der "Anderen Kampagne" wurde als aufmunternd und sehr wichtig empfunden.

CUYUTLAN - Die drei Ebenen der Regierung bewirken über die Expansion der Unternehmen, die Bedrohung der Gemeinden durch Ausraubung, Kontaminationen, Krankheiten, Vertreibung, Idenditätsverlust, dem Verschwinden ursprünglicher Arbeit und der Desintegration der Familien...im Namen des Freien Marktes und Anreizen für Investoren. Marcos nahm Bezug auf die Luftverschmutzung durch Wärmekraftwerke ("Ich erwähne z.B. Salamanca, Guanajuato, wo fast in jeder Familie ein Mitglied an Krebs erkrankt ist") und durch andere Energiegewinnungsanlagen. Ausserdem unterstrich er, dass die grossen Hoteliers absurderweise viel weniger Energiekosten zu tragen haben, als die Bevölkerung, weil sie subventioniert werden und erzählte als Beispiel die Geschichte des Wassers von El Batán (Querétaro), wo die Unternehmer beschlossen hatten, für ein Hotel, eine Plantage und Industrienlagen, die Bevölkerung zu vertreiben.

"Viele sagen,wir sind nicht gegen den Fortschritt. Wir schon. Denn der Fortschritt ist ein Fortschritt derer von oben, die sich auf Kosten unseres Elends entwickeln. Wenn sie von Fortchritt reden, so meinen sie den der Reichen und nicht den unsrigen." Der zapatistische Delegierte warnte."Sie werden die Lagune in einen Hafen verwandeln. Mit diesem kommen die Schiffe und mit ihnen die Matrosen, die Kantinen und die Drogen. Es wird keine Kultur kommen, nein, sondern Zerstreuung für die Mannschaften. Sie werden Euch Eurer Land nehmen, eure Häuser, euren Kleinhandel zerstören, eure Schulen, eure Zukunft und Geschichte, euer Leben. Der Plan hinter diesen Wärmekraftwerken, der Zerstörung der Lagune und dem Bau des Hafens, ist die Zerstörung des Gemeinschaftsleben."

"Wir werden nicht aufhören sie zu fragen: Wieviele müssen noch sterben? Wieviele Fälle von Krebs noch mehr? Wieviele Kinder mit Lungen- oder Hauterkrankungen, damit Nein! gesagt wird? Wenn wir uns aber organisieren, wird Campos [Ort] wieder, was es war, ein Lieferant von Früchten und Fisch, anstatt von Krankheiten!"

Atenco: Tausende marschieren gegen die Repression
13. Mai 2006

Die Verurteilung der Polizeigewalt in San Salvador Atenco war einhellig. Tausende gingen auf die Straße, um ihre Ablehnung des "Horrors" in diesem Dorf zu demonstrieren, und um die bedingungslose Freilassung aller Gefangenen zu fordern, die bei der Konfrontation zwischen den Dorfbewohnern von Atenco und der Polizei am 4. Mai 2006 verhaftet wurden.

Studenten, Lehrer, Aktivisten, Indígenas und Mitglieder der Front der Dörfer in Verteidigung des Landes (FPDT), führten den Protestmarsch zusammen mit Subcomandante Marcos an, der ständig von einer Menschenkette beschützt wurde.

Unter Beteiligung von Mitgliedern des Generalstreikrats der Autonomen Universität von Mexiko (UNAM), Studenten der Autonomen Universitäten von D.F. (UAM), der Autonomen Universität von Chapingo und Mexiko Stadt, sowie des Nationalen Polytechnischen Instituts, der Nationalen Schule für Anthropologie und Geschichte (ENAH) und zivilen und gewerkschaftlichen Organisationen, forderte die Mobilisierung den Rückzug der öffentlichen Sicherheitskräfte aus dem Bezirk von Atenco und die Bestrafung der Aggressionen, die bei der gewaltsamen Räumung die Dorfbewohner verübt wurden.

In seiner Rede bekräftige Delegado Zero: "Wir sind heute von der Wut und Empörung zusammengerufen, die durch das Wissen entstehen, dass für die von oben Frauen Kriegsbeute sind, die den "Ordnungstruppen" im voraus versprochen werden. Die Aggression, die gegen unsere Compañeras als Frauen verübt wurde und wird, bedeutet nicht nur, dass sie geschlagen und gefangen werden, sondern man versucht, sie auch moralisch zu erniedrigen und zu zerstören. Die Botschaft richtet sich nicht nur gegen sie als Frauen, die für ein besseres Land kämpfen, für ein anderes Mexiko, sondern gegen alle Frauen in Mexiko."

Für dieses wirtschaftliche und politische System, so Marcos weiter, "sind sie alle Beute, mit der jene entlohnt werden, die mit Gewalt durchsetzen, was nicht durch Recht aufrechterhalten werden kann. Sie sind der Verachtung, der sexuellen Aggression, der Vergewaltigung unterworfen oder werden durch gesetzliche Gewalt dazu gezwungen. Dies ist die Alternative, die das System für alle einfachen und bescheidenen Frauen von unten bereithält, unabhängig des politischen Zeichens, das oben simuliert wird".

Zu Beginn des Marsches kurz nach 16 Uhr strömten bei schwerem Regen die ersten Gruppen von Campesinos, Indígenas, Akademiker, Menschenrechtsverteidiger, ehemalige Studentenführer und Aktivisten zusammen und begannen, sich nahe des Regierungsministeriums zu sammeln, das von Metallzäunen und Truppen der Präventiven Bundespolizei (PFP) schwer bewacht wurde.

Als die Vorhut das Kolumbusmonument am Paseo de la Reforma erreichte und der Regen stärker wurde, stieg Delegado Zero aus dem Wagen, der ihn auf seiner Rundreise durch das ganze Land fährt, um zu Fuß mit den anderen Demonstranten zur Präsidentenresidenz von Los Pinos weiterzumarschieren, die ebenfalls von einem starken Sicherheitsgürtel bewacht wurde.

Während die ersten Kontingente - gebildet von den Mitgliedern der FPDT und der Volksfront Francisco Villa - zur Kreuzung Paseo de la Reforma und Mariano Escobedo vorrückten, versammelte die Nachhut auf der Anhöhe Angel de la Independencia die Kontingente der Nationalen Schule für Anthropologie und Geschichte und der Hochschule für Wissenschaft und Humanistik (CCH). Mit der Machete in der Hand bekräftigte ein Einwohner von San Salvador Atenco: "Wir werden für unsere gefangenen Compañeros bis zum Letzten kämpfen, so wie damals, als sie uns den Flughafen aufzwingen wollten!"

"Die Schläge der Polizei schmerzen uns nicht", versicherte er, "was uns schmerzt ist das, was sie unseren Leuten angetan haben, die Vergewaltigung unserer Frauen, die Aggression der verräterischen und korrupten Regierung des Bundesstaates México und von Vicente Fox."

Die Slogans rissen nicht ab. Angehörige und Freunde der Gefangenen wiederholten immer wieder: " Atenco, escucha, no estás solo en la lucha! (Höre, Atenco, du kämpfst nicht alleine!)", und " No estamos todos, faltan las presas, no estamos todos, faltan los presos! (Wir sind nicht alle hier, es fehlen die Gefangene/n!)"
Die Studenten, Aktivisten und Akademiker riefen auch "Setenta años del PRI fueron de la chingada, pero es la misma mierda con Vicente Fox Quesada! (Siebzig Jahre PRI waren Scheiße, aber Vicente Fox Quesada macht es auf die gleiche Weise!)", "Nieto, Abascal, que masacran al carnal! (Nieto und Abascal, massakrieren sexuell)".

Während des gesamten Protestzuges, kreisten Hubschrauber des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit von D.F. über die Paseo de la Reforma, während 2.600 Polizisten mobilisiert wurden, um die Sicherheit der Gebäude und Monumente wie der Unabhängigkeitssäule, dem Springbrunnen der Diana, der Mexikanische Börse und der Botschaft der Vereinigten Staaten zu garantieren.
Kurz vor 19 Uhr, an der Ecke Reforma und Chivatito, begann die Versammlung, in der die Brutalität der Polizei bei der gewaltsamen Räumung und der Überführung der Verhafteten in das Gefängnis von Santiaguito verurteilt wurde.

Nachdem die Gefangennahme dreier Studenten der CCH-Sur im Metro Juárez denunziert wurde - Iván Contreras, Jesús Manuel und Marcos Santoyo - forderten die Demonstranten erneut das "Ende der Gewalt und Repression".
Laura Elsa Urbina, die Mutter von Ivàn Torres, ein festgenommener UNAM Student, dem es freigestellt wurde, gegen Kaution freizukommen, erklärte, ihr Sohn habe dies aus Solidarität mit den anderen Gefangenen abgelehnt. Er denunzierte jedoch, dass der Gefängnisdirektor von Santiaguito, am Freitag morgen versucht habe, "die Jungs da drin auseinanderzubringen, indem er ihnen versprach, ihre Kaution zu zahlen, damit sie endlich verschwinden".

América del Valle, die Tochter des Anführers der FPDT, versicherte in einer Bandaufnahme, die Gewalt gegen die Dorfbewohner von Atenco sei nur "ein weiter Kapitel der Repression einer mörderischen Regierung, die bereits in der Vergangenheit versucht hat, unser Land zu entwenden, aber wir haben damals Widerstand geleistet, so wie wir heute gegen diesen Angriff Widerstand leisten."
Sie erklärte weiter, dieser Kampf sei ausgebrochen, "weil wir eine Regierung haben, die vergewaltigt, einsperrt und betrügt", und rief die zivilen und gewerkschaftlichen Organisationen auf, "organisiert gegen die repressiven Autoritäten zu kämpfen, die unter dem Vorwand ihrer ungerechten Gesetze den Befehl zum Stürmen und Töten gegeben haben".

Mitglieder der FPDT, die an der Versammlung teilnahmen, erklärten, dass Atenco "weiterhin das gleiche rebellische Dorf bleibt, auch wenn es sich in den Händen des Feindes befindet".
Sie fügten hinzu: "Wir erkennen die Staatsregierung von Enrique Peña Nieto nicht an, der ein Idiot, ein Mörder und ein Vergewaltiger ist. Wir fordern einen politischer Prozess gegen ihn, sowie die Absetzung der Polizeichefs im Osten des Bundesstaates México, der an der Räumung und der Festnahme unserer Compañeros am 4. Mai beteiligt war".
Die Agenten und Polizeichefs, so insistierten sie, die "diese Brutalitäten gegen Frauen, Männer und Alte verübt haben," sollten mit Gefängnis bestraft werden.

Cuernavaca & Tlalnepantla
18. Mai 2006

Wieder ist es heute spät geworden. Die Gespräche in der indigenen Gemeinde Zirahuén, das Treffen mit Schülern im San-Nicolas-Gymnasium, dann die kurze Nacht im "Haus Lenin" in Morelia, und jetzt hier, 400 Kilometer südlich, in der zentralmexikanischen Stadt Cuernavaca. Ein paar Glühbirnen beleuchten spärlich den Hof der "Ökumenischen Gemeinde für sexuelle Diversität", die Glaubensgemeinschaft wird von schwulen Pfarrern geleitet.
Die dunklen Augen des Subcomandante blicken müde aus dem schmalen Schlitz, den seine schwarze Stoffmaske frei lässt. Mindestens zum dreißigsten Mal an diesem Tag zündet er seine Pfeife an. Für größere Aktivitäten ist der Mann, der im Rahmen der "Anderen Kampagne" seit vier Monaten als "Delegierter Null" des Zapatistischen Befreiungsheers EZLN durch Mexiko reist, nicht mehr zu haben. Ein öffentlicher Auftritt, ein internes Treffen, ein Abend mit Menschenrechtlern und Umweltschützern - genug für heute. Gekleidet in schwarze Armeehose und braune Jacke, einen Kopfhörer über der schwarzen Maske, steht Subcomandante Marcos am Waschbecken und spült Geschirr. "Wenigstens hat mir hier niemand gleich nach dem Essen den Teller aus der Hand gerissen", sagt er.

Marcos trifft auf seiner Reise etwa tausend Organisationen, Initiativen oder Gemeindesprecher, die sich der "Anderen Kampagne" angeschlossen haben. Doch heute ist der Tagesplan durcheinander gekommen, deshalb muss er seinen für morgen geplanten Auftritt in Tepoztlán absagen. Seine Anhänger dort konnten sich mit der Gruppe aus dem Nachbardorf nicht darüber einigen, wo der Guerillero auftreten soll. "Solche Streitigkeiten gibt es immer wieder", erklärt der Student Jorge Muciño. "Ein Auftritt des Sub ist schließlich eine große Reputation für die künftige politische Arbeit." Jorge gehört zur "Sicherheitskommission", einer aus etwa zwanzig Personen zusammengestellten Gruppe aus allen Bundesstaaten, die den Maskierten schützen soll.

Der neue Tag beginnt in Tlalnepantla, einer Kleinstadt, die vom Kaktusblätteranbau lebt. 600 Bauern, Hausfrauen und Jugendliche sind zur Plaza Major vor dem Rathaus gekommen. Der Maskierte steht auf der Bühne stramm, er hält die Hand zum militärischen Gruß. Zu ihm gesellen sich acht Männer, die Autoritäten der Gemeinde blicken ernst. "Sie werden uns unser Land nehmen", sagt einer von ihnen ins Mikrofon und hebt an, über die Regierung zu wettern. Viele hier hoffen, der Auftritt des Zapatisten- Führers könnte in irgendeiner Weise zur Lösung ihres jeweiligen Problems beitragen. "Wenn Gott es will, wird Marcos uns helfen", erklärt etwa Juana Gonzales, eine ältere Frau. So will der Subcomandante die "Andere Kampagne" nicht verstanden wissen. "Wir kämpfen nicht um die Macht", erklärt er seinen Zuhörern. "Denn es ist nicht nötig, die Welt zu erobern. Es genügt, sie neu zu schaffen." Dann spricht er über die zapatistischen Gemeinden, über die Schulen, Krankenhäuser und Kindergärten, die die EZLN inzwischen aufgebaut hat, unabhängig vom Staat. Und über die "Räte der Guten Regierung", jene Gremien, die alle wichtigen Entscheidungen in den EZLN- kontrollierten Gebieten treffen. Dieses Konzept der Selbstverwaltung liege auch der "Anderen Kampagne" zugrunde. Denn "jeder, der oben ankommt, wird sich an uns bereichern", ruft er den Menschen in Tlalnepantla zu.

Diese Sprache wird hier sofort verstanden. Die Dorfbewohner haben vor drei Jahren die Stadtoberen aus dem Rathaus verjagt, weil sie sich von ihnen betrogen fühlten. Vorbild dafür waren die Zapatisten: sie haben sich ebenfalls von den großen Parteien abgegrenzt. Zwar wird der "Delegierte Null" seine Reise genau eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen vom 2. Juli beenden - mit dem Wahlkampf wollen die Rebellen jedoch nichts zu tun haben. Auch nicht mit der gemäßigt linken Partei der Demokratischen Revolution PRD und deren aussichtsreichem Kandidaten Andrés Manuel López Obrador. Kaum eine Veranstaltung vergeht, auf der Marcos nicht gegen den PRD-Mann polemisiert. "Das hat der Kampagne viele Sympathien gekostet", erklärt Eugenio Bermejillo. Der Journalist arbeitet in indigenen Gemeinderadios und moderiert ein Radioprogramm in Mexiko-Stadt. Er kennt beide Welten. Die Zapatisten, sagt er, fühlten sich von der PRD betrogen, nachdem deren Abgeordnete für ein Indígena-Gesetz gestimmt hatten, das von deren Organisationen mehrheitlich abgelehnt wurde. Dennoch ist Bermejillo skeptisch, was den Einfluss der Zapatisten auf die Geschicke Mexikos angeht. "Viele einflussreiche Gewerkschaften und Campesino-Organisationen sind zurückhaltend. Sie setzen lieber darauf, dass mit einem Präsidenten López Obrador tatsächliche Veränderungen kommen", erklärt Bermejillo. Auch der Physiker Jorge Cervantes, der mit den Zapatisten sympathisiert, ist vorsichtig optimistisch: "Das Konzept der Selbstverwaltung mag ja für Chiapas taugen", sagt er, "aber für Mexiko-Stadt bräuchte es beispielsweise komplexere Entwürfe." Der "Delegierte Null" beeindruckt derlei Kritik offenbar wenig. "Jeden Tag sehen wir aufs Neue, dass wir nicht alleine sind", ruft er seinen Anhängern in Tlalnepantla zu. Kurz darauf steigt er in den alten Chevrolet und lässt die Gemeinde wieder hinter sich. Nun geht es nach Tetela del Monte - etwa eine Autostunde entfernt. Umweltschützer halten das kleine Waldgebiet besetzt, um eine Abholzung zu verhindern, der Besuch des Zapatisten soll der Aktion Rückendeckung verschaffen. Noch gute sechs Wochen wird der Subcomandante unterwegs sein. Danach soll sich die nächste zapatistische Delegation auf den Weg machen. Allerdings ohne ihren weltbekannten Sprecher. "Das ist auch gut so", meint Student Jorge. "Es wird höchste Zeit, dass Marcos in den Hintergrund rückt."